Erfahrungsbericht: Das passiert bei Stammzellen-Spende, Blutwäsche und Co.

Jedes Jahr spenden einige Tausend Deutsche ihre Stammzellen, um anderen zu helfen. Die AZ-Autorin ist eine davon.
von  Anna Munkler
Anna Munkler hängt an der Blutwäschemaschine, mit deren Hilfe Stammzellen aus ihrem Blut gespült werden.
Anna Munkler hängt an der Blutwäschemaschine, mit deren Hilfe Stammzellen aus ihrem Blut gespült werden. © Katrin Lempert

München - Drei besorgte Gesichter beugen sich über mich, betrachten die mannshohe Maschine neben meiner Liege und dann die Schläuche, die in meine Arme führen. Die Ärztin und die beiden Pfleger des BRK-Blutspendedienstes testen Einstellungen, ziehen und drücken an den Schläuchen. Der Tag sei "verhext", murmelt die Ärztin. "Aber wir haben schon ganz andere Fälle hinbekommen", beruhigt mich eine Pflegerin.

Ich knete den kleinen roten Schaumstoffball in meiner Hand und starre krampfhaft an den blutroten Schläuchen vorbei auf den Tisch, der einige Meter vor mir steht. Leere Kunststoffröhrchen mit bunten Deckeln, ein paar Nierenschalen, ein Computer, Unterlagen. Auf dem Fernseher, der von der Decke hängt, läuft eine Quizshow. So also sieht er aus, der große Tag Null. Der Tag, an dem meine Zellen womöglich ein Leben retten.

Ziemlich genau zwei Monate habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet, doch begonnen hat alles viel früher: 2009 erkrankt im Allgäu ein Säugling an Leukämie, nur eine Stammzelltransplantation kann ihn retten, sagen die Ärzte. Die Familie setzt alles in Bewegung und startet gemeinsam mit der Stiftung Aktion Knochenmarkspende Bayern (AKB) eine große Typisierungsaktion.

Wie über 8.000 andere Menschen lasse auch ich mir ein wenig Blut abnehmen. Die AKB untersucht es und überträgt den Datensatz anonymisiert an das Zentrale Knochenmarkspender-Register in Ulm. Dort schlummert er über acht Jahre lang. Bis irgendwo auf der Welt ein Mensch an Leukämie erkrankt. Ein Mensch, dessen Gewebemerkmale mit meinen übereinstimmen.

Wer bekommt schon die Chance, ein Leben zu retten?

Völlig überraschend erfahre ich eines Morgens per E-Mail von diesem Menschen. Ich rufe bei der AKB an und eine Frau fragt mich, ob ich immer noch spenden möchte. Ich wüsste nicht, warum ich nein sagen sollte. Nach einer Blutabnahme für die Bestätigungstypisierung heißt es abwarten. Obwohl ich weiß, dass ich nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:6 bis 1:8 tatsächlich Stammzellen spenden darf, bin ich schon jetzt aufgeregt. Ein kleines bisschen fühlt es sich an wie ein Lottogewinn. Wer bekommt schon die Chance, ein Leben zu retten?

2017 haben in Deutschland knapp 7.000 Menschen Stammzellen oder Knochenmark gespendet. Medizinisch ist eine solche Spende - im Gegensatz zur Behandlung des Patienten - keine große Sache. In etwa einem Fünftel der Fälle wird mit einer langen Nadel ein Teil des Knochenmarks, in dem sich die Stammzellen bilden, aus dem Beckenknochen gesaugt. Eine Routineoperation, am Tag danach darf der Spender wieder nach Hause.

Meistens verläuft es aber noch unspektakulärer: Der Spender wird über die Armvenen an ein sogenanntes Apheresegerät, eine Blutwäschemaschine, angeschlossen, die die wertvollen Stammzellen aus dem Blut herausfiltert. Wie ich fünf Wochen nach der ersten Mail erfahre, soll bei mir eine solche Apherese stattfinden.

Eine Frage wird mir jetzt immer öfter gestellt: "Weißt du eigentlich, für wen du das machst?" Nein, das weiß ich nicht, Informationen über den Empfänger oder die Empfängerin kann ich erst nach der Spende und einer Sperrfrist bekommen. Aber ich weiß, dass es um das Leben eines Menschen geht.

Die meisten Stammzellspenden werden für Patienten angefordert, die an Leukämie erkrankt sind. Sie haben oft schon mehrere Behandlungsversuche hinter sich und ihre letzte Chance ist der Komplettaustausch ihres außer Kontrolle geratenen Blutbildungssystems. Dazu werden gesunde Blutstammzellen benötigt.

Für zwei Drittel dieser Patienten gibt es keine geeignete Person in der eigenen Familie, sie sind auf einen völlig Fremden angewiesen. Dank eines internationalen Netzwerks können heute Transplantationszentren aus aller Welt auf die Daten von Millionen Spendewilligen zugreifen, auch auf die rund 310.000 Typisierten im Register der AKB.

Zur Voruntersuchung muss ich zur AKB nach Gauting. Die Spenderambulanz der Stiftung liegt auf dem Gelände einer Privatklinik. Im Empfangszimmer steht ein Holztisch, an den Wänden hängen sauber gerahmt Zeitungsartikel und anonyme Briefwechsel zwischen Spendern und Empfängern. Es riecht nach Arztpraxis, aber es fühlt sich nicht nach Krankheit an. Einer nach dem anderen stecken die drei gut gelaunten Ärzte der Spenderambulanz ihren Kopf durch die Tür und stellen sich vor.

Nachdem ich einen Fragebogen ausgefüllt habe, geht es los. Eine Ärztin untersucht mich im wahrsten Sinne des Wortes auf Herz und Nieren: Blutentnahme, Ultraschall, EKG, Röntgenaufnahmen. Dann werde ich gemeinsam mit einem anderen zukünftigen Spender aufgeklärt und wir können Fragen stellen.

Nach fünf Stunden entlässt die AKB mich nach Hause. Mit einem Berg an Informationen, die es zu verarbeiten gilt, und mit einer Kühltasche voller Spritzen für die sogenannte Mobilisierung. In meinem Kopf herrscht Chaos. Da sind gute Gedanken: Ich kann vielleicht ein Leben retten und ich bin absolut gesund. Aber da sind auch Ängste: Ich soll mich selbst spritzen und das Mittel kann starke Nebenwirkungen haben. Immer lauter werden die Fragen in meinem Kopf, die mir niemand beantworten kann: Wie geht es dem Empfänger jetzt? Denkt er so oft an mich, wie ich an ihn? Hat er Angst?

674 Millionen Stammzellen werden an diesem Tag gewonnen

Bei der Voruntersuchung wurde mir eindringlich erklärt, dass ich rechtlich gesehen jederzeit von der Spende zurücktreten kann. Doch sobald die Ärzte mich für gesund befinden und als Spenderin freigeben, könnte ein Abbruch des Vorgangs ein Todesurteil sein.

Der Empfänger wird zehn bis zwölf Tage vor der Spende auf die Transplantation vorbereitet. Eine hochdosierte Chemotherapie und eine Bestrahlung zerstören sein Immunsystem. Ohne meine Stammzellen hat dieser Mensch dann keine Chance mehr und diese Verantwortung setzt mir zu.

Als ich vier Tage vor der Spende zum Hausarzt gehe, um mir unter Aufsicht die erste Mobilisierungs-Spritze zu verabreichen, bin ich ein wenig erleichtert. Bald ist es vorbei. Eine Arzthelferin setzt sich neben mich und erklärt geduldig, was ich tun soll. Etwas skeptisch drücke ich meinen Bauchspeck zusammen und steche einigermaßen beherzt zu. Ich bin überrascht, wie einfach das ist.

Die nächsten Tage gibt es jeden Morgen und jeden Abend eine Spritze. Darin befindet sich ein Botenstoff, der dem Knochenmark eine vermeintliche Infektion meldet und die Produktion von Blutstammzellen anregt. Ich spritze mir so viel davon, dass diese Zellen aus dem Knochenmark in mein Blut gespült werden. Die Nebenwirkungen sind erträglich, von den Schmerzmitteln, die ich extra mitbekommen habe, brauche ich viel weniger als erwartet.

Und dennoch hat mein Knochenmark gute Arbeit geleistet: Beim BRK-Blutspendedienst, der die Entnahme für die AKB ausführt, ist man mit meinen Werten am Tag Null sehr zufrieden. Obwohl die Venen Probleme machen, ist die Prozedur nach dreieinhalb Stunden vorbei.

Als die Pfleger endlich vorsichtig die Schläuche aus meinen schmerzenden Armen ziehen, ist das gesamte Blut meines Körpers genau 2,3 Mal durch die Maschine gelaufen. Dabei wurden 674 Millionen Stammzellen gewonnen, die jetzt ein Kurier innerhalb von 48 Stunden zum Empfänger bringt.

Zwei Beutelchen voll dunkelroter Flüssigkeit machen sich heute auf den Weg an einen mir unbekannten Ort. Sie sind das wertvollste Geschenk, das ich je jemandem machen konnte: die Chance auf ein neues Leben.


Hilfe für Leukämie-Patienten: Typisierungsaktion in Bayern

1.100 Menschen erkranken jedes Jahr in Deutschland an Leukämie. Um die Krankheit zu besiegen, sind viele der Patienten auf Stammzellen angewiesen. Deshalb ruft die Aktion Knochenmarkspende (AKB) am 25. Mai die Bürger in ganz Bayern dazu auf, sich typisieren zu lassen.

In München geht das zum Beispiel am Landratsamt (Mariahilfplatz 17), beim Referat für Gesundheit (Bayerstraße 28 a), der DAK (Rosenheimer Straße 145 i) oder dem MDK-Beratungsbüro (Haidenauplatz 1).

An jedem der Standorte stehen Lebensrettersets der AKB bereit. Man wird vor Ort registriert, mit dem Set geht's zum Hausarzt: Mit dem beiliegenden Blutröhrchen nimmt der Blut ab und führt einen Wangenabstrich durch. Der Rückversand der Probe erfolgt portofrei. Aus der Probe werden die Gewebemerkmale des Spenders analysiert. Die Daten werden anonym im weltweiten Spendernetz gespeichert.

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