"Eine Unverschämtheit": Münchens OB Reiter poltert und spottet wegen Stammstrecken-Fiasko
München - Statt 3,85 Milliarden Euro soll die Zweite Stammstrecke bis zu 7,2 Milliarden Euro kosten. Und statt 2028 sollen erst 2037 die ersten Züge durch die neue Röhre rollen. Diese Neuigkeit wurde Ende der vergangenen Woche bekannt.
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und der Chef der Bayern-SPD Florian von Brunn sind deshalb sauer. Gestern luden sie zum Pressegespräch in den Landtag, um ihren Ärger loszuwerden.
Zweite Stammstrecke in München wird deutlich teurer und später fertig
Als besonders ärgerlich empfindet Reiter, dass die Bahn bis heute keine Aussage dazu macht, ob die Verzögerung und die Kostenmehrungen, die vor wenigen Tagen öffentlich wurden, wirklich stimmen. Auch auf AZ-Nachfrage antwortet die Deutsche Bahn, die für das Projekt verantwortlich ist, nach wie vor, dass sie sich zur aktuellen Berichterstattung nicht äußern werde. Eine Überprüfung der Zeit- und Kostenpläne sei noch nicht abgeschlossen, heißt es bloß in dem kurzen Statement der Pressestelle.
Allerdings geht das bayerische Verkehrsministerium von dieser Prognose aus, die von Brunn als "Hiobsbotschaft" bezeichnet. "Dass die Bahn diese Zahlen weder bestätigt noch dementiert, ist eine Unverschämtheit", sagte Reiter. Wie es zu so einer Verzögerung kommen kann, ist für ihn nicht verständlich. "Vielleicht haben die da ja einen unterirdischen Vulkan gefunden", spottete Reiter.
"Vulkan gefunden": OB Reiter spottet über Verzögerung
Nach ursprünglichen Planungen hätte die gesamte Bauzeit nicht einmal zehn Jahre dauern sollen. Reiter forderte deshalb eine Erklärung – auch von dem Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der sich bislang noch gar nicht geäußert habe. "Wer Herrn Söder kennt, weiß, dass er sonst auch immer in der Lage ist, sich zu artikulieren." Auch den Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) kritisierte Reiter scharf. Der ließ nämlich vergangenen Donnerstag ein Treffen, das schon seit Wochen ausgemacht war, platzen. Die Minister, der OB und die Bahn hätten sich da eigentlich über die Verzögerung austauschen wollen. Wissing sagte ab – obwohl er in München war, wie Reiter betonte.
Für den OB steht jedenfalls fest, dass sich die Stadt an den gestiegenen Kosten nicht beteiligen werde. München hatte die Zusage gemacht, 113 Millionen beizusteuern. "Wir sind raus aus dem Spiel", so Reiter. Die zusätzlichen Kosten seien nicht sein Problem. Doch, was durchaus ein Problem für den Chef des Münchner Rathauses darstellt: Dass die Stadt nun noch länger mit einer maroden S-Bahn auskommen müsse. Reiter erwartet deshalb neue Züge, dass die Bahn alle Schwachstellen beseitigt und den Takt verdichtet. "Wir werden einen Bypass schaffen müssen, um die S-Bahn zu entlasten", so Reiter.
Ärgerlich ist für München auch, dass die Verzögerung der Stammstrecke Auswirkungen auf andere Infrastrukturprojekte hat. Zum Beispiel auf den Bau einer neuen U-Bahn U9, die eigentlich Sendling mit Schwabing verbinden sollte. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) bezeichnet diese 10,5 Kilometer lange Strecke auf ihrer Webseite als "Herzstück" für die Verkehrswende, weil sie die bestehenden Linien entlasten sollte.
Allerdings verzögert sich Reiters Einschätzung nach der Bau in dem gleichen Maße, wie sich die Fertigstellung der Zweiten Stammstrecke verzögert. Diesen Herbst sollte der Stadtrat laut Reiter darüber entscheiden, ob er eine halbe Milliarde für einen Halt in 60 Metern Tiefe am Hauptbahnhof ausgeben will. Die Abstimmung kann nicht aufgeschoben werden, weil der U-Bahnhof gemeinsam mit der Zweiten Stammstrecke geplant werden muss, schildert Reiter.
Allerdings will der OB seinem Stadtrat nicht raten, die Gelder zu bewilligen, wenn bis dahin nicht klar ist, wie viel Geld der Bund in das Projekt steckt. Ansonsten drohe, dass dort im Untergrund die teuerste Disco oder der teuerste Bunker der Stadt entstehe.