Er kann mehr als das Internet: Mini-Baumarkt aus München ist seit 144 Jahren im Geschäft

Wörle Eisenwaren verkauft 10.000 verschiedene Kleinst-Eisenteile auf 60 Quadratmetern in der Münchner Maxvorstadt. Wie überlebt man damit seit 1879? Ein AZ-Besuch bei Inhaber Guido Färber.
von  Irene Kleber
"Malens doch das mal auf", sagt Guido Färber zu Kunden, die etwas suchen, von dem sie nicht wissen, wie es heißt. Dann findet er's.
"Malens doch das mal auf", sagt Guido Färber zu Kunden, die etwas suchen, von dem sie nicht wissen, wie es heißt. Dann findet er's. © Irene Kleber

München - Nehmen wir an, Sie würden so ein Fensterdings suchen, also so ein Metallteil, an dem man einen Böppel herausschnappen lassen muss, damit die zweite Fensterhälfte aufgeht. Altbaufenster übrigens, da ist ein Teil abgebrochen, und zwar so blöd, dass jetzt der Flügel gar nicht mehr aufzumachen ist. Wo würden Sie sowas suchen? Im Internet, unter Fensterdings, Metall? Im Baumarkt irgendwo bei Fenstern und Türen? Denkbar, dass Sie dort kein Glück haben, aber dass Ihnen ein freundlicher Verkäufer leise zuraunt: Ich hab jetzt nix gsagt, aber schauns amal zum Wörle. In der Schleißheimer Straße.

"Wörle Nachf. Färber Eisenwaren" steht draußen auf dem Schild an der Schleißheimer Straße 21. Drinnen finden sich 10.000 verschiedene Teile.
"Wörle Nachf. Färber Eisenwaren" steht draußen auf dem Schild an der Schleißheimer Straße 21. Drinnen finden sich 10.000 verschiedene Teile. © Irene Kleber

Wörle Eisenwaren: Nur ein paar Schritte entfernt vom Stiglmaierplatz in der Maxvorstadt

Wörle Eisenwaren und Schlüsseldienst, das Geschäft gibt es wirklich, ein paar Schritte weg vom Stiglmaierplatz in der Maxvorstadt, und zwar seit 1879, also seit 144 Jahren. Und man muss schon beim Blick durch die Schaufenster staunen über die unzähligen Regale, Schublädchen und an die Wände genagelten Einzelteile, die da metallern herausschimmern.

Drinnen tritt Guido Färber (57) an die Verkaufstheke, hochgewachsen, grau meliertes Kurzhaar, Rollkragen-Wollpulli und eine Haltung wie ein Balletttänzer (der er früher wirklich einmal war, als sein Vater noch den Laden geführt hat). Er schmunzelt freundlich und schiebt einen Zettel und einen Bleistift herüber. "Malens doch das mal auf", sagt er, und während er zuschaut beim Zeichnen, wird das Schmunzeln noch eine Spur breiter. Verstehe, sagt er. Altbau? Moment.

Die kleinste Schraube im Laden ist 1,5 Millimeter stark und 13 lang.
Die kleinste Schraube im Laden ist 1,5 Millimeter stark und 13 lang. © Irene Kleber

Wo sich was findet, das wissen nur Eingeweihte

Es gibt fast nichts in Sachen Eisenwaren, was Guido Färber nicht finden würde in seinem 60-Quadratmeter-Laden, in einem der Lagerräume hinten oder in der Garage im Hof. Schrauben, Nägel und Muttern aller Größen sind da nach einem System eingeräumt, das nur ein Eingeweihter kennen kann, Werkzeuge und Beschläge, Stahlhaken und Ösen, Scharniere und Möbelbänder, Magnetschnapper fürs Küchentürl, Schubladenführungen und Schatullenverschlüsse. Und Schlüssel, natürlich, von historisch bis zur komplexen Schließanlage. Die kleinste Schraube, übrigens, ist eineinhalb Millimeter stark und 13 Millimeter lang und die ältesten Schraubenschachterl sind noch mit Packpapier und Schnüren verpackt.

10.000 verschiedene Kleinstteile hat der Laden, alles vorrätig

Die Wörles, die das Fachgeschäft 91 Jahre geführt haben (erst in der Augusten-, ab 1900 dann in der Schleißheimer Straße), übergaben es 1970 mit allem Inventar, auch den alten Adressbüchern und Inventarkatalogen, an Färbers Vater. Der hat seinen Sohn erst mal Tänzer werden lassen, bis die Begeisterung abgeklungen war.

"Gärtnerplatztheater, Musical und Familie, das geht nicht zusammen", so erzählt Guido Färber das. Er hat also Einzelhandelskaufmann gelernt, den Laden übernommen, geheiratet. Und das Geschäft 2002 genau nach nebenan umgezogen, eine Hausnummer weiter, ins Ladengeschäft, das sein Vater schon früh gekauft hatte.

"Wörle Nachfolger, Färber" steht jetzt auf dem Schild draußen. Um die 10.000 Artikelgruppen hat er im Geschäft, alles vorrätig, sofort. Eine Fundgrube für die 30, 40 Menschen, die deshalb jeden Tag hier hereinkommen. Hausmeister, Bastler, Schlosser, Schreiner oder Nachbarinnen, denen der Wasserhahn tropft. "So ein Handwerker", sagt er, "wenn dem auf der Baustelle zum Weiterarbeiten ein Kleinteil fehlt, der braucht das ja jetzt. Nicht morgen."

Moderne und alte Schlüssel (und alles dazwischen) gibt's ebenfalls bei Wörle Eisenwaren. Und wenn man sich mal ausgesperrt hat, hilft Guido Färber auch.
Moderne und alte Schlüssel (und alles dazwischen) gibt's ebenfalls bei Wörle Eisenwaren. Und wenn man sich mal ausgesperrt hat, hilft Guido Färber auch. © Irene Kleber

Ein Gewicht für eine Wasserwaage?

Die Bühne zu verlassen, hat er das nie bereut? Nein, nie, sagt er, immer noch lächelnd. Der Theateralltag, das sei am Ende doch nur ein Leben in der Wiederholungsschleife. Hier dagegen, im Laden, da erlebe man jeden Tag neue Geschichten. Rührende wie neulich, als eine junge Mama aufgelöst vor der Tür stand, weil der Kinderwagen auf dem Heimweg wegen einer verlorenen Schraube auseinandergefallen war.

Oder lustige, wie die vom Maurerlehrbuben, den der Meister losgeschickt hat, damit er "ein Gewicht für eine Wasserwaage" besorgt. Dem Buben habe er ein kiloschweres Senklot mitgegeben, im Betrieb werden sie schön was zu lachen gehabt haben. Oder herausfordernde Geschichten, wie die von dem Ingenieur, der für sein Vereinsstadion einen Mechanismus gesucht hat, um die Stadionsitze hochgeklappt abschließen zu können. "Nach drei Wochen tüfteln", sagt Färber, "ist uns zusammen was eingefallen."

Jimmy Tahiraj (50), der seit 30 Jahren Hausmeister für etliche Gebäude in München ist, braucht dauernd was beim Wörle.
Jimmy Tahiraj (50), der seit 30 Jahren Hausmeister für etliche Gebäude in München ist, braucht dauernd was beim Wörle. © Irene Kleber

Inhaber Guido Färber: "Wir können, was das Internet nicht kann"

Gerade kommt wieder eine Dame herein mit einem Spezialwunsch: Eine Schließe sucht sie, für ein Krokodilleder-Brillenetui, 70er Jahre. Und Jimmy Tahiraj, seit 30 Jahren Hausmeister für 40 Gebäude in der Maxvorstadt, ist auch schon wieder da, heute braucht er fix zwei Türschließer für Studentenbäder, "Studenten machen ja dauernd was kaputt", sagt er lachend, und ist schon wieder draußen.

Wie kommt das, dass es den Wörle noch gibt, während so viele Münchner Traditionsläden aufgeben? "Wir sind in guten Zeiten raus aus der Miete", sagt Guido Färber. Und man könne was, was das Internet nicht kann: Wissen, was einer sucht und es da haben. Sofort. Ein Glück, dass eins seiner vier Kinder, der Älteste, ebenfalls kein Tänzer werden will, sondern jetzt schon mit im Laden steht. Das Fensterdings mit dem Schnappböppel heißt übrigens Kantenriegel. Wieder was gelernt.

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