Etwas Warmes für die Ärmsten: Mit dem Kältebus unterwegs durch München

Sie schlafen unter Brücken, in Tunnels und Hauseingängen. Dutzenden Menschen droht in diesen sibirischen Nächten der Erfrierungstod. Die AZ begleitete ehrenamtliche Helfer zu Brennpunkten.
von  Nina Job
Sabrina und Gustavo vom Kältebus bringen Obdachlosen, die in der Unterführung unter der Kapuzinerstraße leben, Curryreis, eine Süßspeise und heißen Tee.
Sabrina und Gustavo vom Kältebus bringen Obdachlosen, die in der Unterführung unter der Kapuzinerstraße leben, Curryreis, eine Süßspeise und heißen Tee. © Petra Schramek

Sie schlafen unter Brücken, in Tunnels und Hauseingängen. Dutzenden Menschen droht in diesen sibirischen Nächten der Erfrierungstod. Die AZ begleitete ehrenamtliche Helfer zu Brennpunkten in München.

München - Es ist dunkel, still und einsam abends um acht unter der Wittelsbacherbrücke. Auf der anderen Seite der Isar sind die Fenster erleuchtet. Dort leben die anderen, die Menschen mit einem Dach über dem Kopf, mit Heizung und Warmwasser.

An den Brückenpfeilern lagern hoch aufgetürmt Matratzen, Schlafsäcke und Decken. Einer der Männer hat sein Hab und Gut mit Pollern aus Schnee eingezäunt. Zu seinem Besitz gehört ein geschmückter, völlig vertrockneter Christbaum.

Ein Plastikfläschchen mit heißem Tee dient als Wärmflasche

Gustavo (37) von der privaten Initiative Kältebus leuchtet mit einer Taschenlampe, um zu sehen, ob jemand da ist. In einer Hütte aus Pappe und Matratzen brennt Licht. Ein junges Paar hat hier seinen Unterschlupf. Gustavo stellt ihnen zwei Becher Tee hin. Sonst ist noch niemand da. Es ist noch zu früh zum Schlafen.

In München leben nach Schätzungen etwa 550 Obdachlose, darunter viele Osteuropäer. Tagsüber wärmen sie sich in Kaufhäusern oder Bahnhöfen auf. Sie gehen in die Teestube Komm des Evangelischen Hilfswerks oder fahren stundenlang mit Bus oder U-Bahn durch die Gegend.

Aber nachts schlafen viele im Freien. Auch bei diesen eisigen Temperaturen. Und obwohl die Stadt ihnen in der Bayernkaserne 850 kostenlose Schlafplätze zur Verfügung stellt. Das Problem: Nicht alle wissen von dem Angebot - und nicht jeder will es annehmen.

"Der Windschutz ist das Wichtigste"

Gustavo (37), der bei BMW arbeitet und die Mathematikerin Sabrina (23) gehören zu 20 ehrenamtlichen Helfern, die im Winter Schlafplätze von Obdachlosen aufsuchen und eine warme Mahlzeit und heißen Tee vorbeibringen. Heute gibt es Hühnercurry mit Reis und eine warme Nachspeise aus Äpfeln, Quark und halbbitterer Schokolade. Zwei Stunden lang haben die beiden in einem Keller hinter dem Prinzregentenstadion vorbereitet und gekocht.

Die zweite Station ihrer Tour führt die Helfer in eine grafitti-besprühte Unterführung am Giesinger Berg. Zwei Männer liegen hier auf ihren Matratzenlagern. Pham wacht auf, als ihn Sabrina anspricht. "Wie spät ist es?" - "Morgens oder abends?", fragt er. Der 54-Jährige trägt Mütze und Handschuhe in seinem Schlafsack, seine Schuhe hat er ordentlich ans Fußende gestellt.
Am Giesinger Berg unterhalb der Heilig-Kreuz-Kirche suchen ebenfalls Obdachlose Schutz vor der Eiseskälte. (Foto: Petra Schramek)

Seine Sachen will er nicht unbeaufsichtigt zurücklassen, um woanders zu schlafen. Hat er keine Angst zu erfrieren? Er lächelt nur.

Der Kältebus fährt weiter zu einer Unterführung am Kapuzinerkloster St. Anton. Eine kleine, international gemischte Gruppe haust hier. Ein ungarisches Pärchen hat sich ein Bett aus alten Sofas gebaut. Die beiden wärmen sich - gegenseitig und mit Schnaps.

Gegenüber liegt Eduard (57), er ist der einzige Deutsche. Am Kopfende seines Lagers steht ein Sessel. "Der Windschutz ist das Wichtigste", erklärt er. Aber gegen die feuchte Kälte die vom Westermühlbach in die Knochen kriecht, hilft auch der Sessel nicht.

"Alles Gute!", wünscht er und verschwindet unter seinen Decken

Eduard lebt seit Jahren auf der Straße. Er bittet Sabrina, ihm den Tee in eine leere Trinkjoghurtflasche zu füllen. Diese verschwindet sofort in seinem Schlafsack - als Wärmflasche.

Der 57-Jährige will nicht weg hier, egal, wie kalt es wird. In den Gemeinschaftsunterkünften werde man nur bestohlen, hat er gehört. "Ich weiß von einem, dem haben sie die Schuhe unterm Kopfkissen geklaut!"

Seine Mitbewohner in der Unterführung machen sich häufig über ihn lustig, weil er fast täglich erzählt, dass ihm nachts jemand "Babywürgeschlangen" in den Schlafsack gesteckt habe. Eduard zeigt dann gern seine vernarbten Beine.

Wenige Schritte entfernt, am Arbeitsamt, liegt einer ganz allein. Ein flacher Haufen aus Decken, mehr ist nicht zu sehen. Gustavo beugt sich hinunter, sagt freundlich: "Kältebus! Möchten Sie etwas Warmes zu essen oder einen heißen Tee?" Die Decken bewegen sich leicht. Eine Stimme sagt: "Ja, gern."
An der Bavaria pfeift der Wind besonders fies. Zwei Bettler haben sich in einer Unterführung niedergelassen. Sie sind dankbar für die Mahlzeit. (Foto: Petra Schramek)

Als Gustavo mit dem Essen zurückkommt, strecken sich ihm nackte Hände und Unterarme entgegen. Ein etwa 40 Jahre alter Mann mit feinen Gesichtszügen schaut kurz heraus. Er bedankt sich, wünscht dem Helfer "Alles Gute!" Sekunden später verschwinden der Kopf und die feingliedrigen Hände mit dem Plastikteller wieder in dem Kokon.

Die kältesten Nächte stehen noch bevor

Nächste Station: eine Unterführung an der Bavaria. Der Wind pfeift eisig. Das Thermometer zeigt minus fünf Grad. Zwei Bettler aus der Slowakei liegen hier und Takeo (71). Der Asiate schläft in einem kleinen Zelt. "Das ist verboten. Morgens um 7 Uhr muss ich weg sein", erzählt er. Tagsüber versteckt er seine Sachen und radelt nach Heimstetten. Dort hat Takeo einen Minijob als Küchenhelfer. Seit einem Jahr schläft er draußen. "Meine Rente ist zu klein, ich finde kein Zimmer, das ich mir leisten kann."
Takeo (71), einst Konditor, zeltet – was verboten ist. (Foto: Petra Schramek)

Sabrina steuert den kleinen Bus zur Donnersbergerbrücke. Auch hier liegen Menschen am Boden. Es ist laut und dreckig und stinkt nach Abgasen.

Wissen die Männer von den Betten in der Bayernkaserne? Die Plätze werden im Beratungszentrum in der Schillerstraße 25 zugewiesen. Der Einweisungsschein gilt zu festgelegten Uhrzeiten auch als Ticket für die Fahrt dorthin.

Die Männer unter der Donnersberger Brücke hören zum ersten Mal davon. Sie wissen nicht, wo die Schillerstraße ist. Und für sie gäbe es in der Bayernkaserne auch keinen Platz. Einer der Bettler hebt seine Decke an. Dort liegt zusammengerollt ein kleiner Hund. Auch sein Landsmann hat einen dabei. Tiere sind in den städtischen Gemeinschaftsunterkünften nicht erlaubt.


Auch dieser Bettler aus Rumänien schläft bei Dauerfrost im Freien. Er liegt an der Sonnenstraße auf einer dünnen Matratze und Decken. (Foto: Petra Schramek)
Er wärmt sein Herrchen, darf aber nicht in städtische Unterkünfte. (Foto: Petra Schramek)

Am Ende ihrer Tour haben Sabrina und Gustavo über 20 Portionen Essen ausgeteilt. Es geht auf Mitternacht zu. Sabrina ist so durchgefroren, dass sie ihre Finger nicht mehr spürt. Aber auf sie wartet ein warmes Zuhause. Im Gegensatz zu den Menschen da draußen. Die kältesten Nächte stehen ihnen noch bevor.

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