"Ein Skandal": Ausschreibung der Stadt München zu E-Ladesäulen wegen Verfahrensfehler hinfällig

München – Anfang des Jahres hatte der Münchner Anwalt Benno Ziegler im Namen des Ladesäulen-Herstellers Qwello beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Stadt eingereicht. Das Unternehmen hatte angeboten, kostenfrei bis zu 1.800 Ladesäulen für Elektro-Fahrzeuge aufzustellen. Das zuständige Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) lehnte den Vorschlag mit der Begründung ab, seit 2020 laufe eine Ausschreibung für 2.700 Ladesäulen.
Ausschreibung der Stadt München fälschlicherweise als Dienstleistungsauftrag formuliert
Wie die AZ erfuhr, ist genau diese Ausschreibung nun aber hinfällig. "Die zuständige Vergabekammer Südbayern hat mit Beschluss vom 19. Oktober entschieden, dass die Landeshauptstadt München bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet wird, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen", bestätigte ein Sprecher der Regierung von Oberbayern auf Anfrage.
"Tragende Begründung" sei gewesen, dass die Landeshauptstadt München die Leistung fälschlicherweise als Dienstleistungsauftrag und nicht als Konzession ausgeschrieben habe: "Für die Vergabe von Konzessionen gelten andere gesetzliche Verfahrensvorgaben als für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen."
Qwello-Anwalt Ziegler: "Die Stadt saß in einer juristischen Geisterbahn"
Für Ziegler ist die Entscheidung, respektive das Festhalten der Stadt an dieser Ausschreibung, schlichtweg "ein Skandal". In dreieinhalb Jahren sei auf öffentlichem Grund deshalb keine einzige neue E-Ladesäule mehr errichtet, vielleicht mal hier und da eine Ladesäule ausgetauscht worden, sagte er der AZ: "Die Stadt saß in einer juristischen Geisterbahn."
Klimaschutz-Referentin Kugler: "Leider ließ sich der Prozess nicht abbrechen"
Das RKU habe das 2020 vom damaligen Referat für Gesundheit und Umwelt eröffnete Vergabeverfahren 2021 sozusagen "geerbt", betont Klimaschutz-Referentin Christine Kugler: "Es zeichnete sich recht schnell ab, dass verschiedene Gründe für eine andere Art der Ausschreibung gesprochen hätten. Leider ließ sich der Prozess nicht abbrechen, da wir mit Schadensersatzklagen rechnen mussten."

Die hohe Komplexität des Themas habe viel Zeit und Nerven gekostet, stellt Kugler fest und versucht, das Ganze positiv zu sehen: "Die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern bietet nun die Chance, mit dem ebenfalls 2021 neu gegründeten Mobilitätsreferat und dem Kreisverwaltungsreferat gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten, die den aktuellen Marktbedingungen Rechnung trägt und einen schnellen Beitrag zur Verkehrswende leistet."
Mobilitätsreferent Dunkel: "Ohne mehr Ladeinfrastruktur auf Privatgrund wird die Antriebswende nicht klappen"
Das Mobilitätsreferat habe bereits Pläne in der Schublade, mit denen es gelingen könne, "die Ladeinfrastruktur für Autos in der Stadt möglichst schnell weiter aufzubauen", sagt der zuständige Referent Georg Dunkel der AZ. "Doch ohne mehr Ladeinfrastruktur auf Privatgrund, also zum Beispiel auf den Parkplätzen und in Tiefgaragen von Supermärkten, an Tankstellen, beim Arbeitgeber oder zu Hause, wird die Antriebswende nicht klappen. Hier müssen wir alle gemeinsam aktiv werden, damit in München künftig genügend Ladesäulen für Elektroautos zur Verfügung stehen."

Für Eigentümer oder Investoren sei es "auf Privatgrund leichter, kleinräumige Lösungen mit einzelnen Anbietern umzusetzen", so Dunkel.
Mit Blick auf Projekte wie die in der Werkstadt Sendling entstandenen Investa-Elaway-Ladesäulen verweist er auf hemmende rechtliche Vorgaben auf kommunalen Flächen für Genehmigungen von Einbauten im öffentlichen Raum: "Unabhängig von großräumigen Vergaben und anderen Aufträgen im Sinne des Gemeinwohls sind zum Beispiel auch Sondernutzungsrichtlinien und Vorgaben aus Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht einzuhalten."
Mobilitätsreferat: "Bedarf an Unterstützung durch die öffentliche Hand ist rückläufig"
Im Zuge der Umsetzung der "Mobilitätsstrategie 2035", dem Fahrplan für die Verkehrswende in München, plant und organisiert das Mobilitätsreferat seit seiner Gründung vor drei Jahren unter anderem die Verteilung des öffentlichen Straßenraums in München.
Auch die rund 1.200 bereits bestehenden Ladepunkte der Stadtwerke München (SWM) koordinierte das Mobilitätsreferat. Dementsprechend werde künftig auch der Aufbau der Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum in der Zuständigkeit des Referats liegen, teilte eine Sprecherin mit.
In den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen für den Aufbau einer ansprechenden Infrastruktur bei der Errichtung von E-Ladesäulen verändert, für viele Privatunternehmen ist deren Aufbau und Betrieb finanziell interessant. "Der Bedarf an Unterstützung durch die öffentliche Hand ist rückläufig", heißt es beim Mobilitätsreferat.
Mobilitätsreferat will dem Stadtrat Anfang 2024 einen "Masterplan" vorlegen
Dort rechnet man künftig mit einem deutlich größeren Interesse der Anbieter als noch vor einigen Jahren: "Ziel ist es nun, schnell und rechtssicher ein geeignetes Verfahren für eine reibungslose Beantragung von Standorten zu entwickeln, damit ein schneller weiterer Ausbau der Ladeinfrastruktur in München durch mehrere, verschiedene Anbieter möglich wird."
Anfang 2024 werde man dem Stadtrat eine Beschlussvorlage und damit einen "Masterplan" zum schnellen Aufbau von Ladeinfrastruktur zur Entscheidung vorlegen, verspricht das Mobilitätsreferat. Das übergeordnete Konzept werde ausdrücklich den privaten Raum mitberücksichtigen. Weil der öffentliche Raum "ein knappes und wertvolles Gut" sei, formuliert das Mobilitätsreferat ein "klares strategisches Ziel": Ein Großteil der künftig nötigen Ladeinfrastruktur soll auf Privatgrund entstehen.

Was die Qwello-Klage gegen die Stadt betrifft, hält sich das Referat für Klima- und Umweltschutz bedeckt: "Dies ist ein laufendes Gerichtsverfahren, zu dem wir uns nicht äußern können." Anwalt Benno Ziegler ist sicher: "Das dauert noch ewig."
VDA-Ranking: Münchens E-Auto-Ladenetz unter ferner liefen
Geht es nach dem Koalitionsvertrag und der "Nationalen Industriestrategie 2030", dann will die Bundesregierung in sieben Jahren das Ziel von einer Million E-Ladepunkten erreicht haben.
Wie das aktuelle E-Ladenetz-Ranking des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zeigt, müsste sich das Ausbautempo der vergangenen zwölf Monate mehr als verdreifachen. Und in rund der Hälfte (48 Prozent) aller 10.773 Gemeinden in Deutschland gibt es immer noch keinen einzigen öffentlichen Ladepunkt.
Ingolstadt beim E-Auto-Ladenetz bundesweiter Spitzenreiter
Der VDA hat Daten der Bundesnetzagentur und des Kraftfahr-Bundesamtes miteinander verglichen. Die Zahlen zeigen: Wer in Bayern auf ein E-Auto umsteigen will, der tut sich in Ingolstadt deutlich leichter als in München.
Demnach gab es zum Stichtag 1. Juli in Ingolstadt 1.527 öffentliche Ladepunkte und 100.400 zugelassene Autos – also 66 Autos je Ladepunkt. Bundesweit Platz zwei belegte die Stadt Regensburg mit 125 Autos je Ladepunkt, gefolgt von Emden in Niedersachsen. In den drei Städten stehen Autofabriken von Audi, BMW und VW.
In München kommen laut VDA 320 zugelassene Autos auf einen öffentlichen Ladepunkt, die Stadt belegt im bundesweiten Ranking damit Platz 282 (von insgesamt 399), der Landkreis München steht da auf Rang 262 ein wenig besser da.
In der Hälfte aller Gemeinden gibt es keinen öffentlichen Ladepunkt
In Deutschland gab es zum Stichtag rund 97.500 öffentlich zugängliche Ladepunkte, davon 18.600 Schnellladepunkte, für rund zwei Millionen Batterieautos und Plug-in-Hybride. Bei den Bundesländern haben Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen das beste Verhältnis von E-Autos und Ladepunkten.
Allerdings "ist der E-Pkw-Bestand in den neuen Bundesländern noch vergleichsweise gering", betonte der VDA laut einer Mitteilung. Bayern landet im Mittelfeld auf Platz sieben. Die seit Jahren klaffende Lücke zwischen Angebot und Bedarf bei der öffentlichen Ladeinfrastruktur für E-Autos war von 2020 bis 2022 sukzessive angewachsen. Jetzt ist sie etwas kleiner geworden, doch es bestehen weiterhin große Unterschiede in den Gemeinden, und der Handlungsbedarf beim Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland bleibt groß.
"Die Menschen brauchen die Gewissheit, überall und zu jeder Zeit unkompliziert laden zu können, damit sie auf die E-Mobilität umsteigen", wird VDA-Präsidentin Hildegard Müller in der Mitteilung zitiert. Aber in acht von zehn Gemeinden in Deutschland gebe es noch keinen Schnellladepunkt, und in der Hälfte aller Gemeinden suche man gar vergeblich auch nur einen einzigen öffentlichen Ladepunkt: "Das ist ernüchternd."