Erinnerungen an die Kindheit in den 60ern: Udo Jürgens ganz nah
München - Geboren 1951 in Ramersdorf (mittlerweile umbenannt in Berg am Laim) Aschheimer Straße, gleich gegenüber der Pius-Kirche und den Eisenbahner-Blöcken. Die wurden so genannt, weil in die durften nur Beamte/Angestellte der Eisenbahn einziehen.
Roswitha Stoll: Aufgewachsen in der Kinderreichen-Siedlung
München, und die Kinderreichen-Siedlung, wie sie damals hieß - meine Großeltern hatten 13 (!) Kinder -, war für uns der Inbegriff von Heimat. Wir hätten nirgends anders wohnen wollen.

Mein ein Jahr jüngerer Bruder Günter, meine Großeltern, meine Tante, und unsere alleinerziehende Mutter, waren dann noch in der 90-Quadratmeter-Wohnung. Die Onkel und Tanten sind entweder im Krieg verstorben oder weggezogen. Während unsere Mama in der Kartonagenfabrik Häring arbeiten ging, war meine Oma für uns da.
Aber nur am Nachmittag, am Vormittag mussten wir in den Pius-Kindergarten. Weil mein Bruder immer so geweint hat, und sich an den Mantelknöpfen von der Mama festklammerte, hat er von den katholischen Flügelhauben Schwestern immer Schläge auf den Hintern bekommen. Aus Solidarität hab ich immer mitgeweint.
Als man die Milch noch in Kannen holte
Es gab in unserer Straße am Eck ein Milchgeschäft, wo man Milch noch in Kannen holte, einen Obst- und Gemüseladen, Friseur und Zeitungshändler. Wenn wir Kinder für andere Familien zum Einkaufen gingen, haben wir meistens fünf Pfennig bekommen. Das war die reinste Freude, denn dann gab's mindestens einen Waffelbruch oder einen Becher Milch.
Meine Oma und andere Hausfrauen, standen in Kittelschürze und Einkaufsnetz immer ziemlich lange beim Ratschen beieinander. Einmal wurde es meinem Opa zu bunt, er ging mit einem Küchenstuhl raus, stellte ihn der Oma hin und schimpfte: "Da, damit du noch eine Stund länger aushältst."
Mein Bruder und ich waren nach der Schule immer draußen. Unsere Spielplätze waren die Wiese an den Pfanni-Werken, heutiges Werksviertel am Ostbahnhof, zum Sammeln von Blindschleichen, die wir jedes Mal abends wieder in Freiheit entließen. Der Kohlenhändler, wo wir Briketts zum Heizen mit dem Leiterwagen holen mussten. Oder die Ziegelei, am heutigen Innsbrucker Ring, wo die ersten neu angekommenen Italiener gearbeitet haben.
In der ersten Klasse wurden wir in die einzige Schule an der Führichstraße eingeschult, in der zweiten Klasse gab's dann schon die Schule am Innsbrucker Ring. Später ging's dann in die Au zu den Englischen Fräuleins. Unser Opa war nach dem Krieg Heizer bei den Amis an der McGraw-Kaserne.
Der Vorteil war, dass wir öfter mit Trockenmilchpulver, Schokolade oder Wurst in Dosen versorgt wurden. Als mein Opa in Rente ging, war sein tägliches Vergnügen, als Helfer, oder Mädchen für alles, im Gasthaus zum Glaskasten, das den Eltern des späteren Stadtrats Hermann Memmel gehörte (auch in der Aschheimer Straße), für seine täglichen Halben Bier zu werkeln.
"Großer Spaß war der Spritzenwagen"
Unser Opa hat immer Lieder gepfiffen, was wir an ihm so gemocht haben, denn wenn er nicht gepfiffen hat, dann war was nicht in Ordnung. Das Bier wurde damals zum Wirt noch in Holzfässern mit Pferd und Wagen angeliefert. So sieht man es noch zum Wiesn-Einzug.

Großer Spaß war der Spritzenwagen. Wenn es im Sommer zu heiß wurde - wir hatten heiße Sommer und noch eiskalte Winter - kam ein Tankwagen mit Wasser gefüllt, und spritzte die Straßen ordentlich nass, und wir Kinder liefen daneben her, bis wir klitschnass waren.
"Der Club gehörte eine Zeit lang der Caterina Valente"
1966 begann schon unsere frühreife Zeit, und wir gingen Tanzen. Was natürlich zu ständigem Ärger mit unserer Mutter führte. Sahara Dancing, späterer Pop Club, war unser geliebter Zeitvertreib. Der Club mit den staubigen Brüdern und Schwestern gehörte eine Zeit lang der Caterina Valente, die öfters im Club war, damals schon ein Weltstar. Und kein geringerer als Udo Jürgens, promotete ganz schüchtern, seinen erst viel späteren Erfolg, "17 Jahr blondes Haar".
Man stellt sich vor, dass der Geschäftsführer des Lokals mich gebeten hat, den Udo zum Tanz aufzufordern, damit er nicht so alleine rumsteht. Deutscher Schlager war in diesem Lokal, und in der Zeit, nicht gefragt. Der Applaus kam ganz spärlich. Schließlich tanzte man nur auf Motown-Songs und Rock 'n' Roll. Ich habe dann mit Udo auch getanzt, ich war 16, aber damals noch nicht blond.
"Ich habe dann mit Udo auch getanzt, ich war 16"
Er hatte mich auch eingeladen, in das Lokal darunter, die Crazy Alm, zu gehen, aber ich lehnte ab. Und Jahre später, nicht zu fassen, was für ein Superstar aus ihm geworden ist.
Damals gab's ja noch Jugendkontrolle, das hieß, wer im Lokal nach 22 Uhr und unter 18 angetroffen wurde, wurde des Lokals verwiesen, und die Eltern benachrichtigt. Die Bierkästen hinter einem Vorhang haben uns manchmal gerettet. Nur daheim eben nicht.
1968 ist meine Mutter mit uns Kindern, mittlerweile noch mit Schwester Doris, in die Lerchenau gezogen. Was für ein Drama für uns Kinder. Anfangs sind wir fast jeden Nachmittag mit dem Bus wieder nach Ramersdorf gefahren, um die Oma zu besuchen und unser Heimweh zu lindern.
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