Interview

Erkennen Sie die Münchner Frauenkirche am Klang?

Hören Sie mal hin: Am Freitag von 9 bis 9.30 Uhr erklingen alle Glocken der Frauenkirche. Was es damit auf sich hat, erklärt ein Glockenexperte.
von  Irene Kleber
Die "Winklerin" im Nordturm (gegossen 1451, zwei Tonnen, benannt vermutlich nach der Stifterfamilie) stammt noch aus der alten Marienbasilika, der Vorgängerin der Frauenkirche. Sie klingt wie eine Stimme aus alter, längst vergangener Zeit. Solo zu hören ist sie samstags um 17 Uhr und sonntags um 11.30 Uhr.
Die "Winklerin" im Nordturm (gegossen 1451, zwei Tonnen, benannt vermutlich nach der Stifterfamilie) stammt noch aus der alten Marienbasilika, der Vorgängerin der Frauenkirche. Sie klingt wie eine Stimme aus alter, längst vergangener Zeit. Solo zu hören ist sie samstags um 17 Uhr und sonntags um 11.30 Uhr. © Münchner Dom

München - Man sagt, viele Menschen erkennen den Klang ihrer Heimatglocke(n) aus Hunderten anderen heraus. Weil jede Kirchenglocke, ob vor 800 Jahren oder ganz neu gegossen, ihren ganz eigenen Ton hat, der das Herz anrührt - fröhlich, nachdenklich, melancholisch oder trauerschwer.

Die zehn Glocken in den beiden Türmen der Münchner Frauenkirche gehören zu den wertvollsten in Deutschland, fünf sind spätgotisch, zwei frühbarock. Die schwerste, die Salveglocke von 1490, wiegt acht Tonnen, und es hat früher zehn starke Männer gebraucht, um sie zum Klingen zu bringen.

Freitag von 9 bis 9.30 Uhr sind alle Frauenkirchen-Glocken einzeln zu hören

Am Freitagvormittag, zwischen 9 und 9.30 Uhr, wird man die zehn Glocken erst einzeln nacheinander über den Dächern der Altstadt erklingen hören - und dann alle zusammen als mächtigen Klangkörper. Aber nicht als Einladung zum Kirchgang oder für ein besonderes Fest.

Es werden Kirchenmusiker bei der Arbeit sein und die Klänge aufzeichnen - für die "nationale Glockendatenbank". In der sind schon rund 1.000 Geläute aus den Kirchtürmen des Erzbistums München und Freising erfasst. Jeweils mit Bildern, Daten und dem Glockenklang, den man dort anhören kann. Darunter sind 146 Glocken aus München.

Zuständig für die Aufzeichnung ist die Abteilung für Kirchenmusik der Erzdiözese. Die AZ hat beim Glockenreferenten Ralf Müller nachgefragt:

AZ: Herr Müller, wie kommt es, dass ausgerechnet die Glocken der Frauenkirche fehlen in der Glockendatenbank?
RALF MÜLLER: Die bisherigen Tonaufnahmen haben Störgeräusche, die durch die Innenstadtlage der Kirche normal sind. Wir wählen jetzt einen Aufnahmestandort, der relativ frei von Geräuschen ist.

AZ-Interview mit Ralf Müller: Der 58-Jährige ist ehrenamtlicher Glockenreferent im Erzbischöflichen Ordinariat München.
AZ-Interview mit Ralf Müller: Der 58-Jährige ist ehrenamtlicher Glockenreferent im Erzbischöflichen Ordinariat München. © ho

Welche Domglocke ist denn die wichtigste?
Ich würde sagen, die Salveglocke. Sie ist die tontiefste Glocke der Frauenkirche, die schwerste Glocke Münchens und läutet nur zu besonderen Anlässen.

Mit den zehn Glocken könnte man auch Lieder spielen

Können Sie die Klänge einiger Glocken beschreiben?
Die Salveglocke hat einen vollen, warmen Klang, ebenso die Frauenglocke. Die drei Glocken, die erst 2003 gegossenen wurden, klingen hell und strahlend.

Ließe sich auch ein Kinderlied spielen mit den Domglocken?
Die Tonfolge der zehn Glocken würde es erlauben, unterschiedlichste Melodien und Lieder zu spielen.

Wie oft läuten sie überhaupt?
Sie läuten drei Mal am Tag zum Angelus. Morgens hören wir dazu die "Winklerin", die 1451 gegossen wurde, mittags läutet die Frauenglocke aus dem Jahr 1617 und abends hören wir die Bennoglocke, ebenfalls 1617.

Für jeden Anlass eine andere Glocke

Donnerstags erschallt das Angstläuten. Worum geht's da?
Es erinnert an die Todesangst Jesu vor seinem Leidensweg. Da läutet die Präsenzglocke, die 1492 gegossen wurde. Vor Gottesdiensten läuten die Domglocken in unterschiedlichen Zusammensetzungen, so genannten Motiven. Sie wechseln je nach Anlass und Zeit - etwa an Ostern, Weihnachten, in der Fastenzeit oder im Advent. Auch freudige und traurige Ereignisse werden in bestimmten Motiven angezeigt.

Salveglocke ("Susanna", 1490 gegossen, acht Tonnen, Nordturm) - die tontiefste Glocke des Doms.
Salveglocke ("Susanna", 1490 gegossen, acht Tonnen, Nordturm) - die tontiefste Glocke des Doms. © Münchner Dom

Wer genau nutzt eigentlich die Glockendatenbank?
Sie ist ein überkonfessionelles Projekt, nutzen kann sie jeder, sie ist öffentlich zugänglich. In erster Linie hören Menschen hinein, die sich für Glocken interessieren, aber auch Sachverständige. Am häufigsten werden bedeutende Geläute großer Kirchen abgerufen. Durch die Tonaufnahmen wird quasi ein digitaler Fingerabdruck der Glocken archiviert. So kann man Veränderungen im Klang einer Glocke erkennen und früh auf Schäden reagieren.


Die Glockendatenbank (glocken-finder) mit Klängen von 1.000 Glocken im Erzbistum findet sich unter: createsoundscape.de

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