Einzelhändler-Report aus der Stadt: Das kleine Abhol-Glück
München - Es ist das Gute an diesem Krisenwahnsinn, dass er die Münchner, da wo sie Nachbarn sind, ganz besonders zusammenschweißt. Nehmen wir den Hohenzollernplatz in Schwabing. Es ist Mittwoch gegen 11 Uhr. Die neue Regel, dass man Ware bestellen und dann selber direkt im Laden abholen kann, ist gerade mal zwei Tage alt.
München: Bücher abholen beim Bäcker

Ruth Cyrankas Buchhandlung zwischen dem kleinen georgischen Imbiss und dem Getränkeladen ist zu, das Licht ist aus. Und während man noch sucht nach einem Hinweis auf Öffnungszeiten, kommt eine Nachbarin vorbeigelaufen: "Bücher abholen können'S drüben, beim Bäcker Wimmer", sagt sie und deutet schräg über den Platz, zwischen die Apotheke und den Kosmetikladen. "Da rechts", sagt drinnen lächelnd die Breznverkäuferin, während sie einer Kundin ihren Einkauf einpackt, und deutet auf vier Boxen in einer Nische, in denen an die 20 mit Namen beschriftete Buch-Tüten aufgereiht sind, "bittschön einfach mitnehmen."
Gerade beugt sich die IT-Entwicklerin Birgit Juhl (62), die am Vortag telefonisch bestellt hat, über die Tüten - und da ist ihre ja auch schon, samt dem Wunschbuch.

"Das ist so klasse", sagt sie, "man nimmt einfach hier seine Tüte mit, und dann zahlt man daheim per Überweisung." Die halbe Nachbarschaft mache das so, damit der Buchladen diese wirren Zeiten überlebt. "Wir wollen einfach die Frau Cyranka hier am Platz nicht verlieren." Die Post lässt die Buchhändlerin übrigens nach nebenan zum Getränkehändler liefern. Man halte hier eben zusammen, sagt der.
Besitzer der Colibris Buchhandlung: "Die Leute lesen wie wild"
Drei Kilometer Luftlinie weiter im Westen, in Neuhausen, schaut Christoph Selmeier (53) von der Colibris Buchhandlung genauso heiter aus. Er gibt seit Montag bestellte Bücher durch ein Fenster im Hof aus. "Die Leute lesen wie wild", sagt er, 70, 80 Bestellungen hagelt es täglich, seit die Selbstabholung erlaubt ist, "viele Kinderbeschäftigungsbücher", scherzt er, "und Kochbücher boomen.

Es seien vor allem Leute aus der Nachbarschaft, die kommen, "einerseits geht's vielen darum, uns zu unterstützen. Und dann macht es natürlich viel mehr Spaß, wenn man nicht ewig auf eine bestellte Buchlieferung warten muss, sondern sie einfach selber schnell holt."
Zwei Ecken weiter, in der Perlerie, fertigt Ulrike von Stein (58) gerade einen Ohrring an. Ganz unglücklich habe eine Kundin angerufen, sie habe einen ihrer beiden Ohrringe verloren - und ob sie nicht bitte schnell einen nachmachen könne. "Klar, mach ich", sagt Ulrike von Stein, "das ist einfach schön, wenn man Kunden unkompliziert und schnell eine Freude machen kann." Zumal so viele im vergangenen Krisenjahr dem Laden die Treue gehalten hätten. Ein Segen sei das, diese neue Abhol-Möglichkeit im Lockdown.
Innenstadthändler tuen sich schwerer mit Selbstabholprinzip
Das findet auch Ursula Neuger (59) vom Wollkorb gegenüber. Freilich sei der Andrang deutlich kleiner als noch vor dem Lockdown Mitte Dezember. Wer strickt, wolle die Wolle ja anschauen und anfassen, bevor er kauft. "Aber die Stammkunden sind total glücklich, wenn sie jetzt schnell nachbestellen und gleich abholen können, weil die Wolle für den Pulli, an dem sie arbeiten, vielleicht gerade ausgegangen ist."

Nicht ganz so leicht wie in den kleinen Stadtteilzentren, wo man sich kennt, tun sich die Innenstadthändler mit dem neuen Selbstabholprinzip. Der Marienplatz ist leergefegt an diesem Mittwoch, auch in der Fußgängerzone ist kaum Betrieb. Viele der großen Händler hier setzen auf ihre Onlineshops mit Lieferung - aber einige Geschäfte sind doch für Abholungen geöffnet - und deren Mitarbeiter können alle hübsche Anekdoten erzählen.
Bestelltelefon bei Sport Schuster klingelt pausenlos
Wie Verkäufer Lekrim Bougrires (51) bei Manufactum in der Dienerstraße, der von einem verzweifelten Kunden berichtet, dem vor einer Woche die Glaskanne zu seiner neuen Kaffeemaschine kaputt gegangen ist. "Er hat angerufen", sagt Bougrires, "nach einer Stunde hat er die Kanne geholt. Eine Woche ohne Kaffee, wir haben ihm das Leben gerettet!"

Beim Kustermann-Abholbereich ist Kunde Uwe Habereder (45) anzutreffen. Gestern sei einer der schönen Service-Teller beim Spülmaschineeinräumen zerbrochen - zum Verdruss seiner Frau. "Gerade habe ich den neuen Teller abgeholt", sagt er froh. Womit der eheliche Frieden wieder hergestellt sein dürfte.
Fast pausenlos klingelt das Bestelltelefon bei Sport Schuster, wo die Ware am Hintereingang ausgegeben wird. Joggingschuhe, Tourenskier, warme Sportunterwäsche - all das hängt in Abholtüten aufgereiht an Kleiderstangen.

"Die Leute wollen raus, das merkt man", sagt Etagenmanager René Ramjoie (38), "und zwar am liebsten sofort, samt Ausrüstung. Dafür ist diese neue Selbstabholmöglichkeit wirklich super." Und umsatzförderlich sowieso. Seine Lieblingsgeschichte ist die von dem Kunden aus Schwabing, der zum Joggen auf den eisigen Straßen am Montag eilig Spikes gebraucht hat. "Der hat um 8 Uhr eine Bestell-Whatsapp geschickt, ist direkt aus Schwabing hergejoggt und hat um 9 Uhr seine Spikes gleich angeschnallt. Dass wir sowas jetzt wieder leisten können, das macht wirklich einen Mordsspaß."
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