Fackelläufer über Olympia 1972: "Wir waren die Stars der Stadt"

AZ-Interview mit Norbert Weigl (68): Der Fackelläufer von 1972 studierte Verwaltungswissenschaften, erfand das grün-blaue Logo der Stadtwerke München (SWM), wurde später Chef der Stadtwerke Waldkraiburg und lebt seit dem Ruhestand wieder in Sendling.
Ältere Münchner erinnern sich ganz sicher noch, wie ihre Nasen am Fernseher klebten in den Stunden vor der Eröffnung der Sommerspiele in München 1972.
Es ist Mittag am 26. August, ein strahlender Sommertag. Die Kamera ist auf die Brienner Straße gerichtet. Wo der Altstadtring kreuzt, tänzeln zehn junge Burschen in weißen kurzen Hosen und roten Muskelhemdchen nervös in ihren Laufschuhen. Braungebrannt, wild frisiert. Man macht sich warm.
Und endlich, vom Odeonsplatz her kommt es hell brennend angelaufen, das heilige Feuer aus Olympia. Jetzt bloß keinen Fehler machen, die Flamme im Laufschritt übernehmen, Gott, bitte, hoffentlich springt die eigene Gasfackel an, die Welt schaut ja zu. Ja, sie brennt, weiter also - Etappenlauf zum Königsplatz!
Zehn Buben aus Sendling tragen die Fackel
Die Zehn, um die es geht, das war die Leichtathletik-Jugend vom Sendlinger Sportverein "MTV München 1879" - Münchner Burschen, vom Schüler bis zum Jungunternehmer. Sie waren ausgewählt worden, eine der letzten Etappen durch München zu laufen, ehe der Schlussläufer mit der Hauptfackel das Olympiastadion erreicht.
Das Feuer in der Rechten läuft er 200 gelbe Treppenstufen hoch, entzündet das Olympische Feuer, reckt bildschön wie ein griechischer Halbgott die Fackel gen Himmel. 85.000 Menschen jubeln. Gänsehaut.
Einer der Etappenläufer, der dabei war, ist Norbert Weigl, damals 19 Jahre jung. Heute, mit 68, lebt er noch immer in Sendling, noch immer trainiert er beim MTV, noch immer sind die Fackelläufer von 1972 Freunde. Für die AZ öffnet er sein Album.

AZ: Herr Weigl, zeigen Sie uns doch mal Ihr Lieblingsfoto dieses Tages. Welcher der Burschen sind Sie?
NORBERT WEIGL: Der Große mit den blonden Lockerln, der Zweite von links. 1,82 Meter. Die Größe hab ich heute noch. Und das Gewicht, 74 Kilo, ich hab kein Gramm zugelegt in den 50 Jahren, das geht alles mit Leichtathletik.

Interessante Frisuren.
Siebzigerjahre halt. Bei der Damenwelt war ich damit ganz schön populär.
Gibt's die Trikots noch, vor allem die feschen Leiberl?
Ich hab meins leider mal weggeschmissen, nach Jahren, das war blöd.
Zum 50. Jubiläum soll der Fackellauf wiederholt werden
Und die Fackel?
Wir haben eine eigene gehabt, die genau so ausgeschaut hat, wie die Hauptfackel, mit der der Günter Zahn als Schlussläufer dann im Stadion das Feuer entzündet hat, die steht in Lausanne im Museum. Unsere war Jahrzehnte mit Pokalen in der Vitrine im Vereinsheim gestanden. Irgendwann ist renoviert worden. Jetzt steht sie da nicht mehr.

Oh.
Die taucht schon wieder auf bis zum Sommer. Da wollen wir unsere Etappe von damals zum 50. Jubiläum nämlich noch mal laufen, vom Odeonsplatz zum Königsplatz, als Beitrag zur Erinnerung.
Die ganze Herrenmannschaft, mit Trikot?
Ja gut, vielleicht eher gehen, es sind ja nimmer alle so gut zu Fuß. Unser ältester, der Big Boss von damals, der Mister Leichtathletik Rupert Hurm, der damals in der Gruppe die Fackel getragen hat, der wird heuer 83. Wir treffen uns aber immer noch fast alle montags am Sportplatz im Verein.
Respekt. Wenn Sie jetzt mal die Augen zumachen, an was erinnern Sie sich zu dem Tag?
Mein Gott waren wir aufgeregt. Die Brienner Straße und der ganze Kilometer gradaus über den Karolinenplatz bis zum Königsplatz war voll mit Leuten, die geklatscht haben. Voll! Und wir haben gewusst, dass sich das auf Sekunden genau aufgehen muss, dass wir das Feuer übernehmen und am Königsplatz pünktlich an die nächsten Läufer übergeben.
Wo haben Sie das geübt?
Bei uns auf dem Aschenplatz an der Werdenfelsstraße. Ausgemessen und gelaufen, im schönen Dauerlauf. Zig Mal. Da hast schon ein Leichtathlet und fit sein müssen für das Tempo. Zu spät dran sein wär undenkbar gewesen. Das war ja eine Weltübertragung.
"Ich war schon als Zehnjähriger olympianarrisch"
Wieso wollten Sie überhaupt mitlaufen? Man hätte sich ja auch blamieren können.
Weil ich als Zehnjähriger schon olympianarrisch war. Da hab ich 110-Meter-Hürdenlauf und Hochsprung geübt. Als die Spiele 1964 in Tokio waren, war ich elf und hab ein Hefterl mit allen Medaillenergebnissen geschrieben. Und mit 15, 1968, bin ich mit meinen Spezln zum Olympiaturm geradelt, damit wir die allererste Gruppe sind, die zur Eröffnung da rauffährt.
Hat's geklappt?
Aber ja. Ein Wahnsinnsausblick, da gab es noch kein Olympiastadion, kein Zeltdach, nicht mal den BMW-Zylinder. Da war bloß Schuttberg, aber noch unmodelliert.
Halb München hat in den Jahren der Vorbereitung ehrenamtlich für Olympia gearbeitet. Sie auch?
Ja sowieso. Ich kenne niemanden, der da nicht dabei war, so begeistert waren die Leute! Ich hab im Stadion Testwettkämpfe mitorganisiert. Und ich war Kampfrichter bei Proben, da habe ich Weltsportler kennengelernt wie den 100-Meter-Läufer Walerij Borsow aus Kiew, den Zehnkämpfer Mykola Awilow und den Hürdenläufer John Akii-Bua aus Uganda, die später Olympiasieger wurden.
Zurück zu Ihrem Gruppenfoto. Ich zähle da nur acht Burschen, nicht zehn.
Weil der Reinhard und der Helmut noch vor dem Gruppenfoto heimgefahren sind, damit sie im Fernsehen die Eröffnungsfeier sehen können.
"Auf dem Schwarzmarkt hab ich Eintrittskarten gekauft"
Die haben Sie verpasst?
Ja. Weil wir uns am Königsplatz noch haben feiern lassen. Wir haben sogar Autogramme gegeben, wie die Stars der Stadt. Als wenn wir echte Olympia-Athleten gewesen wären. Als ich heimkam, mit der U6 zum Goetheplatz und dann mit der 6er Tram, ist der Fernseher von den Eltern zwar noch gelaufen, aber der Einmarsch der Nationen, das Feuerentzünden, das war alles schon aus.
Haben Sie wenigstens Wettkämpfe gesehen?
Etliche! Als Teil vom Organisationskomitee war ich mit Karten versorgt, viele hab ich auch gekauft, auf dem Schwarzmarkt am Marienhof.
"2022 hätten wir die heiteren Spiele zu Ende führen können"
Ach so?
Das war ein Riesenschwarzmarkt. Die Polizei ist daneben gestanden und hat das geduldet für die heiteren Spiele. Ich war jeden zweiten Tag bei Kämpfen, zur Leichtathletik im Olympiastadion, zum Rudern in Schleißheim, bei den Schützen in Hochbrück und beim Handball in der Olympiahalle.
Dann kam das Attentat auf die israelische Mannschaft.
Furchtbar. München war wie gelähmt danach. Die Freude war weg, das Heitere, das war total zerstört. Ich hätte das gut gefunden, wenn Olympia heuer nach München zurückgekommen wäre, genau 50 Jahre später. Anstatt nach Peking. Dann hätte dieser Schock heilen können. Wir hätten die heiteren Spiele zu Ende führen können. Der Kreis, finde ich, hat sich noch nicht geschlossen.
Wollen Sie ihn deshalb für sich selber schließen, mit Ihrem Erinnerungsfackellauf?
Das ist natürlich auch ein Gedanke. Wir kennen uns jetzt über ein halbes Jahrhundert. Wir sind zusammen jung gewesen und alt geworden. Das hat schon was Heimeliges, dieser Gedanke.