Erinnerung an KZ-Tote: Stelen und Tafeln statt Stolpersteine in München

Seit Donnerstag werden in München Erinnerungstafeln und Stelen an ehemaligen Wohnhäusern angebracht – etwa in der Königinstraße. Kulturreferent Küppers: "Eine gute, eigenständige Lösung für die Stadt."
von  Felix Müller
OB Dieter Reiter im Gespräch mit Uri Siegel.
OB Dieter Reiter im Gespräch mit Uri Siegel. © Sigi Müller

München - Uri Siegel ist 95 Jahre alt, das Laufen fällt ihm schwer, er sieht nicht mehr gut. Doch am Donnerstag hat er sich aufgemacht zu einem öffentlichen Auftritt, es war ihm ein großes, ein wichtiges, ein Herzensanliegen. 100 Menschen sind an die Königinstraße in Schwabing gekommen, wo eine kleine Bühne aufgebaut ist.

Hier, im Altbau mit der Hausnummer 85, haben der Onkel und die Tante von Uri Siegel einst gelebt. Nach fast 30 Jahren in dem Haus mussten Franz Landauer, der Bruder von FC-Bayern-Präsident Kurt Landauer, und seine Frau vor den Nazis fliehen, bevor diese sie in Holland doch noch aufgriffen.

Franz Landauer starb am 10. Juli 1942 im Konzentrationslager Westerbork, Tilly Landauer wurde am 15. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. An die beiden "waschechten Münchner", wie OB Dieter Reiter am Donnerstag sagte, wird nun mit zwei Erinnerungstafeln an dem Haus erinnert.


Am Haus Königinstraße 85 erinnern nun diese Tafeln an Tilly und Franz Landauer. Foto: Sigi Müller

Stolpersteine bleiben verboten

Solche zwölf mal 17 Zentimeter großen Tafeln sollen bald an vielen Orten in der Stadt an die einstigen Bewohner erinnern, die von den Nazis ermordet wurden. Alternativ hat die Stadt auch schlanke, 1,86 Meter hohe Stelen entwickelt, auf denen ebenfalls eine Tafel angebracht ist mit Informationen über und einem Bild von dem ehemaligen Bewohner.

Stolpersteine, kleine Messingtafeln im Gehweg, bleiben auf öffentlichem Grund in München verboten. Es ist das vorläufige Ende einer langen Münchner Diskussion um die Stolpersteine. In vielen Städten gibt es diese. Doch in München fanden sich viele Kritiker – nicht zuletzt die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), die dem Kölner Künstler Gunter Demnig Geschäftemacherei vorgeworfen hat, dass die Menschen sorglos über die Tafeln auf den Gehweg trampelten – und, dass er auch Stolpersteine verlege, wo die Angehörigen das nicht wollen.

Auch Uri Siegel erzählte in der Königinstraße diese Geschichte. "Für Kurt und Tilly hatte man ohne mein Wissen – und sicher auch ohne meine Zustimmung – schon Stolpersteine vorbereitet", sagt er. Er habe bei der Stadt dagegen protestiert und bedanke sich nun sehr, dass es diese andere Form des Gedenkens geben werde.


Das Haus in der Königinstraße. Foto: Sigi Müller

Offman: Stele "eine sehr versöhnliche Lösung"

Bemerkenswert ist, dass es der Stadt nach der langen, erbittert geführten Diskussion zwischen Stolperstein-Freunden und ihren Gegnern gelungen ist, auch Stolperstein-Befürworter für die neue Form zu gewinnen. So wurde an der Mauerkirchner Straße in Bogenhausen eine Stele für Siegfried Jordan errichtet. Dessen Sohn hatte einst sogar geklagt, um Stolpersteine durchzusetzen.

Die Stele sei nun eine "sehr versöhnliche Lösung", sagte Marian Offman von der Israelitischen Kultusgemeinde. Offman betonte, es sei ein großes Anliegen der IKG gewesen, dass den Menschen auf Augenhöhe gedacht werde – nicht auf dem Boden. Er lobte, dass auch Bilder zu sehen sind. "Wir, die Landeshauptstadt, geben den Ermordeten auf den Straßen unserer Stadt ein Gesicht."

Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) sagte der AZ, er halte die Stelen und Tafeln für eine "gute, eigenständige Lösung für die Stadt". Mehrere Dutzend Interessenten gebe es bereits, die ihrer Angehörigen auch so gedenken wollen. OB Reiter lobte das Konzept: "Wir dokumentieren den breiten Schulterschluss nach langer Diskussion – und dass wir das viel beschworene 'Nie wieder' als Verpflichtung sehen." 

Doch es gibt auch Kritik an dem Beschluss. Der Verein "Respect & Remember", der gegen die Stolpersteine gekämpft hatte, kritisierte die Tafeln als zu eng an die Stolpersteine angelehnt, "sowohl in Form und Farbe als auch der Text". München habe die Chance versäumt, ein unabhängiges Gedenkprojekt zu entwickeln. Außerdem fordern die Aktivisten einen unabhängigen Kuratoren im Rathaus. Im Moment ist das Stadtarchiv zuständig.

Ganz zu Ende ist der Münchner Stolperstein-Streit also immer noch nicht.

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