Europäisches Patentamt in München: Ein patenter Riegel

Auch München wollte europäisch sein, und so kam das Europäische Patentamt an die Isar. Nicht alle in der Stadt freuten sich darüber.
Von Sophie Burfeind |
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Die Baustelle an der Erhardtstraße im August 1977: Eines – von einstmals 31 – Gründerzeit-Häusern steht noch. Aber nicht mehr lange.
Heinz Gebhardt 4 Die Baustelle an der Erhardtstraße im August 1977: Eines – von einstmals 31 – Gründerzeit-Häusern steht noch. Aber nicht mehr lange.
Das riesige Gebäude mit Blick von Osten, wie es sich heute präsentiert.
Heinz Gebhardt 4 Das riesige Gebäude mit Blick von Osten, wie es sich heute präsentiert.
Das ist der neue Gebäudekomplex an der Hackerbrücke
imago 4 Das ist der neue Gebäudekomplex an der Hackerbrücke
Und hier der vorläufig letzte Bauabschnitt fast unmittelbar an der Wiesn.
imago 4 Und hier der vorläufig letzte Bauabschnitt fast unmittelbar an der Wiesn.

München - Es war kein Streit zwischen den Parteien, es war einer zwischen den Alten und den Jungen. Walter Zöller (CSU), weiß es noch genau. Er war damals 32, seine ersten Sitzungen als Stadtrat, sie stritten monatelang, manchmal unter Polizeischutz. Es ging um das Europäische Patentamt: Es sollte an die Isar kommen und dafür Häuser aus der Gründerzeit abgerissen werden. "Der völlige falsche Standort fanden wir", sagt Zöller.

Dass sie, die Jungen, den Streit verloren haben, ärgert ihn heute noch. Heute ist Zöller 78 Jahre alt, der Älteste im Stadtrat und das Europäische Patentamt zwischen dem Deutschen Patent- und Markenamt und dem Deutschen Museum, längst eine anerkannte Institution der Stadt. Es ist ja so: Wäre das Europäische Patentamt 1977 nicht gebaut worden, wäre München heute nicht die Patenthauptstadt Europas.
Dass das Europäische Patentamt insgesamt mal 15 000 Jobs in München schaffen würde, konnte Anfang der 70er Jahre noch keiner ahnen. Damals ging es in erster Linie um den Standort. "Ein richtiger Glaubenskrieg", sagt Zöller.

Die Jungen wollten die alten Gebäude schützen, der damalige Oberbürgermeister Hans-Jürgen Vogel (SPD) wollte, dass es neben dem Deutschen Patentamt entsteht. "Sonst kommt es nicht nach München." Und München wollte doch auch europäisch sein! "Ein Totschlagargument", sagt Zöller. Das Amt kam an die Isar.

Die Gründung eines Europäischen Patentamts war 1973 bei einem Treffen von 16 Staaten in München beschlossen worden. Der Grund: die EU und der gemeinsame Binnenmarkt. Für den freier werdenden Handel sollte es eine zentrale Stelle geben, bei der Erfinder und Unternehmen Patente anmelden konnten, die in mehreren europäischen Staaten gelten. Vorher musste man das in jedem Land einzeln beantragen.

Schon Ende der 80er Jahre wird das Gebäude zu klein

1977 nahmen die ersten Patentanwälte ihre Arbeit auf, die ersten vier Jahre im "Motorama" am Gasteig, bis der Bau an der Isar fertig war. Es begann mit 115 Mitarbeitern, 800 sollten es werden. Diese Aussicht besorgte den damaligen Bundestagsabgeordneten Rudolf Schöfberger (SPD) – nicht nur, weil Jobs "für Europäer, weniger für Münchner" geschafften werden sollten. "Das bringt einen beachtlichen Zuzug. Wer baut die Wohnungen und die Schulen? Wer trägt die Lasten für den erforderlichen Verkehrsausbau?", fragte er 1974. Was Schöfberger nicht wissen konnte: München würde sogar weitere 200 000 Münchner verkraften!

Schon Ende der 80er Jahre wurde das Gebäude an der Isar zu klein, weil der Wust von Patentanmeldungen immer größer wurde. Das Amt baute drei weitere Gebäude (auf dem Gelände der Hacker-Pschorr-Brauerei und von Möbel Krügel) an der Hackerbrücke.

München entwickelte sich zur Patenthochburg Europas, denn auch das Bundespatentgericht und das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht siedelten sich an. 2040 Patentanwälte gebe es in Bayern, die meisten von ihnen in München, sagt Rainer Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamts. "So viele Patentanwälte gibt es nirgendwo sonst in Europa." Aber München ist nicht nur die Stadt der Patente, sondern auch die Stadt der Erfinder. In keiner anderen europäischen Stadt werden so viele Patente angemeldet wie hier.

Gestritten wurde übrigens nicht nur um das Europäische Patentamt, sondern auch im Inneren. Regelmäßig wird gestreikt, ihren Chef beschrieben Mitarbeiter 2014 in der "Welt" mal als "Diktator", der wiederum beschrieb die Mitarbeiter als faul. Dabei sollte es wenig Grund zur Unzufriedenheit gehen – ihr Jahresgehalt liegt im Schnitt bei 121 000 Euro.

Walter Zöller trauert zwar den Gründerzeithäusern nach, zum Patentamt an sich aber sagt er: "Unterm Strich war das natürlich ein großer Gewinn für München." Und es sei bei den Münchnern ja auch so: "Man ist immer erst mal dagegen und wenn es dann da ist, findet man es gut."

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