Interview

Erster Party-Sommer in München ohne Club-Lockdown: Alles wieder ruhig?

Feiernde Jugendliche haben die Schlagzeilen im vergangenen Sommer dominiert, zeitweise drohte die Situation gar zu eskalieren. Wo sind die Feiernden jetzt alle hin? Zwei Experten haben Antworten.
von  Jan Krattiger
Wenn die Bars schließen, geht die Party hier weiter: Vor der Pinakothek der Moderne feiern Jugendliche. (Archiv)
Wenn die Bars schließen, geht die Party hier weiter: Vor der Pinakothek der Moderne feiern Jugendliche. (Archiv) © Andre Spannl

München - Die Bilder vom vergangenen Corona-Party-Sommer sind wohl vielen noch bekannt: Massenweise feiernde junge Menschen in den Straßen und auf den Plätzen, jedes Wochenende Remmidemmi, viel Müll und viele Polizeieinsätze. Auch, weil es einen "Nachtleben"-Lockdown gab, also sämtliche Clubs und Diskotheken in der Stadt geschlossen waren.

Mit Sorge blickte die Stadt darum auf den diesjährigen Sommer: würden sich die Feiernden wieder breit machen und sich den öffentlichen Raum nehmen? Zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung, also in den klassischen und in den Sozialen Medien, war davon kaum etwas zu sehen. Den gesamten Sommer über gab es kaum Polizeimeldungen und keine fetten Schlagzeilen über feierwütige Jugendliche, die durch die Stadt ziehen und eine Spur der Verwüstung hinter sich lassen.

Aber stimmt das auch wirklich? Und was steckt dahinter? Die AZ sprach dazu mit denen, die ganz nah dran sind: Kay Mayer ist der sogenannte Nachtbürgermeister, präziser formuliert der Leiter der Fachstelle Moderation der Nacht. Brigitte Gans leitet AKIM, das Allparteiliche Konfliktmanagement der Stadt München.

Beide sind viel vor Ort in der Stadt unterwegs, kennen die einschlägigen Plätze und das Partygeschehen in der Stadt so gut wie kaum jemand.

AZ: Herr Mayer, Frau Gans: Wie blicken Sie auf den nun fast vergangenen Sommer?
KAY MAYER: Es war durchaus etwas los, aber vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam wie im vergangenen Jahr. Es verteilte sich einerseits mehr. Andererseits hat das organisierte Angebot seine Wirkung gezeigt, weil die Clubs, Bars und andere Angebote der Nachtkultur wieder offen sind. Und es gibt erfreulicherweise viele Kollektive, die sich über Corona formiert haben und dazugekommen sind. Es zeigt sich also, wie wichtig gut organisierte Nachtkultur für die Stadtgesellschaft ist und dass sie bewahrt und gefördert werden sollte. Der öffentliche Raum bleibt dennoch interessant, vor allem für Leute unter 18 Jahren, die zum Beispiel noch nicht in Clubs dürfen. Da hat sich nicht viel verändert. Ich bin im Austausch mit Freizeitstätten und Kollektiven, wie man auch im Herbst mehr für die jungen Leute anbieten kann. 

BRIGITTE GANS: Da kann ich mich anschließen. AKIM kennt bestimmte Plätze, die Hotspots sind, wo wir wissen dass Leute sich verabreden. Das war in diesem Jahr der Gärtnerplatz und der Baldeplatz, aber auch der Wedekindplatz und die Gerner Brücke. Insgesamt gab es aber eher eine Verschnaufpause für den öffentlichen Raum diesen Sommer. Der Gärtnerplatz zum Beispiel war dieses Jahr wieder eher normal besucht. Das war auch in den letzten Jahren ein anderes Publikum, das da plötzlich auftauchte. Die sich eher verhalten haben wie bei einem Festival. Das hat sich wieder normalisiert, es ist eher wieder das gepflegte Treffen mit Picknickdecke oder Vorglühen. 

Für uns war dieses Jahr das Angebot AKIM Flex neu, also Honorarkräfte die wir flexibel im Stadtgebiet einsetzen können. Die haben wir aber anders eingesetzt, als gedacht. Wir hatten zum Beispiel die Rückmeldung vom Riemer See, dass es dort in den vergangenen Jahren wild und laut sei. Dieses Jahr hatten wir die Chance, uns das anzuschauen. Und am Giesinger Grünspitz hat der Bezirksausschuss gebeten, dass der Platz von uns begleitet werden soll. Da ging es darum, Informationen zu sammeln, ob eher ein Sicherheitsdienst oder eine andere Begleitung notwendig ist.

Wo wurde denn diesen Sommer draußen etwas exzessiver gefeiert?
GANS: Stark frequentiert war nach wie vor der Englische Garten und die Isar, da gibt es auch nach wie vor Handlungsbedarf. Kleine Hotspots gab es immer wieder, aber nicht die Massen wie im vergangenen Jahr. Obwohl es Nachholbedarf gibt und zum Beispiel die Freischankflächen übervoll sind, hat der öffentliche Raum eine Verschnaufpause gehabt. 

Dass die Clubs wieder offen sind, gefällt aber sicher nicht allen?
MAYER: Weil die Clubs und Bars wieder offen sind und mehr organisierte Veranstaltungen stattfinden, ist natürlich auch die Verschnaufpause für die Anwohner und Anrainer vorbei. Das nehmen wir ernst und beschäftigen uns grundsätzlich mit den unterschiedlichen Bedarfen aller Beteiligten, die in einer Stadt bestehen. Im Runden Tisch Nachtleben (AZ berichtete) haben wir die Verschnaufpause auch genutzt: Als Reaktion auf die Bedarfe im letzten Jahr gibt es jetzt eine kürzere Kommunikationskette zwischen der Polizei, dem Kommunalen Außendienst, AKIM und den Streetworkern. 

GANS: Und die Pause war auch gut, um sich Gedanken machen zu können zu den Flächen im öffentlichen Raum, die niedrigschwellig nutzbar sein könnten für Kollektive und kleinere Veranstaltungen. 

Waren Sie überrascht, dass es diesen Sommer doch so ruhig blieb?
GANS: Wir waren uns eigentlich ganz sicher, dass dieses unorganisierte Feiern auf öffentlichen Plätzen auch dieses Jahr wieder passieren wird. Das war auch die Prognose von allen Experten: Dass der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht mehr weggehen wird. Und das glaube ich auch, das wird die nächsten Jahre stärker sein als vor Corona.

MAYER: Es gibt insgesamt ein breiteres Angebot, deswegen gab es keine so deutlichen Kipp-Effekte in der öffentlichen Wahrnehmung. Es wird sich schon draußen aufgehalten, aber in erträglicherem Maß. Und die Genehmigungsbehörden haben auch gesehen, dass es Nachholbedarf gab bei den organisierten Angeboten.

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