Interview

Deutschlands erste Sommelière im Interview: "Weinbegleitung wird übertrieben"

Paula Bosch war Deutschlands erste Sommelière und hat jahrelang im Tantris gearbeitet. Noch immer brennt ihr Herz für Wein und Gastronomie. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben.
Ruth Frömmer
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Paula Bosch findet immer die richtige Flasche Wein für einen schönen Abend.
Paula Bosch findet immer die richtige Flasche Wein für einen schönen Abend. © Femma M. Soetemann

AZ: Frau Bosch, am Telefon haben Sie mir gesagt, Sie können sich Weinetiketten besser merken als Gesichter. Wenn Sie ein Wein wären, was stünde auf Ihrem Etikett?
 PAULA BOSCH: Neugierig, reiselustig, gereift, aber immer noch frisch, offen für alles Neue. Ich würde sagen, eine gute Cuvée aus allem, was ich so in den letzten 40 Jahren auf dem Weinmarkt bekommen und entdeckt habe.

Stimmt es, dass Sie schon als Kind lieber Wein mochten als Cola?
Ich durfte gar keine Cola trinken. Hätte ich es gemacht und man hätte mich verpetzt, dann hätte ich Fernsehverbot bekommen. Aber bei uns zu Hause hat man Süßwein getrunken, und da durfte ich eben mal ein Schlückchen naschen anstelle der Coca-Cola. Als ich das dann zum Angeben in der Schule herumerzählt habe, war Schluss fürs Paulinchen mit Trinken. Dann wurde die Flasche im Kühlschrank versperrt und mit Farbe der letzte Trinkgenuss markiert.

Paula Bosch findet immer die richtige Flasche Wein für einen schönen Abend.
Paula Bosch findet immer die richtige Flasche Wein für einen schönen Abend. © Femma M. Soetemann

Die Nachkriegsgeneration mags gern süß

Kommen Sie aus einer wein-affinen Familie? Süßwein hört sich eher nicht danach an.
Nein. Meine Familie hat einfach aus Genuss gerne gegessen und dazu getrunken. Die Nachkriegsgenerationen haben ja darunter gelitten, dass es in diesen Zeiten keine Süßigkeiten, keinen Zucker gab. Darum auch die Vorliebe zu Süßweinen, Spätlesen und Auslesen. Erst durch den Überhang an gesüßten Lebensmitteln sind Weintrinker eher auf den trockenen Charakter umgestiegen.

Wird Süßwein heute noch getrunken?
Natürlich, es gibt viele Menschen, die gerne Süßwein trinken. Und ich hoffe, sie genieren sich nicht, das auch zu sagen. Man ist deswegen kein Weichei. Obwohl das viele denken.

Müde vom Bier

Haben Sie auch mal Lust auf ein kühles Bier?
Ja, das trinke ich ganz gerne. Nicht so häufig, weil ich vom Hopfen müde werde. Ich liebe auch sehr, ein Bier auf der Wiesn zu trinken. Auch gerne mal zwei von den großen Gläsern. Das darf man ja gar nicht laut sagen, dass die Sommelière gerne mal zwei Maß verdrückt. Aber die sind ja eh immer nur halb voll (lacht).

Haben Sie mal Bier in ein Menü integriert?
Ja, natürlich. Hans Haas hat zum Beispiel immer wieder schon mal für Stammgäste, also ständige Wiederkehrer im Tantris, Fleischpflanzl, Wiener Schnitzel oder auch mal ein Gulasch als Überraschung gemacht.

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Weinbegleitung zum Sterne-Menü

Gehört eine Weinbegleitung heute zum Sterne-Menü schon fest dazu?
Ja, als Empfehlung schon. Damit habe ich in Deutschland tatsächlich richtig angefangen, als es das Vaku-Vin-System gab, geöffnete Flaschen zu konservieren. Leider wird das heute oft übertrieben, denn wenn die Gäste der Weinbegleitung zum Menü nicht folgen, schaut der Sommelier in den meisten Fällen schräg aus der Wäsche. Das heißt, der Gast fühlt sich nicht frei in seiner Entscheidung. Nicht jeder unternimmt gern eine ausgedehnte Weinreise, auch weil mehrere unterschiedliche Weine nicht für jeden bekömmlich sind oder man bei Weiß oder Rot bleiben will. Viele Gäste unterhalten sich auch nicht nur über Essen und Wein, andere wollen einfach in Ruhe eine Flasche während des Essens genießen. Das hat die Sommelerie ohne zu murren zu akzeptieren!

Was kann der Gast von einem Sommelier erwarten?
Die Menschen kommen in erster Linie ins Restaurant zum Essen und Trinken und um diese Momente zu genießen. Da will er sich nicht immer stundenlang mit dem Sommelier unterhalten und dem Service zuhören müssen, was in den Gläsern und auf den Tellern ist. Man muss da schon ein bisschen zurückstecken können und sagen: Jawohl, die Leute sind in einem super Restaurant und erwarten eine große Küche, einen guten Service und eine gute Beratung. Und wenn sie mehr über die Produkte wissen wollen, steht ihnen jeder sehr gerne zur Verfügung.

Heute sind Servicemitarbeiter die Könige

Ist der Gast zufriedener, wenn er überrascht wird?
Es gibt Menschen, die sagen von vornherein immer, was sie in der Regel essen und trinken, jetzt aber was anderes kennenlernen wollen. Dann überlege ich, welcher Wein aus meinem Sortiment zu ihnen und dem Essen passen könnte. Wie eine Katze gehe ich langsam auf den Gast, meine Beute, zu. So gewinnt auch er schließlich Vertrauen. Dieses Gefühl, auf den Gast zuzugehen, muss man im Service wieder lernen. Es ist ja keine Schande, im Restaurantservice zu arbeiten. Das Blatt hat sich längst gewendet, heute sind längst die Mitarbeiter im Service die Könige und Königinnen. Mein Buch "Eingeschenkt" habe ich auch geschrieben, um den jungen Berufsanwärtern zu zeigen, wie erfüllend und aufregend, aber auch wie bedeutend, wertvoll die Arbeit in der Gastronomie sein kann.

Sehen Gäste im Restaurant nur noch den Küchenchef und Sommelier?
Genau betrachtet, ja. Aber im Restaurant gibt es auch ein Herzstück und eine Basis, das ist der Service. Ich selbst habe im Service angefangen zu lernen und zu arbeiten, und zwar gerne. Aber was ist der Kellnerberuf heute noch wert? Die Wertschätzung, geregelte Arbeitszeit und ordentliche Bezahlung fehlen, obendrein auch noch die Ausbildung. Wir müssen den jungen Menschen diesen Beruf wieder näherbringen, ihn ihnen im wahrsten Sinne schmackhaft machen. Die große Chance, die wir in Zeiten des Personalmangels haben, ist, dass sowohl die Gastronomen und Wirte, aber auch die Gäste erkennen, dass sie den Servicemitarbeitern gegenüber respektvoller, anerkennender, entgegenkommender sein müssen.

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Kam es auch mal vor, dass eine Weinbegleitung von Ihnen gar nicht funktioniert hat?
Nein, aber dass es mal nicht geschmeckt hat, ja. Die Ingredienzien der Gerichte und Gewürze sind Bestandteil der Wein- und Speisen-Kombination. Es gibt unendliche Möglichkeiten, alles ist erlaubt, aber Sinn machen muss es schon. Es gibt Dinge, die man mehr oder weniger gerne mag. Darauf muss ich als Sommelière Rücksicht nehmen. Wenn dann mal ein geliebter Wein nicht zum Essen passt, esse ich eben meinen Teller auf und trinke den Wein danach.

Teil der kulinarischen Elite

Ihr Name wird in einem Atemzug mit der kulinarischen Elite genannt. Eckart Witzigmann, Hans Haas, Tim Raue. Was haben die Herren von Ihnen gelernt?
Wie man sich dem Wein nähert. Als ich Eckart Witzigmann kennenlernte, hatte er schon einen ganz persönlichen Weingeschmack. Er hat besonders in Frankreich nur das Beste vom Besten getrunken und öfter erkennen können, um welchen Typ Wein es sich bei der Blindprobe handeln könnte. Hans Haas hat von mir gelernt, sich dem Wein aufmerksam zu nähern, ihn zu riechen und zu schmecken. Er hat guten von weniger gutem zu unterscheiden gelernt. Seine Gerichte haben am Ende in den meisten Fällen perfekt zu den empfohlenen Weinen gepasst. Tim Raue hat mir das Kompliment gemacht, dass ich ihn erst richtig für Wein begeistert habe, und zwar im Tantris mit einem weißen Rioja von Tondonia.

Immer mehr Leute besuchen Weinseminare. Sind Menschen mit Halbwissen schwierige Gäste?
Es kommt darauf an, wie der Sommelier das sieht. Für mich ist es überhaupt kein Problem, wenn einer keine Ahnung hat. Deshalb mache ich ja auch Kurse für die Volkshochschule und Weinneulinge. Im nächsten Jahr gebe ich auch eigene Wein- und Servicekurse für Einsteiger in der Gastronomie und Weinservice.

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Was lehren Sie da?
Ich möchte, dass die Menschen das Handwerk wieder von Grund auf lernen, sprich: Service im Restaurant, ja, dazu gehört auch der Wein. Aber Weinkurse gibt es unendlich viele, nur noch Masterclasses, ich kann es langsam nicht mehr hören! Was nützt ein kompetenter Weinkellner, auch Sommelier genannt, der vom eigentlichen Service im Restaurant wenig versteht, im schlimmsten Fall ihn gar nicht machen will? Mir war schon immer wichtig, den Gästen ihre Wünsche zu erfüllen, sie rundum zu erreichen – und nicht, dass Sie mich voller Ehrfurcht als die Grande Dame des Weines nicht ansprechen wollen.

Gute Weinhändler erkennen

Woran erkenne ich als Laie einen guten Weinhändler?
Daran, dass er an Ihrem Weinwissen oder -unwissen interessiert ist. Dass er auf sie eingeht, Ihnen nicht sagt "der wird auch gern genommen", sondern erst mal wissen will, was sie gerne trinken, was sie kennen, wohin die Reise gehen soll. Die Qualität eines Weinhändlers erkenne ich nicht allein an seinem Sortiment oder seinen Preisen, sondern am Interesse an seiner Kundschaft. Ein gut ausgebildeter Weinhändler sagt Ihnen auch, wo es das gibt, was er nicht hat. Er sagt Ihnen aber auch, was er hat und warum er Ihnen was empfiehlt.

Kaufen Sie Wein im Supermarkt?
Selbstverständlich. Ich verkaufe auch nicht nur Wissen über Top-Weine. Paula Bosch war die Erste, die 1997 einen Weinratgeber zum Einkauf geschrieben hat: 500 Weine unter 20 Mark. Bei erstklassigen Winzern gibt es auch heute noch ab Hof einen ordentlichen Schoppenwein für 5 Euro, das ist gar keine Frage. Eine Basisqualität kann auch ab Weingut inzwischen nicht mehr günstiger sein, und für zehn Euro finden wir immer wieder, auch heute noch, fantastische Weine für alle Tage.

Weinempfehlung für Adventsabende

Welchen Wein empfehlen Sie für die gemütlichen Adventsabende?
Nehmen Sie mal einen deutschen Spätburgunder, auch Pinot Noir genannt. Ihn gibt es in einem breiten Preisangebot. Die neuen Jahrgänge 2018 bis '21 sind eine hervorragende Wahl. Wir haben viele super Winzer in Deutschland, die erstklassige Spätburgunder produzieren. Niemand hat derzeit günstigere Weine in höchster Qualität auf dem Markt. Wo sonst sind Rieslinge für faire Preise so exzellent? Wo gibt es erstklassige Spätburgunder für günstigere Preise als in Deutschland?

Was ist mit Frankreich?
Da zahlen Sie doppelt bis zehn Mal so viel. Da wird selbst mir als Eingeweihter schlecht. Wenn man für einen Wein, für den man vor nicht mal einem Jahrzehnt 50, 100 oder 200 Euro gezahlt hat, heute 500 oder sogar 1.000 Euro und mehr hinblättern muss, dann frage ich mich: Warum? Der Wein ist ja nicht besser geworden. Die Preise dermaßen in die Höhe zu schrauben, weil die Mengen klein sind und es Menschen mit unendlich viel Geld gibt, verurteile ich zutiefst, auch, dass Wein längst an der Börse wie Goldbarren gehandelt wird.

So gelingt guter Glühwein

Wir stehen mitten im Advent. Wie stehen Sie zu Glühwein?
Wenn ich ihn selber mache, trinke ich ihn in dieser Jahreszeit gerne, weil ich ja weiß, was drinnen ist. Aber die Plörre, die man zum Teil auf den Märkten angeboten bekommt, würde ich niemandem empfehlen und auch nicht trinken. Wer keinen gescheiten Rotwein dafür nimmt, kann nix Gescheites erwarten. Hitze und Gewürze allein machen keinen guten Glühwein. Ich nehme eine gute Flasche Rotwein, kräftig, aber mit wenig Gerbstoff. Sie können auch einen halbtrockenen bis süßen Weißwein dazu mischen, dann benötigen Sie weniger Zucker. Nehmen Sie etwas frisch gepressten, gefilterten Orangensaft. Wenn der Glühwein dann nicht süß genug schmeckt, nehmen sie ein paar Löffel, nach Geschmack, Honig. Glühweingewürze wie Nelken, Zimt dazu und – wenn Sie mögen, noch etwas Rum, fertig.

Paula Bosch: Eingeschenkt, ZS Verlag, 23 Euro
Paula Bosch: Eingeschenkt, ZS Verlag, 23 Euro © ZS Verlag

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