Story

Eine Nacht gegen das Eis: Unterwegs mit dem Winterdienst in München

Gerade sind die Straßen spiegelglatt. Damit keine Unfälle passieren, beginnt der Winterdienst mit dem Streuen, wenn fast ganz München noch im Bett liegt. Die AZ hat einen Mitarbeiter in seiner Schicht begleitet.
von  Christina Hertel
Seit acht Jahren arbeitet Josef Zeilermeier für den Winterdienst. Mit Autofahren habe sein Job gar nichts zu tun. Schließlich ist sein Pflug über drei Meter breit.
Seit acht Jahren arbeitet Josef Zeilermeier für den Winterdienst. Mit Autofahren habe sein Job gar nichts zu tun. Schließlich ist sein Pflug über drei Meter breit. © Sigi Müller

München - Ein kleiner Eiszapfen hängt am Außenspiegel, so kalt ist es in dieser Nacht. Josef Zeilermeier, Sepp genannt, schnipst ihn mit den Fingern weg. Dann holt er einen langen Schlauch und spritzt sein Fahrzeug – einen orangefarbenen Unimog – ab. Es ist kurz vor sieben Uhr morgens und den anstrengendsten Teil des Tages hat Sepp Zeilermeier fast geschafft.

Zwei Uhr morgens, minus drei Grad – Arbeitsstart für den Winterdienst in München

Der 45-Jährige arbeitet für den Winterdienst der Stadt. Er steht auf, wenn die meisten Münchner noch lange in ihren warmen Betten liegen. Schließlich soll er fertig sein, wenn die vielen anderen aus dem Haus müssen. Um Viertel nach eins verlässt er seine Wohnung in Aubing, um zwei Uhr morgens beginnt seine Schicht beim Straßenunterhaltsbezirk Süd in einem Gewerbegebiet in Obersendling.

Zum Winterbeginn ist dieses Salzlager noch ganz voll gewesen.
Zum Winterbeginn ist dieses Salzlager noch ganz voll gewesen. © Sigi Müller

Drei Stufen muss man hochkraxeln, um in die Fahrerkabine zu kommen. Dann sitzt man so hoch, dass man bei offenem Fenster die Verkehrsschilder berühren könnte. Aber es bleibt zu – minus drei Grad hat es in dieser Nacht. In der Kabine ist es muckelig warm, in einer Thermoskanne hat Sepp Zeilermeier sein "Lebenselixier" mitgebracht: Kaffee.

Es ist drei Uhr morgens und Zeilermeier beginnt mit seiner ersten Tour durch den Münchner Süden. Schnee gibt es noch keinen zu räumen, aber er muss streuen. Der Wetterdienst rät, das Haus nur in dringenden Fällen zu verlassen – so glatt ist es. Zahlreiche Unfälle, meistens Blechschäden, meldete die Polizei nach dieser Nacht.

Wären Zeilermeier und seine Kollegen nicht ausgerückt, vielleicht wäre Schlimmeres passiert.

Winterdienst-Mitarbeiter: "Am Anfang war ich schon etwas zittrig"

Angst, selbst einmal bei Glatteis umherzurutschen, habe er in seinem Fahrzeug nie, sagt Zeilermeier. Überhaupt habe sein Job nichts mit Autofahren zu tun. Gute drei Meter sei der Pflug lang. "Da war ich am Anfang schon etwas zittrig", meint er.

Acht Jahre ist seine erste Fahrt her. Nervös wirkt Zeilermeier kein Stück. Er ist ein Mann, der kein Wort zu viel sagt und nicht gerne von sich selbst erzählt. Ein Zufall habe ihn zu dem Job gebracht, sagt er. Welcher? "Das ist Privatsache." Lieber spricht Sepp Zeilermeier über sein Fahrzeug, seine Rumpelliese, wie er den orangefarbenen Unimog nennt.

Zeilermeier fährt seit acht Jahren die gleiche Strecke

An einem kleinen Computer kann er einstellen, was, wie viel und wie weit er das Salz ausstreut. Denn er kippt nicht einfach tonnenweise Salz auf die Straße. "So viel wie nötig, so wenig möglich lautet die Devise.” An besonders glatten, aber schneefreien Tagen wie heute streut Zeilermeier ein Gemisch aus Salz und Sole auf den Asphalt. Bei Schnee lässt er die Sole weg – schließlich ist der Boden dann schon feucht. Zwischen drei und acht Meter weit kann er das Salz werfen.

2,6 Tonnen Salz verteilt Zeilermeier in dieser Nacht auf der Straße.
2,6 Tonnen Salz verteilt Zeilermeier in dieser Nacht auf der Straße. © Sigi Müller

Die Tour kennt Zeilermeier auswendig. Es ist seit acht Jahren die gleiche Strecke. Sie führt ihn am Tierpark vorbei, die Isar entlang. Er sieht alte Villen in Solln, neue Hochhäuser in Obersendling, leerstehende Büros, wo früher Menschen für Siemens arbeiteten.

Dass es für das Wetter einen Unterschied macht, wie dicht die Häuser beieinanderstehen, merkt er. Am Stadtrand, wo es noch Felder gibt, sieht die Straße so aus, als hätte jemand Puderzucker verstreut. In der Stadt spiegeln sich Lichter auf dem nassen Asphalt.

Über die Tierparkbrücke muss er auch fahren.
Über die Tierparkbrücke muss er auch fahren. © Sigi Müller

Auf den Geh- und Radwegen sind keine Mitarbeiter der Stadt unterwegs

Auf dem Gehweg kippt ein Mann mit Eimer und Schaufel Splitt aus. Ein Kollege? Nein, eine Fremdfirma, antwortet Zeilermeier. Er und seine Kollegen fahren nur auf größeren Straßen oder auf solchen, auf denen Busse unterwegs sind. Auf kleineren Straßen, auch auf Geh- und Radwegen sind keine Mitarbeiter der Stadt unterwegs, erzählt Zeilermeier. Warum, kann er nicht sagen.

Das habe wirtschaftliche Gründe beantwortet später die Pressestelle des Baureferats. Für den Winterdienst sei mehr Personal nötig, als die Stadtverwaltung während des restlichen Jahres benötigt. Insgesamt sind 17 Firmen im Winter für die Stadt unterwegs.

Das Salz hat den Schnee auf der Siemensallee schon aufgelöst.
Das Salz hat den Schnee auf der Siemensallee schon aufgelöst. © Sigi Müller

"Ganz still ist selbst die Nacht nicht"

Der Eindruck, dass sich die Stadt im Winter mehr um die Autofahrer als die Fußgänger kümmert, sei falsch, schreibt die Pressestelle. Auf Geh- und Radwegen gebe es sogar etwa 50 Prozent mehr Einsätze. Radwege könnten aber aus technischen Gründen erst ab einer Schneehöhe von drei Zentimetern geräumt werden. Außerdem kommt auf Geh- und Radwegen aus Umweltschutzgründen kein Salz, sondern Splitt zum Einsatz.

Von diesen Beschwerden habe er nichts gehört, sagt Zeilermeier. Er bemerkt nur die Ungeduldigen in den Autos, die sich an ihm vorbei drängeln. Denn schneller als 30 km/h darf er beim Streuen nicht fahren, beim Räumen sind es maximal 20 km/h.

Huch, was ist denn da los? Ein Auto fährt auf dem Weg, die Warnblinker sind an. "Ich tippe auf Zeitungsausträger", meint Zeilermeier. Tatsächlich bleibt der Wagen vor den Zeitungskästen stehen. 4.30 Uhr ist es inzwischen. Und in einigen Fenstern geht so langsam das Licht an. "Ganz still ist selbst die Nacht nicht", sagt Zeilermeier. Es sind eben nur die unterwegs, die keinen stören sollen. Eine Straße ist gesperrt, weil Bauarbeiter einen Kran aufbauen. Kurz nach 6 Uhr sind sie schon wieder weg. Um 6.30 Uhr macht jemand die Dixi-Klos an der Isar sauber. Um 6.50 Uhr entleert einer den Mülleimer an einer Bushaltestelle.

Um acht Uhr darf Zeilermeier nach Hause. 2,6 Tonnen Salz und 1,1 Tonnen Sole hat er in dieser Nacht auf der Straße verteilt. Jetzt will er ein wenig schlafen.

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