Ein Stück Münchner Stadtgeschichte über der Schulter

Das junge Münchner Unternehmen Kurzzug stellt Taschen aus ausrangierten U-Bahn-Sitzbezügen her. Und die gefallen nicht nur den Münchnern. Auf den Erfolg musste Kurzzug-Gründer Jörg Schleburg aber lange warten.
von  Katrin Heimerl
„Was aus München kommt, hat Qualität“, betont Kurzzug-Gründer Jörg Schleburg. Seine Produkte aus dem petrolfarbenen Kunstleder der alten Münchner U-Bahn-Wagen kosten aber auch dementsprechend.
„Was aus München kommt, hat Qualität“, betont Kurzzug-Gründer Jörg Schleburg. Seine Produkte aus dem petrolfarbenen Kunstleder der alten Münchner U-Bahn-Wagen kosten aber auch dementsprechend. © kurzzug

Das junge Münchner Unternehmen Kurzzug stellt Taschen aus ausrangierten U-Bahn-Sitzbezügen her. Und die gefallen nicht nur den Münchnern. Auf den Erfolg musste Kurzzug-Gründer Jörg Schleburg aber lange warten.

München - Die Beziehung der Münchner zu ihrer U-Bahn ist ja nicht immer leicht. Betriebsstörungen, Verspätungen und Schienenersatzverkehr prägen den Beziehungsalltag. Und der neue Rekord von 390 Millionen Fahrgästen im Jahr 2015 zeigt, dass immer mehr Menschen in die ohnehin schon oft überfüllten Züge drängen.

Doch in den Waggons im Untergrund fahren nicht nur Millionen Menschen, sondern auch 40 Jahre Münchner Stadtgeschichte mit: von der Schickeria über die alljährliche Wiesn bis zu den Olympischen Spielen 1972, für die die U-Bahn gebaut wurde.

Taschen mit Münchner Lebensgefühl

Jörg Schleburg hat es sich mit seinem Start-Up-Unternehmen Kurzzug zur Aufgabe gemacht, das besondere Flair der alten Münchner U-Bahnen zu bewahren.

Was er dazu macht? Er näht aus deren ausgemusterten Sitzbezügen Taschen. Wie er sagt: Taschen mit original Münchner Lebensgefühl.

Den Plan von der U-Bahn-Tasche fasste der Kurzzug-Initiator bereits 2011. Doch von der Idee bis zur ersten fertigen Tasche war es ein weiter Weg. Es dauerte fast zwei Jahre bis Schleburg überhaupt Probematerial von der MVG bekam, denn er hatte Schwierigkeiten, für seine ungewöhnliche Anfrage den richtigen Ansprechpartner zu finden. Das gab es bei der Münchner Verkehrsgesellschaft schließlich auch noch nicht, dass jemand aus ihrem Abfall etwas Neues herstellen wollte.

Auch die ersten Versuche auf einer geliehenen Nähmaschine waren nicht gerade ermutigend. „Das war wirklich nicht schön, was ich gemacht habe“, gesteht der Inhaber einer Werbeagentur. Weitere zwei Jahre später holte er dann Wolfgang Bischoff mit ins Boot, ebenfalls Agenturinhaber, aber mit über 20 Jahren Erfahrung in der Textilbranche. Das Ergebnis der Zusammenarbeit: eine erste Kollektion bestehend aus Stadttasche, Weekender, Geldtasche und Schlüsselanhänger.

Zug vom Typ C2 im Einsatz: Neue U-Bahn endlich in Betrieb

Den beiden Taschenproduzenten war es wichtig, dass jede Naht und jeder Reißverschluss zu einhundert Prozent passt. „Was aus München kommt, hat Qualität“, betont Schleburg. Seine Produkte aus dem petrolfarbenen Kunstleder der alten Münchner U-Bahn-Wagen kosten dementsprechend. Für die Stadttasche zum Beispiel muss man 375 Euro hinblättern. Schleburg, übrigens ein gebürtiger Münchner, findet das gerechtfertigt, da jede Tasche in Handarbeit gefertigt wird. Außerdem sind die betagten U-Bahn-Waggons Auslaufmodelle, das Grundmaterial also endlich.

„Irgendwann wird es einen Cut geben, dann gibt es kein Material und auch keine Taschen mehr.“

Derzeit liefert die MVG noch regelmäßig ausgemusterte Kunstlederbezüge für die Taschenproduktion. Ein Sitzbezug ist für gewöhnlich ein paar Jahre im Untergrund im Einsatz. Bei Schäden, beispielsweise durch Vandalismus, muss er früher ausgetauscht werden und landet dann im Kurzzug-Materiallager.

Wie lange das noch so weitergehen wird, ist unklar. Daher ist jedes Taschenmodell auf 300 Stück limitiert.

Schleburg und Bischoff verarbeiten auch nur die am besten erhaltenen Sitzbezüge, die „Filetstücke“, zu Taschen und das nach aufwendiger Reinigung. Über 40 Jahre Geschichte hinterlassen schließlich ihre Spuren. Mit der Hand schrubben die beiden jeden einzelnen Bezug selbst. Trotzdem klagt Jörg Schleburg, die Münchner wären noch viel zu brav. Er träumt von einer Taschen-Sonderedition aus bekritzeltem oder bespraytem Kunstleder.

Und wie sehen das die Münchner U-Bahn-Pendler? Fragt man nach, merkt man: Sie finden die Kurzzug-Taschen schön, aber auch schön teuer. Das Material hätten sie ohne Hinweis nicht erkannt.

Diese Erfahrung hat auch Ralf Fischer gemacht. Er ist der Inhaber des einzigen Geschäfts in München, in dem man die Taschen bewundern kann. „Wer es weiß, erkennt es aber sofort.“, betont er. Das schlichte Design funktioniert auch ohne den Bezug zur U-Bahn. Gerade die Damen wünschen sich allerdings eine etwas weiblichere Tasche. Ein Wunsch, der bald erfüllt wird. Nachdem es bis zur ersten U-Bahn-Tasche mehrere Jahre gedauert hat, sollen nun in immer kürzeren Abständen neue Modelle angeboten werden. Neben einer Frauenhandtasche ist auch ein Rucksack in Planung.

Obwohl ständige Gleisarbeiten und Zugausfälle ihre Nerven strapazieren, können sich offenbar doch viele Münchner vorstellen, ihre Habseligkeiten in einem Stück U-Bahn-Geschichte zu verstauen. Im Grunde ihres Herzens hängen sie wohl doch an ihrer U-Bahn – und die vielleicht bald über ihrer Schulter.


Wer sich eine Kurzzug-Tasche einmal selbst probehalber über die Schulter hängen möchte, kann dies bei Ralf's Fine Garments in der Fraunhofer Str. 29 in München, tun. Kaufen kann man die Tasche dann im Internet unter www.kurzzug.de.

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