Er soll Wiesn-Chef werden: Darum holt Dieter Reiter Ingolstadts OB nach München

München - Ob er ein Feminist ist? Bei der Frage muss Christian Scharpf (SPD) lange überlegen. Seine Antwort: „Meine Frau und ich führen eine gleichberechtigte Partnerschaft.“ Er räume auch die Spülmaschine aus, er wolle, dass seine zwei Töchter die gleichen Chancen haben wie seine beiden Söhne. „Und es wäre mir nie in den Sinn gekommen, von meiner Frau zu verlangen, dass sie mit mir nach Ingolstadt gehen soll.“
So kommt es, dass der 53-Jährige ein ungewöhnliches Familienleben führt: Seine Frau Stephanie Geith, die am Uniklinikum rechts der Isar habilitiert, und seine Kinder (zwei, sechs, neun und elf Jahre alt) leben in der Maxvorstadt. Und Christian Scharpf ist OB in Ingolstadt. Wenn es hochkommt, pendle er einmal unter der Woche nach München. Ansonsten sehe er seine Familie am Wochenende.
2026 ist wieder Wahl in Ingolstadt. Würde er noch einmal gewählt, würde er die „schönsten Jahre des Aufwachsens versäumen“, sagt er. Und deshalb sei für ihn klar gewesen: „Ich kann nicht noch einmal antreten.“
Doch was wird dann aus ihm? Seit Dienstagvormittag ist offiziell klar: Christian Scharpf wird wohl Wirtschaftsreferent. OB Dieter Reiter (SPD) und der SPD-Parteichef Christian Köning haben ihn als Kandidaten auf einer Dachterrasse im Werksviertel vorgestellt.

Dazu muss man wissen: Die Amtszeit von Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) endet Anfang März 2025. Die SPD hat ein Vorschlagsrecht. Das hat sie mit den Grünen im Koalitionsvertrag vereinbart. Ausschreiben werde die Stadt die Stelle trotzdem, sagte Köning. Auch, wenn sich intern seit Monaten anbahnt, wer es werden soll: Christian Scharpf.
Reiter kennt den Ingolstädter OB schon lange
Als einen „politischen Coup“ bezeichnet Dieter Reiter das Ganze. Er hatte die Idee. Reiter kennt Scharpf lange: Der Jurist arbeitete 20 Jahre für das Münchner Rathaus. Erst in der Rechtsabteilung, dann als persönlicher Mitarbeiter von Christian Ude, schließlich unter Reiter im Direktorium.
Doch wie wird jemand, der seinen Lebensmittelpunkt in München hat, OB in Ingolstadt? Scharpf wuchs dort auf, machte dort seine Lehre zum Bankkaufmann, lernte mit 20 seine Frau in der Tanzschule kennen, trat 1988 in die SPD ein.
2018 hätten ihn SPD-Bekannte gefragt, ob er nicht kandidieren wolle. Ingolstadt wurde bis zu dem Zeitpunkt 48 Jahre von der CSU regiert. Wenn Scharpf das erzählt, klingt es, als hätte er selbst nicht an einen Sieg geglaubt. Tatsächlich aber holte er in der Stichwahl fast 60 Prozent der Stimmen. Allerdings gibt es im Ingolstädter Stadtrat keine stabilen Mehrheiten. Trotzdem gelang es Scharpf, einen Haushalt zu verabschieden, Anteile der Stadtwerke zurückzukaufen, den ÖPNV auszubauen.
All das hat auch Reiter beobachtet. Er habe Scharpf immer wieder getroffen. Zum Oktoberfest. In der Weihnachtszeit. Im Frühling. Und schließlich sagte Scharpf zu, seine Amtszeit in Ingolstadt ein Jahr früher zu beenden, um im März 2025 Wirtschaftsreferent zu werden.
Vom Wirtschaftsreferat zum OB? Reiter ist das gelungen
Reiter war auch einst Wirtschaftsreferent, bevor er OB wurde. In dem Amt kann man sich bekannt machen. Ein Wirtschaftsreferent ist nicht nur für die Stadtwerke und die Münchner Unternehmen, sondern auch für die Wiesn verantwortlich. Und von Scharpf kann man nette Fotos erwarten: Er spielt in einer Blaskapelle, läuft jedes Jahr beim Trachtenumzug mit.
Wechselt Scharpf also wirklich nur für die Familie? „Wenn es mir nur um das OB-Amt ginge, könnte ich in Ingolstadt bleiben“, antwortet Scharpf. Und: „München hat einen sehr guten OB.“ Der hat zwar angekündigt, 2026 noch mal zu kandidieren. Allerdings ist er dann bereits 68. Kann er ausschließen, seine Amtszeit vorzeitig zu beenden? „Ich kann überhaupt nichts ausschließen“, antwortet Reiter. Das Herzinfarktrisiko sei riesig. Aber: „Wenn ich nach Amerika schaue, dann denk ich mir: Mann, bin ich jung.“ Eine Anspielung auf den 81-jährigen Joe Biden, der wieder US-Präsident werden will. Seine Amtszeit wolle er erfüllen, sagt Reiter auch.
Und dann gebe es ja noch ein paar Namen, die als Nachfolger genannt werden. Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) etwa. Die sagt, dass sie Scharpf seit Jahren kenne, schätze, sich auf die Zusammenarbeit freue. Ob Reiter seinen „Coup“ mit ihr abgesprochen hat? Eher nicht. Zumindest sagt er: „Ich habe den Vorschlag nicht bis tief in die Nacht mit meiner Partei diskutiert.“
Für die CSU ist klar: Sie wird Scharpf nicht wählen
Auch mit den Grünen nicht. Die SPD habe sie informiert, persönlich vorgestellt habe sich Scharpf noch nicht, sagt Fraktionschef Sebastian Weisenburger zur AZ. Dazu solle er bald Gelegenheit bekommen.
Ein klares Bekenntnis, dass die Grünen ihn im Oktober wählen, ist das nicht. Die CSU hat sich dagegen entschieden. CSU-Chef Manuel Pretzl: „Wer als gewählter OB sein Amt aufgibt, sobald sich eine neue Karriere-Chance ergibt, nimmt den Wählerwillen offenbar nicht besonders ernst.“