Einkaufen nach 20 Uhr? Die große AZ-Debatte
München - Jede Minute unterschreibt ein Münchner: Eine Petition sorgt derzeit im Internet für Aufsehen. Adressat ist Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der soll das Anliegen bei Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vorbringen.
Das Ladenschlussgesetz ist Ländersache. Nur der Freistaat kann es liberalisieren. Bis auf das Saarland lassen inzwischen alle anderen Bundesländer die Geschäfte bis mindestens 22 Uhr öffnen – wenn die Händler es wollen. In Bayern ist das nach wie vor verboten. Seit einem internen Abstimmungs-Patt von 2006 traut sich die CSU nicht mehr an das heiße Eisen heran.
Das stinkt Benjamin Weiß. Der 33-jährige Münchner hat die Online-Petition „Flexible Ladenöffnungszeiten München“ ins Leben gerufen. Das Quorum auf der Seite open-petion.de liegt bei mindestens 4000 Unterschriften. Das ist längst erreicht. Am Freitagabend hatten bereits doppelt so viele Bürger unterschrieben.
Auf az-muenchen.de liefern sich Gegner und Befürworter einer Öffnung des alten Gesetzes heftige Diskussionen: „Ich bin dafür, das man wieder früher schließt – 6 bis 18 Uhr Uhr reicht ja wohl, wer’s dann immer noch nicht schafft, hat halt Pech gehabt!“, schimpft User „Koa Liberalisierung“.
Der Kommentator „Pro Liberalisierung“ ist anderer Meinung: „Die paar Läden, die dann wirklich nach 20 Uhr noch aufhaben, werden nicht den Untergang der Familie bedeuten, es aber vielen Münchnern leichter machen. Jeder sollte doch selbst entscheiden dürfen, wann er seinen Laden auf- oder zumachen will“, formuliert er.
„Schaut einfach nur auf alle anderen Bundesländer, dort gibt es längst flexible Öffnungszeiten, und es funktioniert! Alle Horrorszenarien, die hier aufgeführt werden, sind dort nicht eingetreten“, ergänzt „Bart72“.
Die Petition läuft noch bis zum 12. Februar – und landet dann auf dem Schreibtisch von Oberbürgermeister Dieter Reiter. Und danach vielleicht auf Horst Seehofers.
PRO: Keine Lust auf Einfrieren
Timo Lokoschat, Vize-Chefredakteur, ist für längere Ladenöffnungszeiten.
Als ich vor ungefähr acht Jahren zum gleichen Thema kommentierte, erhielt ich von zwei AZ-Leserinnen fürsorgliche E-Mails.
Eine hatte mir alle Läden nahe der Redaktion herausgesucht, die schon um 7 Uhr öffnen, damit ich meine Einkäufe morgens erledige; eine andere wollte mir die Kulturtechnik des Einfrierens näherbringen („bitte keine Blattsalate“) – zwei Rentnerinnen, die ihr Leben lang geschuftet haben und jetzt verdientermaßen um 14 Uhr einkaufen gehen können.
Für Berufstätige mit langen Arbeitszeiten (vom Kellner bis zum Taxler) sieht es dagegen in vielen Fällen anders aus. Wer nach 20 Uhr das extravagante Verlangen nach einer Tüte Milch hat, bekommt sie in Bayern allenfalls an der Tanke. Fast jedes andere Bundesland stellt es inzwischen den Händlern frei, ob sie länger öffnen wollen. Nur im Freistaat gehen die Uhren anders, auch, weil sich die Regierungspartei seit Jahren quer stellt.
Vielleicht kann die fortschrittlichere Stadt-CSU hier etwas bewirken. Josef Schmid, bitte übernehmen!
CONTRA: Das Leben organisieren
Robert Braunmüller, Kultur-Redakteur, ist gegen längere Ladenöffnungszeiten.
Schon jetzt werden Unmengen von Semmeln weggeworfen, weil die Kunden bis zuletzt volle Regale mit Frischware erwarten. Wenn die Geschäfte länger öffnen, werden noch mehr Nahrungsmittel weggeschmissen. Das ist ökologischer und moralischer Unfug.
Außerdem: Ich kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Dass längere Öffnungszeiten mehr Umsatz bringen, ist eine widerlegte Illusion. Sie steigern nur die Kosten für den mittelständischen Handel. Und sie vertreiben alteingesessene Geschäfte aus der Innenstadt. Öffnungszeiten bis 23 Uhr ist etwas für gesichtslose Kettenläden. Die mag ich ebensowenig wie Einkaufszentren.
Gewiss: Der alte, rigide Ladenschluss war widersinnig. Aber bis 20 Uhr kann jeder Mensch, der halbwegs organisiert ist, seine Einkäufe stressfrei erledigen. Ohnehin sind zu dieser Zeit die Geschäfte leer. Sie wegen ein paar Nachzüglern länger offen zu halten? Nein. Und für die paar hungrigen Chaoten gibt’s ja Tankstellen.
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