Entmietung in München: "Meine Wohnung räum ich nicht"

München - Mit neun Jahren ist Eduard Hanreich in die Ungererstraße 98 gezogen. Dritter Stock, 58 Quadratmeter, Fenster, durch die man in einen grünen Hinterhof schauen kann. 1957 war das. Seine Nachbarn seien damals Polizisten und Briefträger gewesen. Sein Vater arbeitete beim Zoll. Weil seine Eltern hofften, dass ihr Kind für immer in der Wohnung bleiben kann, richteten sie Wohnung selbst her, erzählt Hanreich. "Sogar den alten Kohleofen haben sie selber rausgebaut."
Tatsächlich hat der 75-Jährige diese Wohnung nie verlassen. Doch von den Nachbarn von damals ist heute kaum jemand mehr da. Der Vermieter ist auch nicht mehr dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet, sondern bloß seinem eigenen Profit.

2013 verkaufte der Freistaat 33.000 Wohnungen an einen Immobilienkonzern, der mittlerweile Dawonia heißt. Auch die Ungererstraße 100, Eduard Hanreichs Zuhause, war darunter.
Bestimmt die Hälfte des Hauses stehe inzwischen leer, schätzt Hanreich. Und auch ihn würden die Vermieter am liebsten los werden, da ist er sich sicher. Denn Hanreich weiß, dass der Vermieter das Haus abreißen und neu errichten will.
Ein bisschen Zeit bleibt der Stadt noch - Sie könnte die Mieter retten
"Aber das ist meine Heimat", sagt er. Ganz in der Nähe sei sein Fußballverein, wo er früher spielte, dann Jugendmannschaften trainierte und wo er heute vom Rand aus zuschaut, wie die Jungen kicken. "Ich will nicht irgendwo anders hin, da würde ich eingehen wie eine Blume ohne Wasser", sagt Hanreich.
Rausschmeißen kann ihn sein Vermieter nicht. Denn Hanreich hat wie viele der älteren Bewohner ein lebenslanges Wohnrecht. Doch nicht nur er habe es erlebt, dass der Vermieter versucht habe, ihn zum Auszug zu überreden.
Auch Franz Schwankhart, 76 Jahre alt, erzählt, dass der Vermieter ihm eine andere Wohnung angeboten habe. Schon in ein paar Monaten werde das ganze Haus abgerissen, habe es damals geheißen, erzählen die zwei Rentner. Dabei gab es damals noch gar keine Genehmigung von der Stadt.

Doch viele hätten den neuen Eigentümern geglaubt und aus Angst, sonst bald auf der Straße zu sitzen, nahmen sie das Angebot des Vermieters an. "Die haben die Menschen psychisch bearbeitet. Richtig Angst eingejagt", sagt Hanreich. Vier, fünf Mal hätten ihn die Vermieter angerufen, sagt Hanreich. Inzwischen gehe er gar nicht mehr ans Telefon.
Ein Abriss lässt sich langfristig kaum verhindern
Stefan Jagel, der Fraktionschef der Linken im Stadtrat, weiß, dass die Ungererstraße 96, wo Eduard Hanreich wohnt, nicht das einzige Gebäude ist, das die Dawonia zum Teil leerstehen lässt. Auch an den Hausnummern 98 und 100, gleich nebenan an der Luxemburger Straße 2 und 4, an der Schönfeldstraße 14 direkt beim Englischen Garten und an der Nimmerfallstraße 60 bis 76 in Pasing sollen Wohnungen schon länger leerstehen. Jagel will nun durch eine Anfrage erfahren, ob die Stadt diesem Leerstand bereits nachgegangen ist, und was sie unternommen hat, um den Zustand zu ändern.
Gleichzeitig ist sich Jagel sicher, dass die Stadt - wenn der letzte Mieter ausgezogen oder verstorben ist - nicht verhindern kann, dass der Eigentümer die Wohnhäuser abreißt. Das sei rechtlich nicht möglich.
Allerdings kann die Stadt durchaus dafür sorgen, dass dort nicht nur Luxuswohnungen gebaut werden dürfen, schildert Jagel.
Bis vor kurzem konnte die Stadt ihre Regeln für eine sozialgerechte Bodennutzung, die bestimmte Quoten an günstigem Wohnraum festlegen, nur in Neubaugebieten anwenden. Inzwischen gibt es ein Instrument mit dem sperrigen Namen "sektoraler Bebauungsplan". Damit kann die Stadt auch in kleineren Gebieten Eigentümer zu preisgedämpftem Wohnraum verpflichten.
Jagel beantragt, dass die Stadt solche sektoralen Bebauungspläne dort erlässt, wo sich die beschriebenen Dawonia-Häuser befinden. Das Verfahren ist aufwendig und kam in München bislang nur vereinzelt zum Einsatz. Doch etwas Zeit bleibt der Stadt noch. Denn Hanreich ist sich sicher: "Meine Wohnung räum ich nicht. Man darf sich schließlich nicht alles gefallen lassen."