Ein Soziologe über Singels: "Meistens ist es eine Notlösung"
Ein Soziologe über eine stark wachsende Spezies – die Singles: "Nur wenige haben es von vornherein angestrebt, alleine zu sein".
AZ: München ist Singlehauptstadt – in 54,2 Prozent der Haushalte lebt nur eine Person. Ein trauriger Rekord?
STEFAN HRADIL: Diese Verhältnisse sind inzwischen üblich. Auch in anderen Großstädten sind die Hälfte aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte. Natürlich hat diese Entwicklung etwas Negatives. Der Anlass der Menschen, allein zu leben, ist meistens negativer Art. Bei vielen ist es die Konsequenz aus schlechten Erfahrungen. Nur wenige haben es von vornherein angestrebt, alleine zu sein. In der Regel ist das eine Notlösung. Aber viele arrangieren sich gut damit. Die hohe Zahl an Single-Haushalten hat aber in gewisser Weise auch Gutes.
Inwiefern?
In vielen Fällen ist das Alleinleben mindestens für eine Zeit eine freiwillige Entscheidung. Wenn Menschen zum Beispiel nach einer Trennung beschließen, dass sie sich neu sortieren müssen. Es ist eine angenehme Eigenschaft unserer Gesellschaft, dass wir so reich sind und so viel Wohnraum haben, dass Menschen allein leben können, wenn sie das wollen.
Seit den 70ern ist die Zahl der Ein-Personen-Haushalte enorm angestiegen. Warum?
Das hat zum Teil berufliche Gründe – mit manchen Jobs ist eine Partnerschaft schwer zu vereinbaren. Wer viele berufliche Wechsel hat, kann von seinem Partner nicht immer erwarten mitzuziehen. Zudem fragen sich hochqualifizierte Frauen: „Warum habe ich so lange studiert, wenn ich dann nicht die beruflichen Früchte einfahre?“ Partnerschaften sind oft karriereschädigend. Und dann gibt es noch einige andere Gründe für den starken Anstieg – wie das Älterwerden unserer Gesellschaft oder die Zunahme an Scheidungen.
Liegt es nicht auch daran, dass sich das Denken der Menschen verändert hat?
Natürlich. Voreheliche sexuelle Beziehungen und allein lebende Frauen sind heute etwas ganz Normales. Das war früher anders. Da haben sich die Einstellungen stark geändert. Es gibt eine Bildungsexpansion. Und eine Individualisierung. Viele Leute wollen sich eine Zeit lang alleine ausprobieren. Bei jüngeren Menschen hat sich durchgesetzt, was die Soziologen sequentielle Monogamie nennen. Sie haben hohe Ansprüche an die Treue. Aber sie sind schnell bereit, eine Beziehung hinzuschmeißen, wenn es Probleme gibt. Früher hat man an Beziehungen längere Reparaturversuche unternommen. Manchmal sicher auch aus Gesichtswahrungsgründen.
Hat der Sinneswandel auch mit wachsendem Egoismus in unserer Gesellschaft zu tun?
Ich-Bezogenheit heißt nicht unbedingt Egoismus. Die Menschen richten sich ihr Leben ein, wie sie mögen. Aber das muss nicht egozentrisch sein.
Wird es aus Ihrer Sicht irgendwann wieder weniger Single-Haushalte geben?
Das könnte schon sein, aber das dauert noch etwas. Der Höhepunkt der Alterung unserer Gesellschaft wird erst 2040 bis 2045 erreicht. Die Zahl wird also erst noch weiter steigen – teils wegen des Alters, teils weil es kompliziert ist, Beziehung und Beruf zu vereinbaren. Aber der Anstieg wird nicht so drastisch sein wie bisher. Auch, weil Familie Konjunktur hat. Selbst viele Menschen im Alter tun sich inzwischen häufiger zusammen und gründen wieder Partnerschaften.
Interview: Julia Lenders
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