„Er wollte sein Leben ändern“

Am Dienstag wird das Urteil gegen die U-Bahnschläger gesprochen. Ein Kumpel von Serkan und andere Münchner Türken erzählen, was sie von dem Täter halten.
von  Abendzeitung
Er hat sich seine Zukunft verbaut: am Dienstag wird Serkan (21) verurteilt. Der Staatsanwalt forderte 12 Jahre Haft wegen versuchten Mordes.
Er hat sich seine Zukunft verbaut: am Dienstag wird Serkan (21) verurteilt. Der Staatsanwalt forderte 12 Jahre Haft wegen versuchten Mordes. © dpa

MÜNCHEN - Am Dienstag wird das Urteil gegen die U-Bahnschläger gesprochen. Ein Kumpel von Serkan und andere Münchner Türken erzählen, was sie von dem Täter halten.

Der Himmel über der Freischützstraße ist kleiner als anderswo. Die kantigen Wohntürme schneiden Ecken in die Wolken, werfen Schatten auf das satte grüne Gras. Hier wohnte Serkan, der U-Bahnschläger. Nebenan lebt X. Der kennt ihn gut.

X, der seinen echten Namen nicht nennt, lehnt an der gläsernen Haustür eines Wohnblocks. „Wir haben zusammen Bier getrunken, beim Getränkemarkt“, sagt der 18-jährige Schreinerlehrling über seinen Kontakt mit Serkan. Er deutet mit dem Kinn nach rechts, die Hände in den Hosentaschen. „Er hat oft von seiner Familie erzählt, dass er einen Kinderwagen und Socken für seine Tochter gekauft hat.“ Serkan hatte einen Plan: „Er war auf Jobsuche. Er wollte sein Leben ändern.“

Anklage: Mordversuch

Das war Mitte Dezember – ein paar Tage später, am 20., schlug der junge Papa Bruno N. den Schädel ein. Der pensionierte Lehrer hatte ihn und Spyridon L. (18) ermahnt, nicht in der U-Bahn zu rauchen. Am Dienstag fällt der Richter das Urteil. Anklage: Mordversuch. Der Staatsanwalt fordert deshalb neun Jahre Haft für Spyridon und zwölf für Serkan(21). Vielleicht wird es weniger: Beide gestanden die Tat und sie waren betrunken. Die Anwälte plädierten auf Körperverletzung mit deutlich niedrigeren Strafen – für den älteren Serkan maximal vier Jahre.

Nach dem Angriff auf Bruno N. hatten die Münchner Angst in der U-Bahn. Roland Koch und Josef Schmid machten junge Straftäter mit Migrationshintergrund zum Wahlkampfthema. Serkan wurde zu Münchens ungekannter, dunkler Seite. Ein Negativ-Star. Ein Idol wurde er nicht. Junge Türken nennen ihn „Mongo“, „Hässlicher“ oder „Armer Typ“.

"Eine Schande"

„Serkan ist eine Schande für unser Land“, schimpft Sercan(20), Maler-Azubi aus Neuperlach. Seine Freundin Arzu stimmt zu: „Die Welt sieht uns Türken jetzt mit anderen Augen“, sagt die Einzelhandelskauffrau. „Der soll die höchste Strafe bekommen. Dass er draus lernt.“ Serkan ist nicht mal bei Schlägern beliebt. „Einen alten Mann zu schlagen ist niveaulos“, sagt Adem (17).

Der Realschüler mit den gegelten Haaren und den Brillis im Ohr wurde mit 15 wegen Körperverletzung angezeigt – er ist auch noch stolz darauf. „Wenn, dann gleich alt und gleich stark“, sagt er. Alte Männer aber sind tabu. Als Serkan den 76-Jährigen verprügelte, brach er dieses Gesetz.

„Die Jugendlichen sagen, Serkan beschmutze ihre Ehre, weil er den Wert, Ältere nicht zu schlagen, nicht respektiert hat“, sagt Susanne Korbmacher, Vorsitzende von „Ghettokids“. Die 250 Jugendlichen aus dem Hasenbergl, die sie betreut, hassen Serkan. „Sie sind keine Engel, aber sie schämen sich, dass er Türke ist.“

Gewalt an sich lehnen viele der Kids nicht ab. „Aber ein Kampf muss fair sein“, sagt Korbmacher. Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat dasselbe Phänomen beobachtet: „Der alte Mann konnte sich nicht wehren – da verbietet sich für junge Türken jede Form von Identifikation.“

Drogen, Alkohol – und Gewalt

Dabei führen viele ein ähnliches Leben wie Serkan: Drogen, Alkohol – und Gewalt. Serkans Vater brach ihm das Nasenbein. Der Sohn schlug sogar seine Mutter. Er trank und nahm Drogen. Doch als seine kleine Tochter auf die Welt kam, sollte alles anders werden. Im November 2007 zog Serkan mit seiner Freundin Natascha nach Englschalking in die Freischützstraße. „Er war ruhig, kein bisschen aggressiv“, sagt X.

Trotzdem verboten ihm seine älteren Brüder schnell den Umgang mit Serkan. „Der hatte schon den Ruf weg aus dem Harthof.“ Auch in seinem neuen Leben kam der Schläger nicht richtig an.

X fragt sich noch heute, warum Serkan ausgerastet ist. Er schiebt die Schuld auf Spyridon: „Der hat ihn angestiftet.“ Und auf Bruno N.: „Der Alte hat ihn wohl dumm angemacht.“ Eine Entschuldigung sei das nicht. „Da brauch’ ma gar nicht reden, was er gemacht hat, geht gar nicht.“ Trotzdem tut Serkan seinem alten Freund X leid. „Weil er sich selbst so enttäuscht hat.“

Thomas Gautier

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.