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Einzelhändler-Report aus der Stadt: Das kleine Abhol-Glück

Click & Collect: Die neue Möglichkeit, vorbestellte Bücher, Wolle oder Sportbekleidung direkt beim Händler zu bekommen, beschert Geschäften in den Vierteln viele begeisterte Kunden. Sogar in der Innenstadt läuft's.
Irene Kleber |
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"So schön, endlich wieder in meinem Laden sein zu dürfen", sagt Ulrike von Stein (58), die die "Perlerie" in der Neuhauser Volkartstraße seit 16 Jahren führt.
"So schön, endlich wieder in meinem Laden sein zu dürfen", sagt Ulrike von Stein (58), die die "Perlerie" in der Neuhauser Volkartstraße seit 16 Jahren führt. © Bernd Wackerbauer

München - Es ist das Gute an diesem Krisenwahnsinn, dass er die Münchner, da wo sie Nachbarn sind, ganz besonders zusammenschweißt. Nehmen wir den Hohenzollernplatz in Schwabing. Es ist Mittwoch gegen 11 Uhr. Die neue Regel, dass man Ware bestellen und dann selber direkt im Laden abholen kann, ist gerade mal zwei Tage alt.

München: Bücher abholen beim Bäcker

Wenn Ruth Cyranka mal nicht da ist in ihrer Hohenzollernplatz-Buchhandlung, holt man bestellte Bücher nebenan in der Bäckerei Wimmer . . .
Wenn Ruth Cyranka mal nicht da ist in ihrer Hohenzollernplatz-Buchhandlung, holt man bestellte Bücher nebenan in der Bäckerei Wimmer . . . © Bernd Wackerbauer

Ruth Cyrankas Buchhandlung zwischen dem kleinen georgischen Imbiss und dem Getränkeladen ist zu, das Licht ist aus. Und während man noch sucht nach einem Hinweis auf Öffnungszeiten, kommt eine Nachbarin vorbeigelaufen: "Bücher abholen können'S drüben, beim Bäcker Wimmer", sagt sie und deutet schräg über den Platz, zwischen die Apotheke und den Kosmetikladen. "Da rechts", sagt drinnen lächelnd die Breznverkäuferin, während sie einer Kundin ihren Einkauf einpackt, und deutet auf vier Boxen in einer Nische, in denen an die 20 mit Namen beschriftete Buch-Tüten aufgereiht sind, "bittschön einfach mitnehmen."

Gerade beugt sich die IT-Entwicklerin Birgit Juhl (62), die am Vortag telefonisch bestellt hat, über die Tüten - und da ist ihre ja auch schon, samt dem Wunschbuch.

. . . wie Anwohnerin Birgit Juhl (62), die hier ihre Tüte mitnimmt.
. . . wie Anwohnerin Birgit Juhl (62), die hier ihre Tüte mitnimmt. © Bernd Wackerbauer

"Das ist so klasse", sagt sie, "man nimmt einfach hier seine Tüte mit, und dann zahlt man daheim per Überweisung." Die halbe Nachbarschaft mache das so, damit der Buchladen diese wirren Zeiten überlebt. "Wir wollen einfach die Frau Cyranka hier am Platz nicht verlieren." Die Post lässt die Buchhändlerin übrigens nach nebenan zum Getränkehändler liefern. Man halte hier eben zusammen, sagt der.

Besitzer der Colibris Buchhandlung: "Die Leute lesen wie wild"

Drei Kilometer Luftlinie weiter im Westen, in Neuhausen, schaut Christoph Selmeier (53) von der Colibris Buchhandlung genauso heiter aus. Er gibt seit Montag bestellte Bücher durch ein Fenster im Hof aus. "Die Leute lesen wie wild", sagt er, 70, 80 Bestellungen hagelt es täglich, seit die Selbstabholung erlaubt ist, "viele Kinderbeschäftigungsbücher", scherzt er, "und Kochbücher boomen.

"Die Leute lesen wie wild": Christoph Selmeier (53) und Martina Nußberger (62) geben bestellte Bücher bei Colibris durchs Fenster im Hof aus.
"Die Leute lesen wie wild": Christoph Selmeier (53) und Martina Nußberger (62) geben bestellte Bücher bei Colibris durchs Fenster im Hof aus. © Bernd Wackerbauer

Es seien vor allem Leute aus der Nachbarschaft, die kommen, "einerseits geht's vielen darum, uns zu unterstützen. Und dann macht es natürlich viel mehr Spaß, wenn man nicht ewig auf eine bestellte Buchlieferung warten muss, sondern sie einfach selber schnell holt."

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Zwei Ecken weiter, in der Perlerie, fertigt Ulrike von Stein (58) gerade einen Ohrring an. Ganz unglücklich habe eine Kundin angerufen, sie habe einen ihrer beiden Ohrringe verloren - und ob sie nicht bitte schnell einen nachmachen könne. "Klar, mach ich", sagt Ulrike von Stein, "das ist einfach schön, wenn man Kunden unkompliziert und schnell eine Freude machen kann." Zumal so viele im vergangenen Krisenjahr dem Laden die Treue gehalten hätten. Ein Segen sei das, diese neue Abhol-Möglichkeit im Lockdown.

Innenstadthändler tuen sich schwerer mit Selbstabholprinzip

Das findet auch Ursula Neuger (59) vom Wollkorb gegenüber. Freilich sei der Andrang deutlich kleiner als noch vor dem Lockdown Mitte Dezember. Wer strickt, wolle die Wolle ja anschauen und anfassen, bevor er kauft. "Aber die Stammkunden sind total glücklich, wenn sie jetzt schnell nachbestellen und gleich abholen können, weil die Wolle für den Pulli, an dem sie arbeiten, vielleicht gerade ausgegangen ist."

"Ich biete den Abholservice als Dankeschön an die Kunden", sagt Ursula Neuger (59) vom Wollkorb in Neuhausen - hier mit Kundin Heidi Schönherr.
"Ich biete den Abholservice als Dankeschön an die Kunden", sagt Ursula Neuger (59) vom Wollkorb in Neuhausen - hier mit Kundin Heidi Schönherr. © Bernd Wackerbauer

Nicht ganz so leicht wie in den kleinen Stadtteilzentren, wo man sich kennt, tun sich die Innenstadthändler mit dem neuen Selbstabholprinzip. Der Marienplatz ist leergefegt an diesem Mittwoch, auch in der Fußgängerzone ist kaum Betrieb. Viele der großen Händler hier setzen auf ihre Onlineshops mit Lieferung - aber einige Geschäfte sind doch für Abholungen geöffnet - und deren Mitarbeiter können alle hübsche Anekdoten erzählen.

Bestelltelefon bei Sport Schuster klingelt pausenlos

Wie Verkäufer Lekrim Bougrires (51) bei Manufactum in der Dienerstraße, der von einem verzweifelten Kunden berichtet, dem vor einer Woche die Glaskanne zu seiner neuen Kaffeemaschine kaputt gegangen ist. "Er hat angerufen", sagt Bougrires, "nach einer Stunde hat er die Kanne geholt. Eine Woche ohne Kaffee, wir haben ihm das Leben gerettet!"

Glücklich über glückliche Abhol-Kunden: Verkäufer Lekrim Bougrires (51) bei Manufactum in der Dienerstraße.
Glücklich über glückliche Abhol-Kunden: Verkäufer Lekrim Bougrires (51) bei Manufactum in der Dienerstraße. © Bernd Wackerbauer

Beim Kustermann-Abholbereich ist Kunde Uwe Habereder (45) anzutreffen. Gestern sei einer der schönen Service-Teller beim Spülmaschineeinräumen zerbrochen - zum Verdruss seiner Frau. "Gerade habe ich den neuen Teller abgeholt", sagt er froh. Womit der eheliche Frieden wieder hergestellt sein dürfte.

Fast pausenlos klingelt das Bestelltelefon bei Sport Schuster, wo die Ware am Hintereingang ausgegeben wird. Joggingschuhe, Tourenskier, warme Sportunterwäsche - all das hängt in Abholtüten aufgereiht an Kleiderstangen.

Reihenweise grüne Abholtüten. "Bei uns klingelt den ganzen Tag das Bestelltelefon", sagt Etagenmanager René Ramjoie (38) bei Sport Schuster.
Reihenweise grüne Abholtüten. "Bei uns klingelt den ganzen Tag das Bestelltelefon", sagt Etagenmanager René Ramjoie (38) bei Sport Schuster. © Bernd Wackerbauer

"Die Leute wollen raus, das merkt man", sagt Etagenmanager René Ramjoie (38), "und zwar am liebsten sofort, samt Ausrüstung. Dafür ist diese neue Selbstabholmöglichkeit wirklich super." Und umsatzförderlich sowieso. Seine Lieblingsgeschichte ist die von dem Kunden aus Schwabing, der zum Joggen auf den eisigen Straßen am Montag eilig Spikes gebraucht hat. "Der hat um 8 Uhr eine Bestell-Whatsapp geschickt, ist direkt aus Schwabing hergejoggt und hat um 9 Uhr seine Spikes gleich angeschnallt. Dass wir sowas jetzt wieder leisten können, das macht wirklich einen Mordsspaß."

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