"Es geht um viel Geld und zukünftige Rüstungsmärkte"

MÜNCHEN - Wer wird gewinnen, Meinungsfreiheit oder Geschäftsinteressen: Die Firma Diehl will einem Journalisten verbieten, zu behaupten, dass der Konzern "Streumunition" produziere. Aber warum?
Wer wird gewinnen: Das Recht auf Informations, Meinungs- und Pressefreiheit oder die Image- und Geschäftsinteressen eines deutschen Rüstungskonzerns? Darüber entscheidet das Landgericht München I am Montag in einer öffentlichen Verhandlung - ein Prozess zwischen David und Goliath: Der milliardenschwere Nürnberger Rüstungskonzern Diehl will unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250 000 Euro einem Regensburger Journalisten den Mund verbieten lassen. "Unter anderem produziert man Streumunition" hatte Stefan Aigner (35) in seiner Kolumne des kleinen Online-Magazins "regensburg-digital.de" über die Traditionsfirma Diehl geschrieben. Und genau diese Aussage soll er nie wieder verbreiten dürfen. Aber warum?
"Kriegsmusterbetrieb"
Tatsache ist, dass der Rüstungskonzern, der bereits im Nationalsozialismus als "Kriegsmusterbetrieb" durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen bei der Produktion von tödlichen Waffen hohe Profite erzielte, über Jahrzehnte an der Produktion von Streumunition gut verdient hat. Seit sich jedoch rund 100 Staaten im vergangenen Jahr bei einer Konferenz in Dublin darauf verständigt haben, die für Zivilisten besonders gefährliche und tödliche Streumunition international zu ächten und die weitere Produktion und Anwendung zu verbieten, ist der Nürnberger Rüstungskonzern mit politischer Hilfe von ganz oben um Image und Geschäft besorgt. Und so wurden auf Druck der Bundesregierung neue Waffensysteme, die Experten als so genannte "intelligente Streumunition" bezeichnen, in letzter Minute von der Verbotsliste gestrichen. Deutschland hatte damit gedroht, seine Unterschrift unter die Konvention andernfalls zu verweigern.
"Punkt-Ziel-Munition"
Diese "alternative Streumunition" der "Gesellschaft für intelligente Wirksysteme" (GIWS) sei für das Kooperationsunternehmen der Rüstungsfirmen Diehl und Rheinmetall ein Milliardengeschäft, sagt Thomas Küchenmeister. Der Leiter des "Aktionsbündnisses Landmine.de", das 17 internationale Nichtregierungsorganisationen umfasst, zweifelt an der "Intelligenz" dieser vom Verteidigungsministerium gerne als "Punkt-Ziel-Munition" bezeichneten "alternativen Streumunition". Denn ihre angebliche "Ungefährlichkeit" für Zivilisten sei unter Militärfachleuten sehr stark umstritten und bis heute nicht nachgewiesen, kritisiert Küchenmeister.
Aigners Anwältin bezeichnet das Vorgehen der Firma Diehl "als eklatanten Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit." Britta Schön zur AZ: "Selbst im Bundestag wird darüber diskutiert, was alles unter dem Begriff Streumunition zu verstehen ist, etwa auch die neuen Diehl-Produkte." Der Rüstungskonzern wollte sich gegenüber der AZ "zum laufenden Verfahren" nicht äußern.
"Darf ich in Zukunft eine Bombe noch eine Bombe nennen? "
"Die Frage ist, wer in Zukunft die Begriffshoheit über umstrittene Waffen hat und ob der Rüstungsproduzent allen Journalisten vorschreiben kann, nur noch solche Bezeichnungen zu verwenden, die ihren Imageinteressen entsprechen", sagt Aigner: "Darf ich in Zukunft eine Bombe noch eine Bombe nennen? Oder muss ich sie vielleicht als intelligentes Wirksystem bezeichnen?"
Für das kleine mutige Online-Magazins "regensburg-digital.de" steht durch den Angriff des Rüstungskonzerns Diehl die Existenz auf dem Spiel: "Ich habe nur eine Meinung geäußert, die bereits viele vertreten haben", wundert sich Aigner. "Es liegt daher der Verdacht nahe, dass die Firma Diehl in einem Verfahren gegen einen vermeintlich schwachen Gegner eine gerichtliche Entscheidung durchsetzen will, mit der sie in Zukunft auch gegen andere Medien und Kritiker vorgehen kann."
Vermutungen
Auch Küchenmeister vermutet: "Wahrscheinlich will man ein Exempel statuieren und Kritiker abschrecken. Es geht um viel Geld, um Image und um zukünftige Rüstungsmärkte." Für Anwältin Schön ist die Argumentation der Firma Diehl noch aus einem ganz anderen Grund völlig absurd: "Österreich hat zum Beispiel auch die so genannten intelligenten bzw. alternativen Waffen als Streumunition definiert und verboten." In Zukunft könnte es also in der EU zwei Sprachregelungen für Journalisten geben - mit gravierenden Folgen für die Pressefreiheit: Wer in Österreich, staatlich abgesegnet, von der "Streumunition" der Firma Diehl sprechen und schreiben darf, könnte laut Anwältin Schön, in Deutschland schon bald mit der Vernichtung seiner beruflichen Existenz büßen.
Michael Backmund