Pralinenmachen ist wie Meditieren

In ihrer Schokoladenmanufaktur verrät Kerstin Spehr so manches süße Geheimnis: Ein Besuch bei der Patissière, die bei unserem Koch-Wettbewerb ein Mitglied der Fachjury ist
von  Annette Baronikians
Ohne Konzentration gibt’s keine perfekten Pralinen: Patissiere Kerstin Spehr fertigt alles in reiner Handarbeit - bis zu 14 Stunden am Tag.
Ohne Konzentration gibt’s keine perfekten Pralinen: Patissiere Kerstin Spehr fertigt alles in reiner Handarbeit - bis zu 14 Stunden am Tag. © Daniel von Loeper

Ein kurzer Blick auf die duftende Schokoladen-Masse genügt – und Kerstin Spehrs Urteil steht sofort fest: „Das ist noch viel zu kalt!“ Verwunderte Blicke um sie herum. Wie kann sie das bloß so genau wissen? Kerstin Spehr schmunzelt und zieht den Rührlöffel ein wenig aus der flüssigen Schokolade heraus: „Zu kalt, wie gesagt!“ Thermometer oder sonstige Hilfsmittel braucht die Münchnerin nicht. „Man muss ein Gefühl für Temperatur bekommen“, sagt sie: „Überhaupt muss man sich auf die Schokolade einlassen, ihr volle Aufmerksamkeit widmen.“

Das tut Kerstin Spehr mit Passion tagtäglich. Die gelernte Köchin und Patissière ist Inhaberin der Pralinen- und Dessertschule in Neuhausen (Schulstraße 38). Während oben in ihrem Laden die süßen Köstlichkeiten verkauft werden, sorgt die Chefin in der Schokoladenmanufaktur im Souterrain für Nachschub.

Ob Vanilletrüffel, Rahmwürfel, Sanddorn-Hütchen oder Absinth-Kugeln, ob Pistazien-Schnecken, Honigspitzen, Eierlikör-Törtchen, Nougattropfen oder Lavendelpralinen: Kerstin Spehr fertigt alle ihre Spezialitäten in reiner Handarbeit. „Die Weihnachtszeit ist die absolute Hochsaison“, erzählt sie, während sie behutsam Champagnerherzen mit Kuvertürefäden verziert: „Vor Weihnachten verwende ich gut und gerne bis zu 150 Kilo Schokolade. An manchen Tagen überziehe ich an die 1000 Pralinen mit Kuvertüre.“

Täglich um sechs Uhr in der Früh geht's los mit Schmelzen, Rühren, Modellieren, Gießen, Füllen und so manchem mehr. 14-Stunden-Tage sind derzeit keine Ausnahme: „Das geht nur, weil’s mir einfach Spaß macht“, sagt Kerstin Spehr.

Und so gibt sie ihr Wissen auch gerne weiter. Freitagabend und an den Wochenenden finden immer wieder Kurse statt, bei denen Schoko-Fans, begeisterte Hobby-Köche und -Patissiers in die Kunst des perfekten Pralinenmachens eingeführt werden. Zuerst gibt’s für die Schüler etwas theoretisches Wissen über Schokolade. Dann werden bordeauxrote Schürzen verteilt und die Praxis beginnt. Diesmal scharen sich acht Lernwillige im Alter zwischen 21 und 74 um Kerstin Spehr und ihre edlen Pralinen-Zutaten.

Nur beste Schoko-Sorten wie Madagaskar oder Maracaibo werden verwendet – in großen Fünf-Kilo-Tafeln oder in Form von praktischen Mini-Plättchen, bei denen man sich das Zerkleinern sparen kann. „Beim Herstellen von Pralinen darf man keinen Zeitdruck haben, sonst gelingt nichts“, sagt Kerstin Spehr: „Intensive Konzentration ist wichtig. Pralinenmachen ist ähnlich wie Meditieren.“

Geduld ist fraglos notwendig. Beim gekonnten Temperieren der Schokolade, ohne das die spätere Hülle der Praline grau und streifig wird, kommt so mancher Kursteilnehmer ins Schwitzen. Unter ständigem Rühren soll die geschmolzene Kuvertüre im Wasserbad auf exakt 28 Grad heruntergekühlt werden. Die Pralinen-Lehrlinge mühen sich redlich, doch die eine Masse wird grieselig, die andere klumpt. Die erste kann Kerstin Spehr mit Hilfe eines Pürierstabs retten, bei der zweiten ist auch die Chef-Chocolatière machtlos: „Wenn Wasser vom Wasserbad in die Masse gelangt, wird sie unbrauchbar. Bitte immer mit Gefühl rühren!“

Das braucht man auch beim Temperatur-Test der besonderen Art: Finger in die flüssige Schokolade tauchen und einen Tupfer auf die Unterlippe geben. Fühlt es sich kühl an, sind die optimalen 28 Grad erreicht. Naschen darf man also nicht nur im Pralinenkurs, man muss es sogar! Alle haben Schoko-Kleckse am Mund. Wegwischen lohnt gar nicht, schließlich muss auch beim Hochtemperieren wieder an der Unterlippe getestet werden.

Die Stimmung in der Pralinenschule hat plötzlich etwas von einem Kindergeburtstag – und schon ist am ersten Tisch die Ganache, die Füllung, krumm und schief geschnitten. Gleichmäßige Würfel sollten es eigentlich sein. Zum Pralinenmachen braucht's Konzentration. Da hat die Lehrerin also recht...

Nach vier Stunden ist viel feine Schokolade, flüssig oder fest, im Mund gelandet. Entstanden sind etliche voll belegte Bleche mit selbst gemachten Schnittpralinen und Trüffeln. Die wurden gerecht aufgeteilt und gemeinsam in Zellophantüten gefüllt. Süße Erfolgserlebnisse zum Mit-nach-Hause-nehmen.

Wie sagte doch ein Kursteilnehmer am Ende dieses ebenso lehr- wie genussreichen Seminars: „Wenn ich uns alle hier so anschaue, dann ist ja wohl eindeutig bewiesen, dass Schokolade glücklich macht.“ Scheint tatsächlich so zu sein.


Das Rezept: Chili-Ananas-Würfel 

Kerstin Spehr verrät eines ihrer Rezepte. Probieren Sie doch mal diese raffinierte Schoko-Kreation.

Zutaten für ca. 35 Stück

Hülle: 500 g Zartbitterkuvertüre;

Füllung: 200 g Zartbitterkuvertüre (60 %), 100 g Sahne, 1 ½ TL Chilipulver, 20 g weiche Butter; zum Verzieren: 50 g kandierte Ananas, in ca. 35 Stücke geschnitten; außerdem braucht man: Rahmen 15x10 cm (sog. Vierkantrohre aus Alu oder Edelstahl kann man sich z.B. im Baumarkt zuschneiden lassen oder beim Spezialversand bestellen), Winkelpalette/Spachtel, ggf. Pralinengabel, Folie, Backpapier.

Zubereitung:

Füllung: Kuvertüre hacken. Sahne kurz aufkochen, vom Herd nehmen. Chili darin auflösen, dann Kuvertüre darin schmelzen. Glatt rühren, bis homogene Masse entsteht. In Rahmen füllen, glatt streichen, mit Folie abgedeckt an kühlem Ort 12 Std. fest werden lassen. Rahmen lösen, Masse in Streifen, dann in Stücke/Würfel schneiden.

Kuvertüre für Hülle hacken, schmelzen, temperieren (perfekt ist Herunterkühlen auf 28-29 Grad, dann Hochtemperieren auf 31-32). Würfel damit überziehen, auf Backpapier geben, je 1Ananasstück in die Schokolade drücken.

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