Familie Frankenstein
Fratzen und Freddy Krüger sind die Berufung von Edmund Eckl und seinem Clan. Der Schausteller lehrt seit Jahrzehnten den Münchnern das Gruseln – und kann nicht genug davon bekommen.
Geister sind ein Grund zur Pachtminderung. So steht es im Münchner Ratgeber für allhäuslich-polizeiliche Angelegenheiten von 1836. Edmund Eckl hat immer bezahlt. Obwohl 28 Untote bei ihm im „Shocker“ leben: Freddy Krüger, Dracula, Frankenstein, der Sensenmann – alle haben sie bei ihm Asyl gefunden. Rund 45 Jahre als Herbergsvater machen Eckl zum Oberhaupt der ältesten Grusel- Dynastie der Wiesn.
„Ich bin mit Leib’ und Seel’ dabei“, sagt Eckl, der bei den Schaustellern einfach nur der Geisterbahn-Edi ist. „Erschrecken ist wie eine Sucht.“ Er kennt jede Narbe, jeden faulen Zahn seiner Figuren. „Wir machen alles selbst“, sagt der Münchner. „Meine Tochter Sonja bringt viel ein.“ Vor allem Polyester.
4000 Liter Plastik sind derzeit im „Shocker“ verarbeitet, einen Großteil hat Sonja für den Freddy-Krüger-Kopf gebraucht, der die Leute in die Bahn lockt. „Eine Geisterbahn ist kein Kasperltheater“, sagt Eckl, „die Leute sollen sich doch Gruseln, da muss man kreativ bleiben.“ So trudeln jedes Jahr neue Geister ein.
Einer allerdings wäre fast vor seinem ersten Arbeitstag verhaftet worden: Als Eckl sein auf einem Seil radelndes Skelett zwischen Lagerhallen bei München testete, bretterten Autofahrer in den Graben, Blechschaden. „Die Leute haben gedacht, sie sehen nicht richtig“, sagt Eckl, er kann bis heute über die Geschichte herzlich lachen. Die Polizei bat ihn schließlich, das Skelett herunterzuholen. „Und wie komm’ ich da hoch?“, fragte Eckl. Verärgern wollte er keinen: weder die Polizei, noch weniger das Skelett – der Totenkopf radelt bis heute.
Geprägt hat Eckl das Bild der Wiesn jedes Jahr aufs Neue: Wie mit der Fahne „Neue Geister eingetroffen“, die jetzt im Stadtmuseum ausgestellt ist. Oder mit dem schwarzen Fernseher auf dem die „Live-Übertragung aus der dunklen Geisterbahn“ zu sehen war. Einmal foppte er sogar Wiesnchefin Gabriele Weishäupl: Es war das Jahr, als wildes Pieseln verboten wurde, Eckl aber gerade einen Klo-Geist aufgestellt hatte, der ab und an Wasser über die Gäste versprühte. Jeden Strafzettel könne er für seinen Geist nicht zahlen, ob der nun ins Exil müsse, fragte Eckl an. Weishäupl antwortete: Der Geist dürfe wild pieseln.
Solche Ideen kommen Eckl immer und überall – sogar beim Spielen mit Sohn Manfred. Der ist mittlerweile zwar auch schon Herr über sein Karussell „Techno Power“, war aber als Bub Urheber von „Schloss Schreckenstein“. „Manfred hatte ein Modell der Wartburg. Ich dachte nur: Ritter – und Schloss Schreckenstein stand im September auf der Wiesn.“ Für das Geisterschloss kaufte er sogar einen 25 000 D-Mark teuren Ritter mit Kopf unter dem Arm aus den USA. Den Ritter stellte er nicht in, sondern vor die Bahn. Die Leutewaren fasziniert von der täuschend echten Figur und liefen zum Kassenhäuschen.
Schreckenstein ist eine von insgesamt sieben Eckl-Geisterbahnen. 1968 kaufte Edmunds Vater die erste und bis heute älteste Bahn der Wiesn: die Nostalgie-Geisterbahn. „Nimmt man es genau, habe ich den Preis ausgehandelt“, sagt der Geisterbahn-Edi. 17 Jahre war er alt und schlug in das Angebot der Witwe Stahlmann ein: 50 000 Deutsche Mark für die 24 Meter lange Bahn. „Viel Geld damals.“
Das Fahrgeschäft hatte in den 60er Jahren bereits Tradition: 1903 war es als Geisterpanoptikum erbaut und schließlich 30 Jahre später in ein voll elektronisches Geschäft umfunktioniert worden. Das Horror-Gewerbe war hart umkämpft, allein 1932 buhlten vier Familien um die Aufmerksamkeit der Wiesn- Besucher. Dazu gab es Moritaten- Schauen wie die der Rabenmutter, die ihre Kinder verhungern lässt. Dass ausgerechnet kurz vor dem Zweiten Weltkrieg das Grusel-Geschäft so richtig anlief, lag weniger an der Diktatur als an der Verbreitung der Elektrizität und dem neuen Freizeitverhalten der Städter.
Schon damals stieg Eckls Vater auf dem Jahrmarkt ein: mit Wiener Krachmandeln, einer Schiffschaukel, einem Ringwurfparcour, einer Imbissbude und schließlich mit der Nostalgie-Geisterbahn.
Die drei Eckl-Söhne hatten bald ein neues Hobby: Andere erschrecken. „Mit der Taschenlampe haben wir eine Hand angeleuchtet, da haben sich die Leit’ schon gefürchtet“, erinnert sich Edmund heute. Mittlerweile bereitet sich die vierte Generation auf das Leben als Profi-Grusler vor: Eckls Enkel verbringt seinen Nachmittag am liebsten in Großvaters „Shocker“.
Dass Grusel-Tricks von einer Generation in die nächste wandern, hält Eckl für sinnvoll. Auch er habe das Erschrecken von den Eltern gelernt. „Wichtig ist der Sekundenschreck. Etwas anderes funktioniert nur schlecht“, kennt er heute noch das Mantra seiner Mutter. Das kurze Aufleuchten einer Hand, der kurze Geisterruf, die Fratze hinter der Kurve – Geisterbahn ist Tradition. Verbessern lässt sich am Schauer wenig. So fürchten sich in der Nostalgie- Bahn von Eckls Bruder Robert die Leute noch wie damals beim Senior.
Eckl selbst hatte mit 45 Jahren dann genug vom Gruseln. Er ging Golfspielen. Fünf Jahre lang. „Dann musste ich wieder basteln.“ Zurück auf die Wiesn kam er aber mit einer anderen Idee: lebende Geister. Schausteller, die noch per Hand erschrecken. Bis 1994 waren sie verboten – doch Eckl fand eine Lösung.
„Die Gäste im offenen Wagen waren bis dahin nicht vor den Geistern geschützt“, sagt Eckl. Er dachte anders herum: Nicht die Geister, sondern die Fahrgäste kamen im Wagen hinter Gitter. Die Schausteller konnten sich so frei bewegen. „Sie können jeden individuell erschrecken. Es gibt keinen Plan“, sagt Eckl. Bei Kindern winkt der Geist, bei Frauen kitzelt er, Männer geht er etwas härter an. „Wichtig ist, dass der Besucher nicht weiß, was als nächstes kommt.“
Die Wiesnkonkurrenz fuhr immer wieder mit seiner Bahn, wollte sein Konzept abschauen. „Im ersten Jahr war ich sogar Stadtgespräch in Hamburg“, sagt Eckl. Von den damals zwölf Mann arbeiten heuer noch fünf als lebende Zombies in der voll klimatisierten Bahn. „Alle aus Transsilvanien“, wie Eckl versichert.
Schließlich ging Eckl mit seinem „Ghost-Truck“ auf Tour. „Wir waren sechs Monate in Deutschland unterwegs, in Holland, Belgien, und schließlich kam die Einladung ins japanische Nagoya. „Als einziger deutscher Schausteller bin ich eingeladen worden“, sagt Eckl sichtlich stolz. Dennoch war es eine Zitterpartie: Fünf Wochen mussten die Geisterfiguren in Containern verschifft werden – kein Tag, an dem Eckl nicht an seine „Angestellten“ dachte. Schließlich gehören sie zur Familie, residieren im Planwagen neben seinem Wohnwagen. Eckl zieht eine dieser Planen zurück. Darunter eine täuschend echte Puppe, aus deren geweiteten Augen die Adern hervortreten. Eckl lächelt. Sicher wird sich heuer jemand gruseln. Anne Kathrin Koophamel
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