Einmal Koma und zurück
Sie werden immer mehr und sie werden immer jünger: Kinder, die sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken. In einem Münchner Pilotprojekt soll jungen Trinkern möglichst früh geholfen werden.
Freitagnacht und Samstagnacht, da ist immer was los. Nicht nur auf der Piste, sondern auch in der Kindernotaufnahme des Schwabinger Krankenhauses. Sie sind meistens bewusstlos, manche übergeben sich, weinen, schreien herum. Mit Infusionen werden die Patienten erstversorgt, bevor am nächsten Tag der große Kater kommt. Komasäufer werden sie heute flapsig genannt, die Jugendlichen, die sich buchstäblich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken haben. Sie werden immer mehr – und sie sind immer jünger.
„Wir hatten auch schon Zwölfjährige“, sagt Dr. Armin Grübl von der Schwabinger Klinik. Unter dem Slogan „Münchner Ärzte gegen Jugendalkoholismus“ taten sich die Schwabinger mit Kollegen der Isar- Amper-Klink und der Münchner Drogenhilfe Condrobs zusammen, um gegen den beunruhigenden Trend anzugehen. Neue Zahlen zeigen: Weniger Jugendliche konsumieren illegale Drogen wie Cannabis, dafür ist die ganz normale Alltagsdroge in – es wird immer mehr Alkohol getrunken.
Zwei Drittel der Neunt- und Zehntklässler trinken regelmäßig
Laut der neuen „Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen“ trinken zwei Drittel der Neunt- und Zehntklässler regelmäßig Bier, vor fünf Jahren waren es 56 Prozent. Mehr als jeder Zweite in dieser Altersgruppe greift auch zum Schnaps. 57 Prozent trinken Spirituosen, 2003 waren es noch 53 Prozent. „Alarmierend“ nennt Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, diese Zahlen.
Auch in München ist der Trend spürbar. Seite Mitte Dezember wurden allein im Schwabinger Krankenhaus bereits mehr als 70 Jugendliche eingeliefert. „Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2007 waren es nur 90“, sagt Frederik Kronthaler, Leiter der Jugendabteilung der Münchner Drogenhilfe Condrobs. Gemeinsam mit Münchner Ärzten trieb Condrobs das Pilotprojekt an, das nun gegensteuern soll: Seit Ende letzten Jahres arbeiten Condrobs und das Schwabinger Krankenhaus eng zusammen. „Wir wollen so früh wie möglich unsere Unterstützung anbieten“, sagt Frederik Kronthaler.
Das erste Gespräch am Morgen nach der Einlieferung
Das heißt, anders als bisher, gehen die Drogenberater direkt im Krankenhaus auf die Jugendlichen zu. Am Morgen nach der Einlieferung findet das erste Gespräch statt. „Zuerst sprechen wir mit den Jugendlichen, und wenn sie wollen, kommen auch die Eltern dazu. So kurz nach dem Vorfall sind die Betroffenen offener. Wir bekommen in einer hochsensiblen Phase Zugang“, erklärt Kronthaler. Die Berater empfinden sich auch als Mediatoren zwischen Eltern und Kindern. „Viele Eltern wissen gar nicht, wo ihre Kinder abends eigentlich sind“. Und sie wissen oft nichts über die Probleme, über Schulschwierigkeiten, Liebeskummer oder Zukunftsangst.
Im besten Fall war der Absturz ein einmaliges und heilsames Koma-Erlebnis. Andere kommen immer wieder – im Fasching, zur Wiesn oder auch einfach nur an irgendeinem Donnerstag. Die Condrobs-Experten bieten auch nach der Entlassung ihre Hilfe an. Rund ein Drittel lässt sich weiterhin beraten. Für die Pfingstferien rechnen die Beteiligten wieder mit einem Anstieg. Zwei Jahre ist das Projekt vom Gesundheitsreferat finanziert.
Die Gesellschaftsdroge Nummer 1
Dass die illegalen Drogen heut weniger zählen, darin sieht der Suchtberater ein Ergebnis der Prävention. „Schüler wissen heute viel über Cannabis. Heroin hat ein absolut negatives Image. Alkohol dagegen ist die Gesellschaftsdroge Nummer eins.“ Alkohol ist eben normal, das verdiente Feierabendbier, die Sause der Eltern daheim – sehr früh, sagt der Experte, lernen Kinder, dass trinken Stressabbau bedeutet.
Getrunken wird viel Schnaps, besonders beliebt ist Wodka selbst gemixt mit Red Bull oder anderem. Die Jüngsten, die in der Klink landen, sind Mädchen, sie machen fast die Hälfte der Betroffenen aus. „Bei den jungen Mädchen wächst der Druck, früh erwachsen zu sein, auch sexuell. Da glauben Zwölfjährige, sie müssten unbedingt einen Freund haben, obwohl sie sich seelisch vielleicht noch als Kind fühlen“. Alkohol ist da ein Enthemmer, nimmt Ängste.
Sie kaufen den Alkohol einfach im Supermarkt
Flatrate-Partys spielen bei den Einsteigern keine Rolle. „Sie haben allenfalls für die Wahrnehmung eines bestimmten Trinkverhaltens Bedeutung. Unser Klientel ist schlicht zu jung für diese Partys.“ Üblicher sei in diesem Alter das Saufgelage bei einer Freundin, deren Eltern nicht da sind, oder auf dem Spielplatz. „Die gehen einfach in den Supermarkt, da wird ihnen der Schnaps verkauft.“ Das ist zwar verboten, aber offenbar auch ganz normal.
Tina Angerer
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