"Eine Schande ist das": Der Frust der Müllwerker in München

München Früh um 5 Uhr ist Liedermacher Roland Hefter heute aufgestanden und hat sich noch fix einen Streik-Text einfallen lassen: "Der Mann, der nur am Schreibtisch sitzt mit einem weißen Hemd, der kennt nicht das Gefühl, wenn die Wirbelsäule klemmt. Dazu kaputte Knie, ja das alles ist nicht schön. Da muss man halt, wenns nimma geht, in Altersteilzeit gehn ...", singt er dreieinhalb Stunden später am Stachus ins Bühnenmikro (zur Melodie von Peter Alexanders "Papa wird's schon richten"). Und die Menge klatscht und lacht begeistert mit.

Ein harter Job
Dabei haben die rund 500 Müllwerker gar nicht so viel zu lachen, die sich hier in oranger Dienstkleidung des Abfallwirtschaftsbetriebs München (AWM) zum Warnstreik versammelt haben, nach einem Aufruf der Gewerkschaft Verdi. Viele von ihnen sind Männer deutlich über 50 Jahren. Der Job, den sie machen, gehört zu den härtesten in der Stadt. Er gehe mit den Jahren auf die Gesundheit und ans Nervenkostüm, erzählen sie - und mache etliche von ihnen krank im höheren Alter.
"Absolut schrecklich ist das."
Sie wollen deshalb ihr Recht zurück, als Beschäftige der Stadt tariflich begünstigt in Altersteilzeit (TV Flex AZ) gehen zu dürfen - mit 70 Prozent der Bezüge (statt üblicherweise 50 Prozent). Den entsprechenden Tarifvertrag haben die kommunalen Arbeitgeber laut Verdi zuletzt nicht verlängern wollen.
31 Jahre habe er "gebuckelt" als Müllmann, wie viele Versammelte hier, ruft Personalratschef Fritz Gattinger also ins Mikrofon. "Und was ist der Dank?" Dass nämlich etliche Kollegen in höherem Alter, deren Gelenke kaputt seien, zum Amtsarzt geschickt und dann per "K.O."-Gutachten für arbeitsunfähig erklärt werden. "Das ist schrecklich", sagt er, "absolut schrecklich ist das."

Rund 2900 Euro netto
Weil es für viele bedeute, danach überhaupt keinen Job mehr zu bekommen. "Wenn ein Kollege jahrelang für die Münchner Bürgerinnen und Bürger den Dreck wegräumt, und dann - kurz vor der Rente - staatliche Almosen in Form von Bürgergeld beantragen muss, dann ist das ein menschenunwürdiger Skandal. Eine Schande ist das!"
Wie der Job im Alltag ausschaut, kann beispielsweise Manni Schabmair (58, drei Kinder) anschaulich erzählen. Er habe mit 15 Jahren Schreiner gelernt, sagt er, war dann Regalbauer und zehn Jahre LKW-Fahrer für eine Spedition. Seit 25 Jahren fährt er jetzt werktäglich ab 6.30 Uhr Müllautos in München, während hinten zwei Mülllader im Team die Tonnen einsammeln. Rund 2900 Euro bekomme er netto, wobei ein Drittel davon Zulagen seien (wie die Erschwerniszulage für Müllwerker).
"Ich spüre das Wetter in allen Knochen."
"Ich merke einfach, dass es langsam nimmer geht", sagt er, "ich spüre das Wetter in allen Knochen." Vor allem die Wirbelsäule tue ihm weh vom dauernden Rumpeln im Müllwagen, wenn die Tonnen hineingeleert werden. Der Giesinger Kollege Egon Libera (57), der den Fahrerjob seit 29 Jahren macht, hat vor allem Schmerzen in der linken Schulter. Weil links permanent das Fenster offen steht, damit er beim Rangieren hinausschauen kann. Mit den Knie- und Fingergelenken schaut's nicht besser aus. "Anfahren und stoppen, das mache ich 500 bis 700 Mal am Tag. Dazu lenken und schalten, das spürst einfach irgendwann."

Ein Mülllader schiebt täglich 1400 Mülltonnen
Noch heftiger belastet sind die Mülllader - wie Robert Franz aus Sendling (59, gelernter Dachdecker und Spengler), seit 1986 bei der Müllabfuhr: Er schleppe und schiebe jeden Tag rund 1400 Mülltonnen auf seiner Tour in Solln, manche sind 300 Kilo schwer. Und er laufe dabei 13 bis 15 Kilometer, bei jedem Wetter.
Beschimpft, beleidigt und "von besonderen Deppen" manchmal sogar angefahren werde man auch, weil man den Verkehr störe. Zwei Herzinfarkte habe er gehabt. "Und seit einem halben Jahr ist meine Hüfte kaputt", sagt er, "irgendwann hilft das nix mehr, wenn du täglich Ibus reinschmeißt, weilst deinen Betrieb nicht hängenlassen willst."
"Ich hab jeden Monat einen Mann in meinem Büro, der weint."
Die bisherige Altersteilzeit-Möglichkeit sei ein "Notnagel" gewesen, um halbwegs gesund in die Rente zu kommen, erklärt Personalratschef Gattinger: "Man konnte zum Beispiel mit 63 noch zwei Jahre voll arbeiten, und zwei Jahre ruhen, jeweils bei 70 Prozent vom Lohn." Seit 2022 habe er stattdessen 60 Kollegen erlebt, die per "K.O."-Gutachten arbeitsunfähig geschrieben worden sind. Die Stadt müsse zwar dann einen anderen Job anbieten.
"Aber in unserer niedrigen Lohn-Eingruppierung kann man höchstens noch Pförtner werden oder irgendwas in der Registratur, da gibt es nicht viel." Mit der Folge, dass die Perspektive erst geringeres Krankengeld und dann Bürgergeld heiße - und womöglich auch der Verlust der Dienstwohnung. "Ich hab deswegen jeden Monat einen Mann in meinem Büro, der weint. 60-jährige, gestandene Männer sind das. Das darf doch nicht sein."

Streiken bald auch die Straßenbauer?
Wie es jetzt weitergeht? Die Müllwerker haben unter ihren Kolleginnen und Kollegen 750 Unterschriften für ihr Anliegen eingesammelt. Die wollen sie am Montag zu OB Dieter Reiter (SPD) ins Rathaus tragen, damit er sich beim kommunalen Arbeitgeberverband für sie einsetzt. Wenn sich nämlich nichts bewege, heißt es bei Verdi, könnten bald die nächsten Müll-Streiks drohen, aber nicht nur das. Es seien ja auch noch einige andere beschwerliche Berufe in der Stadt betroffen. Die Menschen vom Straßenbau, zum Beispiel.