Falsche Polizisten: "Der Horror ging immer weiter"

Zwei Jahre haben falsche Polizisten Gertrud Zick terrorisiert. Aus Angst, sie müsse wegen Geldwäsche ins Gefängnis, wagt die Rentnerin nicht, sich Freunden oder Familie anzuvertrauen. Sie versetzt sogar ihren Schmuck, um an Geld zu kommen.
von  Ralph Hub
Gertrud Zick zeigt die Belege für die Paysafe-Gutscheine, die sie im Auftrag der Bande gekauft hat.
Gertrud Zick zeigt die Belege für die Paysafe-Gutscheine, die sie im Auftrag der Bande gekauft hat.

München - Als Gertrud Zick erste Zweifel kommen, ist es längst zu spät. Sie ist gefangen in einer Spirale aus Lügen und Geheimnissen. Die Bande erpresst die heute 83-Jährige, droht damit, alles ihrem Mann, einem pensionierten Richter, zu erzählen. Sie werde wegen Geldwäsche den Rest ihres Lebens in Istanbul im Gefängnis sitzen.

Ein harmloses Hobby wird Gertrud Zick dabei zum Verhängnis: Gewinnspiele. Gewonnen hat sie selten. Umso mehr freute sie sich, als sie im April 2011 einen Anruf von einer "Lotterie" erhält. Sie sei Kandidatin einer Sonderverlosung, habe einen Audi im Wert von 42.000 Euro gewonnen.

Mit dem Anruf eines Dr. Richter beginnt ein jahrelanger Albtraum

Damit fängt der Ärger an. Die Münchnerin soll Gebühren zahlen, damit sie statt des Autos Bargeld erhält. Die Rentnerin überweist. Erst 890 Euro, dann 1.200. "Ich war so gutgläubig", sagt sie. Der versprochene Gewinn kommt nicht. Gertrud Zick ahnt, dass sie Schwindlern aufgesessen ist. Im Dezember 2012 meldet sich ein "Dr. Richter". Er sei beim Bundeskriminalamt und Leiter einer streng geheimen Ermittlung. Er und sein Team seien der Bande auf der Spur. "Ich habe mich gefreut", sagt Gertrud Zick - und gedacht: "Hauptsache sie kriegen sie!"

Geschickt manipuliert Dr. Richter die Frau. Sie solle bei den Ermittlungen helfen, sie solle Paysafe-Gutscheine kaufen - für 500 bis 700 Euro. Das Geld müsse sie über Western Union in die Türkei transferieren.

Gertrud Zick zeigt die Belege für die Paysafe-Gutscheine, die sie im Auftrag der Bande gekauft hat.
Gertrud Zick zeigt die Belege für die Paysafe-Gutscheine, die sie im Auftrag der Bande gekauft hat.

Gertrud Zick zeigt die Belege für die Paysafe-Gutscheine, die sie im Auftrag der Bande gekauft hat.

Als die Ersparnisse weg sind, nimmt die Rentnerin einen Kredit auf

Ständig wird Gertrud Zick angerufen. Bereits frühmorgens klingelt das Telefon zum ersten Mal, fünf Tage die Woche. Über Monate geht das so. "Anfangs waren sie sehr nett", sagt die Rentnerin. "Die Leute haben beim Leben ihrer Kinder geschworen, dass ich mein Geld zurückbekomme."

Gertrud Zick möchte sich mit der Münchner Polizei in Verbindung setzten. Die wüssten von der Sache nichts, lügt Dr. Richter, alles sei streng geheim.

Das Opfer überweist immer mehr. Als die Ersparnisse weg sind, nimmt die Rentnerin einen Kredit auf. Sie versetzt ihren Schmuck. Insgesamt bezahlt sie 26.000 Euro. Die Gauner wollen sogar, dass sie eine Hypothek aufs Haus aufnimmt.

Ihr Mann soll von all dem nichts erfahren. Er ist Richter im Ruhestand und schwer krank. "Ich hatte Angst, ihm alles zu erzählen", gibt Gertrud Zick zu. Das bekommen die Gauner mit und beginnen, sie zu erpressen. Sie würden ihren Mann informieren. Die Drohung genügt, um die damals 79-Jährige gefügig zu machen.

Es kommt noch schlimmer. Eine Frau meldet sich, angeblich eine Kommissarin. Sie behauptet, Gertrud Zick habe sich der Geldwäsche schuldig gemacht. Die Münchnerin werde an die Türkei ausgeliefert und komme ins Gefängnis.

Panik macht sich bei Gertrud Zick breit. "Der Horror ging immer weiter", sagt sie. Einem Freund alles erzählen? Unmöglich. "Die hätten mich doch glatt ausgelacht." Gertrud Zick denkt sogar an Selbstmord, so verzweifelt ist sie.

Im Juni 2013 ist ihr 80. Geburtstag. Doch sie will nicht feiern. Freunde glauben aus Rücksicht auf ihren schwer kranken Mann. Schließlich vertraut sie sich doch noch Freunden an. Die müssen ihr versprechen, kein Wort zu sagen - zu niemandem. Ihr Mann stirbt, ohne je erfahren zu haben, dass seine Frau über Jahre erpresst wurde. Noch heute kämpft Gertrud Zick mit den Tränen, wenn sie davon erzählt. Die Bande, die ihr Leben fast zerstört hat, ist übrigens bis heute nicht gefasst worden.


AZ-Hintergrund: Die Zahl der Fälle ist um 1000 Prozent gestiegen

Über 1,5 Millionen Euro haben Trickbetrüger im vergangenen Jahr in München erbeutet. Davon 490.000 Euro mit angeblichen Gewinnspielen, 370.000 Euro durch falsche Polizisten.

365 Fälle wurden 2016 bei der Polizei angezeigt. Ein Jahr zuvor waren es 31. "Das ist eine Steigerung um über 1.000 Prozent", betont Polizeivizepräsident Werner Feiler.

Von Januar bis Anfang Juni sind es heuer jetzt bereits 650 Fälle. Die Drahtzieher sitzen meist im Ausland. Die Zusammenarbeit mit Kollegen in Kroatien und Polen sei hervorragend, lobt Feiler. Deshalb sei es gelungen, etliche Banden zu sprengen.

Über die Zusammenarbeit mit der Türkei verliert der Polizeivizepräsident dagegen kein Wort. Die Kooperation ist beinahe zum Erliegen gekommen, seit das deutsch-türkische Verhältnis eisig ist, heißt es inoffiziell. Dabei sitzen die meisten der gut organisierten Callcenter ausgerechnet in der Türkei. Die Gauner arbeiten bevorzugt mit drei Maschen:

  1. Der falsche Polizist behauptet, das Opfer habe mit Falschgeld bezahlt. Der Schein stamme von einer Bank, ein Mitarbeiter sei Teil der Bande.
  2. Das Gewinnspiel. Erst werden die Opfer dazu gebracht, Gebühren zu bezahlen, dann wirft man ihnen vor, es sei Geldwäsche.
  3. Kinderpornografie. Fahnder sprechen von der "Holger-Münch-Methode, weil sich der Anrufer so nennt. Er behauptet, man sei Teil eines Kinder-Porno-Rings. Durch eine Kaution könne man der Auslieferung an die türkische Justiz entgehen. Aus Scham, mit Kinderpornos in Verbindung gebracht zu werden, zahlen viele Opfer.

Tipps der Polizei: So schützen Sie sich

Die Polizei rät: Seien Sie immer misstrauisch. "Gesundes Misstrauen ist nicht unhöflich", betont Werner Feiler.

  • Lassen Sie sich niemals von einem Anrufer oder einem Besucher an der Haustür unter Druck setzen.
  • Polizisten werden niemals anrufen, Geld verlangen, Auskünfte über Vermögensverhältnisse, Schmuck oder Ähnliches einfordern.
  • Seien Sie verschwiegen, wenn Sie über persönliche Lebensumstände, Kontodaten oder Vermögens- und Einkommensverhältnisse befragt werden.
  • Überweisen Sie niemals auf Anweisung Fremder Geld ins Ausland.
  • Polizisten rufen niemals unter der Notrufnummer 110 an. Ein Trick der Betrüger, die mit Hilfe von Computerprogrammen falsche Nummern am Telefon erzeugen.
  • Im Zweifel sofort die Notrufnummer 110 wählen.

Wer zusätzliche Informationen möchte, kann sich bei der Münchner Polizei direkt informieren. Am kommenden Montag beginnt eine Aufklärungskampagne unter dem Motto: "Falsche Polizeibeamte & Co"

210.000 Haushalte in der Stadt bekommen ein Merkblatt zugeschickt. Zudem werden Polizisten an Infoständen Fragen der Bürger beantworten. Diese Stände werden beispielsweise auf Wochenmärkten und in Einkaufszentren errichtet.

Auch uniformierte Kontaktbereichsbeamte werden in den Stadtvierteln Leute ansprechen und sie über Trickbetrüger aufklären.

Dazu werden Info-Filme gezeigt auf den Monitoren des Fahrgast-TV in Münchner U- und Trambahnen. Die Aktion dauert bis zum 16. Juli.

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