Interview

Erste Münchner KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl: "Ich bin eher für weniger Regeln"

Das KVR hat seine erste Chefin. Hanna Sammüller-Gradl erklärt im AZ-Gespräch, warum Feiern und Lärmschutz ihr gleich wichtig sind, und warum Parken für Anwohner mehr kosten muss.
von  Christina Hertel
Hanna Sammüller-Gradl, die 38-Jährige tritt die Nachfolge von Thomas Böhle an als Chefin im Kreisverwaltungsreferat.
Hanna Sammüller-Gradl, die 38-Jährige tritt die Nachfolge von Thomas Böhle an als Chefin im Kreisverwaltungsreferat. © Bernd Wackerbauer

München - AZ-Interview mit Hanna Sammüller-Gradl: Die 38-jährige Juristin hat bis vor Kurzem das Rechtsamt der Stadt Freising geleitet. Seit heute ist sie Kreisverwaltungsreferentin.

AZ: Frau Sammüller-Gradl, Peter Gauweiler von der CSU, der früher Ihren Posten hatte, war für seine Strenge bekannt. Er wurde "Schwarzer Sheriff" genannt. Welchen Namen wünschen Sie sich?
HANNA SAMMÜLLER-GRADL: Schwarzer Sheriff passt zu mir gar nicht. So ein Sheriff sieht ja oft nur, was alles nicht läuft. Ich selbst bin kein Fan von Etikettierungen, aber ich stehe dafür ein, dass alle Bedürfnisse ernst genommen werden. Ich habe eine moderne Sicht auf die Stadtgesellschaft und will diese empathisch und kreativ gestalten.

Hanna Sammüller-Gradl: "München steht für 'leben und leben lassen'"

Wie viel Freiheit gehört zu einer Großstadt wie München?
Gerade zu München gehört viel Freiheit. München steht für "leben und leben lassen".

Passt dazu, dass der Kommunale Außendienst am Hauptbahnhof patrouilliert und Alkohol verbietet?
Es passt insofern, als dass die Alkoholverbotsverordnung befristet ist. Diese Befristung läuft jetzt aus. Es wird neu überprüft und dabei werden alle Interessen abgewogen – auch die von Sozialverbänden und Menschen, die sich dort aufhalten. Dann werden wir sehen, ob die Verordnung noch verhältnismäßig ist.

Letzten Sommer stand ein Alkoholverbot auf der Türkenstraße im Raum. Welchen Plan haben Sie, wenn sich wieder Anwohner über Lärm beschweren?
Ich habe dazu bisher keinen Plan. Damals hatten die Clubs wegen Corona zu. Es gibt derzeit kein Signal, dass das so wieder passiert. Ich trete allerdings mit dem Verständnis an, dass öffentlicher Raum eben gerade auch dem Austausch und der Kommunikation gewidmet ist. Straftaten sind natürlich tabu und dem müssten wir im konkreten Fall als KVR dann präventiv entgegentreten.

Sammüller-Gradl beim AZ-Interview.
Sammüller-Gradl beim AZ-Interview. © Bernd Wackerbauer

"Bedürfnis eines Jugendlichen nach Austausch ebenso wichtig"

Wie viel Recht auf Lärmschutz haben Menschen, die in einer Großstadt leben?
Das ist genau festgeschrieben, es gibt Schallschutzrichtwerte. Es gibt aber auch Vorschriften, wie der Schall zu messen ist. Der Lärm, den ich höre, wenn ich mich aus dem Küchenfenster lehne, ist nicht relevant. Es muss im Schlafzimmer einen halben Meter weg vom Fenster gemessen werden.

Zur Zeit demonstrieren immer wieder Menschen für mehr Platz zum Feiern im Freien. Können die sich freuen, dass jetzt Sie zuständig sind?
Sie können sich auf jeden Fall darauf freuen, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen werden. Für mich ist das Bedürfnis eines Jugendlichen nach Austausch ebenso wichtig wie das eines Anwohners nach Ruhe.

Aber wo sollen die jungen Menschen denn feiern?
Das KVR kann keine Plätze vorgeben. Denn im Zweifel werden die völlig unattraktiv für Jugendliche sein. Die suchen sich ihre Plätze schon selbst.

"Die Schanigärten finde ich sympathisch"

Wurden Sie in München auch schon mal angemeckert, wenn Ihr Stuhl draußen im Restaurant nicht im gepunkteten Bereich stand?
Das ist mir noch nie passiert, aber mir ist schon oft aufgefallen, dass die Kellner penibel darauf achten.

Wahrscheinlich haben sie Angst, dass gleich die Kontrolleure vom KVR kommen.
Ich kann verstehen, dass es nervt, wenn man seinen Stuhl zurechtrücken muss. Aber es gibt ja einen Grund: Zum Beispiel, dass der Vater mit dem Kinderwagen vorbeikommt. Platz ist eben beschränkt.

Wie weit soll sich die Gastro ausbreiten dürfen?
Die Schanigärten finde ich sympathisch, weil die zu Lasten von ruhendem Verkehr gehen und nicht zu Lasten von Raum, wo Menschen flanieren.

Sollte es noch mehr geben?
Tatsächlich müssten wir das genau anschauen. Sobald die Schanigärten Rad- oder Lieferverkehr einschränken, wäre ich vorsichtig.

"Ich hoffe, den Menschen mehr Vertrauen zu geben"

Für die meisten ist der Besuch im KVR bloß nervig. Viele haben aber richtig Angst davor, dort ihre Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren. Wie wollen Sie das ändern?
Das ist wirklich ein großes Thema für mich. Ich habe drei Semester in Frankreich studiert, ich kann eigentlich gut Französisch. An der französischen Verwaltung bin ich trotzdem gescheitert. Dieses Gefühl, das Beste zu geben, und trotzdem nicht weiter zu kommen – das hat sich bei mir eingebrannt. Deshalb ist es mir wichtig, dieses Machtverhältnis, das durch Sprache existiert, abzubauen.

Wie wollen Sie das machen?
Eine Idee ist, die Online Terminvereinbarung in verschiedenen Sprachen anzubieten. Das ist ja nur eine Kleinigkeit, aber die suggeriert: Wir haben an dich gedacht, du bist hier willkommen. Das könnte man weiter ausbauen. Im KVR arbeiten sicher viele, die eine andere Sprache fließend können. Das sollten wir nutzen.

Die Angst kommt aber ja nicht nur durch die Sprachbarriere. Werden Migranten mit einer grünen KVR-Chefin eher bleiben dürfen?
An der Rechtslage kann ich nichts ändern, das ist Landes- und Bundesrecht. Ich hoffe aber, den Menschen mehr Vertrauen zu geben. Die Zeit der Unsicherheit, in der sie nicht wissen, wie der Status ist, macht am meisten Angst. Doch wenn es die Post schafft, anzuzeigen, wo mein Paket gerade ist, warum klappt das mit Anträgen nicht auch? Meine Idee ist, dass die Leute den Status ihres Antrages online einsehen können, um nachzuvollziehen, was der Stand der Dinge ist.

"Frage mich, ob man eine Sperrbezirksverordnung so noch begründen kann"

Wann können wir uns den Weg ins KVR sparen, weil wir alles online erledigen können?
Bei Pass und Ausweis glaube ich nicht, dass ich das erleben werde. Denn da geht es um Sicherheit. Ansonsten geht es oft um Landes- und Bundesgesetze. Es gibt aber einen guten Entwurf für ein neues bayerisches Digital-Gesetz. Sobald es verabschiedet ist, kann man mehr Dienste online erledigen, zum Beispiel eine Meldebescheinigung beantragen.

Als Chefin des KVR sind Sie die Hüterin der Verordnungen. Welche gehören abgeschafft?
Evaluieren kann man sicherlich die Alkoholverbotsverordnung und die Sperrbezirksverordnung. Die hat der Bezirk von Oberbayern erlassen. Und das war, wie jeder Fan der Spider Murphy Gang weiß, in den 70er Jahren.

Warum wollen Sie die Sperrbezirke überprüfen?
Sperrbezirksverordnungen wurden "zum Schutz der Jugend und des Anstandes" erlassen. Heute können sich Jugendliche im Internet mit zwei Klicks alles anschauen. Da frage ich mich, ob man eine Sperrbezirksverordnung so noch begründen kann. Außerdem wurden die Bedürfnisse der sich prostiuierenden Menschen nicht einbezogen. Dabei kann es gefährlich sein, wenn sie ihre Tätigkeit dort ausüben müssen, wo keine Polizei schnell hinfahren kann.

"Bei der Parkraumüberwachung werde ich mich auf jeden Fall reinhängen"

In welchen Bereichen der Stadt braucht es mehr Regeln?
Für eine Regel gibt es nichts Schlimmeres, als wenn sie zwar existiert, aber nicht umgesetzt wird. Deshalb bin ich eher für weniger Regeln, die aber kontrolliert werden.

Das heißt, sie wollen mehr Kontrolleure losschicken?
Bei der Parkraumüberwachung werde ich mich auf jeden Fall reinhängen, die offenen Stellen schnell nachzubesetzen.

Wie viele sind denn offen?
Das kann ich nicht sagen. Aber der Job ist irre. In Freising bin ich mitgegangen. Wahnsinn – das ist so anstrengend. Damals ging es darum, ob die Kontrolleure ihre Pause nicht auf einer Parkbank machen können. Wer den Job einmal gemacht hat, versteht sofort, dass die Menschen eine richtige Pause brauchen, in der sie die Schuhe ausziehen und die Füße hochlegen können.

"Parkgebühren? Es sollten auf jeden Fall mehr sein als 30 Euro"

Welche Anreize für den Job wollen Sie bieten?
Man könnte der Parkraumüberwachung höherwertige Tätigkeiten übertragen wie die Freischank-Überwachung. Dafür bräuchten die Kontrolleure zwar eine Zusatzqualifizierung, könnten aber mehr verdienen. Oder man könnte versuchen, Studierende zu gewinnen, die das nebenberuflich machen.

Wie teuer sollte Parken in München sein?
Die Gebühren sind ja bereits angehoben worden. Aber zumindest fürs Anwohner-Parken kann ich sagen: Es sollten auf jeden Fall mehr sein als die 30 Euro im Jahr bisher. Da muss aber erst der Freistaat die Richtlinien schaffen.

München gilt als sicherste Großstadt. Aber das fühlt sich nicht für alle so an. Frauen haben viel mehr Angst. Wie kann sich das ändern?
Ich will, dass jede Angst ernst genommen wird. Denn auch gefühlte Ängste führen dazu, dass Menschen nicht mehr nachts U-Bahn fahren. Deshalb finde ich die Taxigutscheine, mit denen Frauen in der Nacht fünf Euro günstiger nach Hause fahren können, richtig. Da würde ich mir wünschen, dass der Betrag so erhöht wird, dass sich alle Frauen die Fahrt leisten können.

"Ich will prüfen, ob man Pässe an Automaten abholen kann"

Was haben Sie sich für Ihren ersten Monat vorgenommen?
Als Allererstes: mein Team kennenlernen. Ich will in einzelnen Bereichen eine Hospitation machen. Dann will ich die Digitalisierung für mehr Bürgerfreundlichkeit nutzen. Zum Beispiel will ich prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, Pässe an Automaten abzuholen. Auch Fundgegenstände könnte die Stadt online veröffentlichen, damit man nicht mehr ins Fundbüro muss, um nachzusehen. Dann will ich mir die Ausländerbehörde anschauen. Und dann ist da natürlich die Wiesn.

Sorgen Sie sich, dass die Besucher nach zwei Jahren Pause über die Stränge schlagen?
Ich glaube, dass sich die allermeisten so auf die Wiesn freuen, dass sie die nicht durch unschönes Verhalten gefährden.

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