Elisabeth Schosser: 1972 den Jerusalemer Bürgermeister auf dem Schoß

Elisabeth Schosser ist neue Stadträtin in München, als die Olympischen Spiele beginnen. An eine Veranstaltung erinnert sie sich besonders gut.
von  Paul Nöllke
Die Gedenkveranstaltung für die umgekommenen israelischen Athleten im Stadion 1972.
Die Gedenkveranstaltung für die umgekommenen israelischen Athleten im Stadion 1972. © IMAGO/Colorsport

München - Im Juni 1972 fanden in München Kommunalwahlen statt. Die Wahlbeteiligung lag bei über 65 Prozent, die SPD holte 52,5 Prozent der Stimmen.

Der legendäre Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD), der die Olympischen Spiele nach München geholt hatte, hatte nicht mehr kandidiert. Er war nicht nur mit Olympia beschäftigt gewesen, sondern hatte auch mit Streit in seiner eigenen Partei zu tun. Doch auch, weil er Landesvorsitzender der bayerischen SPD werden wollte, stand er nun nicht mehr zur Wahl für den Stadtrat.

Nur wenige Monate vor den Spielen wird Schosser Stadträtin

Der neue Oberbürgermeister wurde 1972 Georg Kronawitter (SPD). Doch auch im Stadtrat gab es nach der Wahl einige neue Gesichter: Eine der neuen Stadträtinnen, die nur wenige Monate vor den Olympischen Spielen für die CSU ins Münchner Rathaus einzog, war Elisabeth Schosser.

Die ehemalige CSU-StadträtinElisabeth Schosser heute.
Die ehemalige CSU-StadträtinElisabeth Schosser heute. © IMAGO/Lindenthaler

Als neue Stadträtin bekam sie die Möglichkeit, Karten für den Ehrengastbereich im Olympiastadion zu erwerben. So hatte sie auch Karten für den Tag gekauft, an dem nach dem Anschlag die Trauerfeierlichkeiten für die israelischen Athleten stattfanden. Die elf Athleten und ein Polizist waren am 5. September in ihrer Unterkunft und am Flughafen in Fürstenfeldbruck von palästinensischen Terroristen ermordet worden.

Die Gedenkveranstaltung fand nach dem gewaltsamen Tod der Geiseln im Olympiastadion statt. Die Fahnen wehten auf halbmast, der Bundespräsident Gustav Heinemann hielt eine Trauerrede. Die unbeschwerten und fröhlichen Spiele, sie waren vorbei.

Nach dem Anschlag auf das israelische Team sind die Flaggen der teilnehmenden Länder nurmehr auf halbmast zu sehen.
Nach dem Anschlag auf das israelische Team sind die Flaggen der teilnehmenden Länder nurmehr auf halbmast zu sehen. © imago/Colorsport
Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) spricht bei der Veranstaltung für die Opfer des Attentats auf die israelischen Athleten im Olympia-Stadion.
Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) spricht bei der Veranstaltung für die Opfer des Attentats auf die israelischen Athleten im Olympia-Stadion. © IMAGO/Werner Schulze

"Plötzlich bemerkte ich in der Reihe vor mir eine gewisse Unruhe"

Schosser erinnert sich heute noch gut an den Tag: "Es war ein extrem heißer Septembertag. Die Sonne prallte uns ins Gesicht." Die Tribünen im Stadion waren gut gefüllt.

In der Sitzreihe direkt vor Schosser hatten die Ehrengäste anderer Städte und Länder Platz genommen. "Plötzlich bemerkte ich dort eine gewisse Unruhe", erinnert sich die ehemalige CSU-Stadträtin. "Ein Ehrengast stand auf, wankte und fiel dann rücklings – halb ohnmächtig – nach hinten direkt auf meinen Schoß."

"Der Mann dankte mir mit einer Einladung nach Israel"

Sofort eilten die Sanitäter herbei und kümmerten sich um den kollabierten Mann. "Es war eine große Aufregung um uns herum", erzählt Elisabeth Schosser. Grund für die plötzliche Ohnmacht war wohl die Hitze.

Langsam ging es dem Mann wieder besser. "Er erkundigte sich nach mir und dankte mir – mit einer Einladung nach Israel", erzählt Schosser. Der kollabierte Mann war Teddy Kollek, der damalige Bürgermeister von Jerusalem.

Teddy Kollek, der damalige Bürgermeister von Jerusalem in seiner Stadt.
Teddy Kollek, der damalige Bürgermeister von Jerusalem in seiner Stadt. © IMAGO/Sven Simon

"Der Einladung konnte ich damals nicht nachkommen", bedauert Schosser. Dennoch sollte sie Teddy Kollek noch einmal wiedersehen, als er bereits nicht mehr Bürgermeister von Jerusalem war. "Jahre später sah ich ihn in Wien", erzählt sie. Als Kollek, der in Wien aufgewachsen war, dort 2001 die Ehrenbürgerwürde der österreichischen Hauptstadt verliehen bekam.

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