Ercan schließt nach 20 Jahren seinen Münchner Body-Gym

Ercans Body-Gym ist ein Ort der Fitness, aber auch der Begegnung. Nun muss der freundliche Ercan Demir nach 20 Jahren ausziehen – und will München verlassen. In der AZ erklärt er seine Gründe.
Hüseyin Ince |
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Ein Hauch Bronx im schicken Dreimühlenviertel: Ercan Demir, auch bekannt als "Pumping Ercan", vor seinem Body-Gym in der Ehrengutstraße 1a.
Daniel von Loeper Ein Hauch Bronx im schicken Dreimühlenviertel: Ercan Demir, auch bekannt als "Pumping Ercan", vor seinem Body-Gym in der Ehrengutstraße 1a.

München - Seit Jahrzehnten stemmt Ercan Demir schweres Eisen im Dreimühlenviertel. Bizeps, Trizeps, Rücken, Schultern: All seine Lebenserfahrung gibt er bald an einem anderen Ort weiter. Ein Gespräch über weinende Nonnen, übergewichtige Ärzte – und Abschied.

AZ: Herr Demir, wie hat eigentlich alles begonnen mit Ihrem Body-Gym?
ERCAN DEMIR: Es war 1999. Ich habe den damaligen Inhaber besucht. Er sprach darüber, dass er das Body-Gym übergeben will. Als Bodybuilding-Juniorenweltmeister und -Vizeweltmeister sah er in mir einen passenden Nachfolger.

War diese Begegnung Schicksal? Sie wollten ja nur kurz Hallo sagen.
Ich glaube daran, dass Lebenslinien grob vorbestimmt sind. Und auf denen landet man immer wieder. Sicher eine Art Schicksal, ja.

Ercans Body-Gym als Ort der Geborgenheit

War dieser Ort immer eine reine Arbeitsstätte für Sie?
Nein, viel mehr. Es ist ein Ort der Meditation, des Wohlfühlens und der Geborgenheit. Ein Kontrast zur Stadt. München ist anonym genug. Wir kennen uns hier alle beim Namen.

Nun müssen Sie raus. Wann eigentlich genau?
Am 24. März sperre ich zum letzten Mal ab. Dann sind exakt 20 Jahre vergangen. Auf den Tag genau.

Und seit wann wissen Sie, dass Sie ausziehen müssen?
Seit etwa anderthalb Jahren.

Also ist es keine Überraschung für Sie.
Nein. Als ich die Info bekam, dachte ich mir: Hey, noch anderthalb Jahre! Aber die Zeit ging sehr schnell vorbei. Als ich das Studio übernahm, dachte ich mir: Nach zehn Jahren ist bestimmt Schluss. Es wurden zwanzig. Und ich hab’ eigentlich noch nicht genug.

"Viele der Nachbarn hier mussten noch nie für ihr Geld arbeiten"

Gehen Sie mit Wut?
Nein, überhaupt nicht. Es tut mir nur leid um die Mitglieder des Body-Gym. Manche sind schon 40 Jahre dabei und um die 70 Jahre alt. Einige haben gesagt, sie würden auch den dreifachen Monatsbeitrag zahlen, damit es weitergeht. Aber daran liegt es ja nicht.

Woran liegt es denn?
Der Eigentümer ist gestorben. Er war sehr wohlhabend und sozial. Das war mein großes Glück, mitten in München für eine relativ geringe Miete meinen Traumberuf ausüben zu dürfen. Für die Erben jedenfalls lohnt es sich nicht, das Haus so beizubehalten. Sie haben es mir verständlich erklärt. Es klang vernünftig. Das Gebäude wird abgerissen und ersetzt.

20 Jahre voller Lachen, Schweiß, Blut und Tränen

Sind Sie traurig?
Ich glaube, die Trauer wird kommen, wenn ich hier tatsächlich raus bin. Ich habe nicht einmal die Bilder abgehängt, weil es auch für die Mitglieder so sein soll wie immer, bis zum letzten Tag. Ich habe hier gelacht, geschwitzt, geblutet, geweint – 20 Jahre lang. Es wäre verlogen, wenn ich schmerzfrei loslassen könnte. Ich war hier Putzmann, Hausmeister, Vizeweltmeister, Trainer, Gesprächspartner – einfach alles.

Haben Sie Angst vor der Zeit danach?
Ich bin kein ängstlicher Mensch und Optimist. Wenn ich hier abschließe, gehe ich mit mir, nicht ohne mich. Ich nehme mich mit. Ich kann diesen Job überall auf der Welt ausüben.

Haben Sie schon Pläne?
Ich hätte unheimlich gerne hier weitergemacht. Hier in einem kleinen Rahmen, wie in einer größeren Wohnung, kann ich den Menschen am meisten von meiner Lebenserfahrung und sportlichen Philosophie weitergeben. Ich esse, koche und lebe hier, habe über die Jahrzehnte alles so eingerichtet, wie ich mich wohlfühle. Und deshalb fühlen sich auch alle meine Mitglieder wohl, glaube ich.

"Wer Vertrauen schenkt, bekommt Vertrauen zurück"

Was werden Sie also ab dem 24. März tun?
Mein vorrangiges grobes Ziel ist, Menschen zu helfen, die das auch wollen. Mir geht es um Vertrauen. Sie werden hier im Gym niemanden an der Getränketheke finden. Wer hier trainiert, nimmt sich, was er will, ob Essen oder Getränke – und lässt einfach Geld da. Manchmal bin ich fünf Stunden nicht da. Ich vertraue meinen Mitgliedern. Und wenn mal drei Euro in der Kasse fehlen, werde ich nicht arm davon. Wer Vertrauen schenkt, bekommt Vertrauen zurück.

Klingt sympathisch. Aber noch mal, was werden Sie machen nach dem 24. März?
Noch habe ich keine genauen Pläne, aber ich werde mich sicher nicht dem Immobilienwahnsinn der Stadt unterordnen. Im Gegenteil.

Wie meinen Sie das?
Ich möchte langfristig München verlassen, ich werde Deutschland verlassen. Irgendwohin, wo es sonniger ist.

Warum haben Sie so eine radikale Entscheidung gefällt? Sie wohnen hier ja ganz in der Nähe seit 20 Jahren.
So viel Zeit, wie ich hier im Gym verbracht habe, hätte ich dort nur ein Bett gebraucht, nicht mal einen Schrank. Außerdem hat sich das Viertel stark verändert.

Inwiefern?
Früher, wenn es laut wurde nach Mitternacht, hat man mit den Leuten freundlich gesprochen und es wurde leiser. Heute, wenn im Innenhof nach 24 Uhr weitergesoffen wird und man freundlich um etwas mehr Ruhe bittet, wird man beschimpft.

Was war die Antwort genau?
"Verpiss dich, du Penner." Das muss ich nicht haben, nachdem ich zwölf bis 14 Stunden gearbeitet habe und nur schlafen will. Mittlerweile wohne ich nicht gerne hier. Leider.

"Mein Motto ist das Gegenteil von München"

Warum wird der Ton rauer?
Es drängt ein neues Milieu ins Viertel. Leute, die noch nie für ihr Geld arbeiten mussten. Eine neureiche Erbengeneration, glaube ich. Einigen fehlt irgendwie der Respekt gegenüber Mitmenschen. Das sind häufig Leute, die tagsüber schlafen und nachts feiern. Alles wird luxussaniert. Einfache Leute, aber auch Akademiker ziehen weg, können sich die Mieten nicht mehr leisten. Aber es ist nun mal so. Es wird viel lauter. Und wer das nicht will, der zieht eben weg, so wie ich bald.

In welches Land möchten Sie ziehen?
Richtung Süden. Ich sehne mich nach Wärme und Meer. Mir reicht ein Hund, ein Fahrrad und viel Sonne. Italien oder Spanien ist möglich. Eventuell auch Türkei. Mein Motto lautet: geringer Lebensstandard, hohe Lebensqualität – also das Gegenteil von München.

Erkennt man das neue Milieu auch an überdimensionalen Luxus-Schlitten mit mehreren hundert PS?
Ich habe nichts gegen Reichtum. Dafür arbeiten viele hart. Der eine will schöne Schuhe, der andere ein schönes Auto. Ich würde mich sogar Freude, wenn hier mal zwei Lamborghini und ein Ferrari stehen würden. Dann könnte ich die Dinger mal aus nächster Nähe sehen. Entscheidend ist doch, wie die Leute ticken.

"Anfangs wechselten die Leute die Straßenseite"

An welche Begegnungen in Ihrem Münchner Gym werden Sie sich immer erinnern?
Grundsätzlich an Menschen, die geweint haben, genau dort, wo Sie jetzt sitzen.

Warum das denn?
Das habe ich sie auch gefragt. Und viele sagten: Ich habe das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass mir jemand zuhört. Das hat mich immer gerührt und bereichert.

War das von Anfang an so?
Nein, zunächst musste ich mir das Vertrauen der Menschen hart erarbeiten und Klischees durchbrechen: Türke, Bart, viele Muskeln. Anfangs wechselten einige Leute die Straßenseite, wenn sie mich in der Gegend gesehen haben. Viele dachten: Bodybuilder sind Doofköpfe und stemmen sinnlos Eisen. Dabei ist es so: Professionelle Bodybuilder wissen ganz genau, was sie wollen. Sie ticken einfach ein bisschen anders.

Bizeps wie ein Oberschenkel

Damals hatten Sie viel massivere Muskeln oder?
Ich wog eine Zeit lang über 120 Kilogramm und hatte einen Fettanteil von sechs Prozent an meinem Körper.

Wie groß war Ihr Bizeps während Ihrer Hochform?
57 Zentimeter Umfang. So wie Ihr Oberschenkel etwa. So eine Muskelmasse kann man aber nicht lange halten. Dafür muss man den ganzen Tag essen und trainieren.

Zurück zu den Begegnungen: An welche Menschen erinnern Sie sich besonders gut?
An eine Nonne. Sie saß mal hier auf dem schwarzen Sofa, ich glaube 2014 oder 2015, in komplettem Gewand.

Traurige Begegnung mit einer Nonne

Okay, da stellen sich viele Fragen.
Die Geschichte war großartig und traurig zugleich. Sie hatte mit der Vergangenheit zu tun. Die Frau hatte vor etwa 40 Jahren begonnen, in dem Gym zu trainieren, das ich 20 Jahre später übernommen habe. Sie war damals die erste Deutsche Meisterin im Gewicht-Training, so hieß damals Bodybuilding. Später entschied sie sich, als Nonne zu leben.

Und warum kam sie zu Ihnen?
Sie war auf mich über Youtube-Videos aufmerksam geworden, in denen ich Sophia Thiel coache, eine erfolgreiche Fitness-Youtuberin. Da geht es um bewusste Ernährung, Bewegung, Gesundheit und Harmonie, um die Herausforderungen des Alltags zu meistern. Die Nonne stellte also fest, dass mir dieses Gym gehört. Also beschloss sie, mir ihre Wertgegenstände zu vermachen, die sie in einer kleinen Kiste dabei hatte: Gold- und Silberschmuck.

Wie reagierten Sie?
Ich verstand das alles nicht und fragte: warum? Dann nahm sie ihre Haube ab. Sie hatte keine Haare mehr, war in Chemotherapie und wusste, dass sie innerhalb von zwei Monaten sterben wird. Ich werde das nie vergessen. Sie sagte: Ich kann deine Seele lesen.

"Wir Menschen sind manchmal wie Schafe"

Erinnern Sie sich an eine zweite Begegnung?
Ja, ein Krankenhaus-Arzt aus Saarbrücken. Er war extra angereist, um drei Tage mit mir gemeinsam zu trainieren. Er wurde seine Pfunde einfach nicht los, weinte und hoffte auf Tipps von mir. Wir trainierten drei Tage gemeinsam, und ich erstellte ihm einen individuellen Ernährungsplan. Das fand ich schon beeindruckend, dass ein Arzt bei mir Rat suchte. Er war ebenfalls über Youtube auf mich gestoßen.

Was haben Sie daraus geschlossen?
Dass jeder hin und wieder guten Rat von außen braucht. Wir Menschen sind manchmal wie Schafe, glaube ich. Auch wenn offensichtlich links die Wüste ist und rechts die saftig-grüne Wiese, gehen die meisten Schafe den vorderen nach, auch wenn sie Richtung Wüste abbiegen. Wir sind alle verführbar zur schlechteren Alternative. Da muss man den Kopf heben, um doch in Richtung Wiese zu laufen und glücklich zu sein.

Ist Kraftsport der Weg zum Glück?
Für manche schon. Aber das gilt nicht für jeden. Auch Yoga, Joggen, Meditieren oder Religion kann glücklich machen.

Oder eben Bodybuilding?
Für mich war es völlig natürlich, Muskeln aufzubauen, eine Art Pflicht. Beobachten Sie mal ein Baby. Das ist das Erste, was es macht: Muskeln aufbauen, um stabil gehen und stehen zu können, um sich festzuhalten, um sich vernünftig bewegen zu können, um aktiv zu leben.

"Millionär? Ich möchte zum Zeitmillionär werden"

Wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt: Ich möchte so aussehen wie Sie vor 20 Jahren, mit diesen Muskelbergen, was sagen Sie ihm dann?
Ich schaue mir die Person an und versuche herauszufinden, ob sie das wirklich möchte und ob das sinnvoll sein könnte. Was ich gemacht habe, war Leistungssport. Und wie wir wissen, ist Leistungssport nie gesund. Diese Gefahren spreche ich immer an.

Sie waren als Kind und Jugendlicher ein talentierter Fußballer, haben bei Bayern und Sechzig gespielt. Ein Kreuzbandriss stoppte Sie. Als Bodybuilder wurden Sie Vizeweltmeister und hatten einen Bizepsriss, der Sie aufhielt. Ist das Ende von Ercans Body-Gym ein weiterer Rückschlag?
Keinesfalls. Ich habe 20 Jahre lang alles gegeben und werde auch künftig einen Job haben.

Welches Ziel haben Sie jetzt noch?
Ich möchte Zeitmillionär werden. Kein Geldmillionär. Und so gut die Zeit hier im Gym gewesen ist: Dieser Ort war auch ein goldener Käfig für mich. Ich werde mehr Freiheiten haben und sehe das alles als große Chance.

Werden Sie eine Abschlussfeier machen?
Ich plane einen Tag der offenen Tür. Das können wir jetzt gleich festlegen: 9. März sieht doch gut aus. Da kann jeder hier eintreten, sich alles ansehen und kostenlos trainieren. Alle sind willkommen.

Lesen Sie hier das Interview mit dem Betreiber des Café Kosmos: "Das Glockenbach ist tot"

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