Ein nicht geimpftes Kind: "Ein erhebliches Sicherheitsrisiko"

Angesichts der aktuellen Masern-Verbreitung schließen Politiker eine allgemeine Masern-Impfpflicht nicht mehr aus. Münchner Ärzte fordern: Nur noch Kinder in Krippen, Kindergärten und Schulen aufnehmen, die einen Impfschutz vorweisen können.
München - In den Kinderarztpraxen in Berlin herrscht Alarmbereitschaft. Viele Ärzte sprechen von einer Katastrophe. Seit Oktober vergangenen Jahres haben sich in der Hauptstadt 574 Menschen mit Masern angesteckt. Vergangene Woche ist ein eineinhalb Jahre alter Bub an der hochansteckenden Infektionskrankheit gestorben (AZ berichtete). Er war zwar geimpft – aber nicht gegen Masern. Die beunruhigende Ausbreitung hat die Debatte um eine Impfpflicht in Bayern und ganz Deutschland neu entfacht.
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Bayerns – hochschwangere – Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) schloss gestern eine allgemeine Masern-Impfpflicht nicht mehr aus – als letztes Mittel. Und Münchner Ärzte wie der Neurochirurg Matthias Schröder oder die Kinderärztin Brigitte Dietz fordern, dass nur noch Kinder in Krippen, Kindergärten und Schulen aufgenommen werden, die einen entsprechenden Impfschutz vorweisen können. „Eine Gemeinschaft nahezu sektenähnlich indoktrinierter Eltern“
„Ein nicht geimpftes Kind stellt, von dessen Eltern verschuldet, ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die anderen Kinder dar“, sagt Matthias Schröder, der seine Praxis im Tal hat. Der 42-Jährige behauptet gar: „Impfgegner schränken die Freiheit anderer ein. Radikale Impfgegner sind nicht zu belehren und absolut beratungsresistent – und zwar unabhängig von ihrem Bildungsgrad. Es hat sich hier in beängstigender Art und Weise eine radikale Gemeinschaft nahezu sektenähnlich indoktrinierter Eltern zusammengefunden.“
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Der Tod des kleinen Jungen in Berlin wäre vermeidbar gewesen, wenn er – bzw. die Menschen in seinem Umfeld – einen entsprechenden Impfschutz gehabt hätten. Möglicherweise wird es nicht bei diesem einen Todesfall bleiben. Derzeit schweben in Berlin zehn Babys in akuter Gefahr. Gerade bei Babys bis zu elf Monaten, die noch nicht geimpft werden können, ist die Krankheit extrem gefährlich. Eine Spätfolge ist die Masern-Gehirnentzündung (SSPE). Sie verläuft immer tödlich.
München und Bayern sind derzeit von einer Masern-Epidemie noch weit entfernt. Doch auch hier gab es bereits Jahre mit sehr vielen Fällen wie 2001 mit 2223 gemeldeten Erkrankungen oder 2013 mit 787 Fällen (siehe Grafik oben). 2011 starb ein 26-Jähriger im Klinikum Großhadern an der Krankheit, die durch das Einatmen von winzigen Tröpfchen, die beim Sprechen, Husten und Niesen verbreitet werden, übertragen werden.
Aktuell sind in Bayern insgesamt 51 Masern-Erkrankungen gemeldet, davon 37 in Oberbayern. „Eine Häufung ist in Traunstein und Rosenheim zu beobachten“, sagt Claudia Schuller vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebenmittelsicherheit, bei dem die Zahlen erfasst werden. Gerade in Rosenheim, Traunstein, Garmisch-Partenkirchen, Berchtesgaden, Landsberg am Lech sowie im Südwesten Münchens ist die Durchimpfungsrate sehr gering.
„Wir können wohl von einem Zufall sprechen, dass wir in diesem Jahr bisher nicht so viele Fälle haben“, sagt die Ärztin Brigitte Dietz aus Taufkirchen, die auch stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bayern ist. Auffallend sei, „dass es gerade die gut betuchten Gegenden sind, in denen es weniger Impfschutz gibt“, sagt die Ärztin.
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Eigentlich war das erklärte Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, Masern bis zum Jahr 2020 auszurotten. Das bedeutet, das pro Jahr auf eine Million Einwohner die Krankheit nur ein Mal auftritt.
Für Deutschland hieße das: maximal 80 Fälle pro Jahr. Die Masern-Welle in Berlin wertet die WHO als derben Rückschlag. Schwere Ausbrüche werden zwar immer wieder aus den ärmsten Regionen der Welt gemeldet. Wenn jedoch sogar in der Hauptstadt eines Industriestaates Eltern nicht für den Impfschutz ihrer Kinder sorgen, lässt dies die Hoffnungen sinken, dass die Krankheit bald ausgemerzt ist.
Doch wie kann eine „Durchimpfung“ erreicht werden? Die Impf-Experten raten Personen, die nach 1970 geboren wurden und nur einmal gegen Masern gepiekst wurden, die Impfung aufzufrischen. Gerade bei den über 30-Jährigen gibt es große Impflücken. Die meisten Impfungen sind kostenlos. Kleinkinder sollten zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat und zum zweiten Mal zwischen dem 15. und 23. Monat geimpft werden.
Und wie erreicht man Impf-Skeptiker oder Gegner? Der Münchner Kinderarzt Christian Schött setzt statt auf eine Pflicht auf ausführliche Information und Geduld. „Man muss die Sorgen der Eltern ernst nehmen. Jeder will nur das Beste für sein Kind. Viele Informationen, auf die sich Impfgegner stützen, stammen aus alten, zweifelhaften Quellen und sind widerlegbar. Aber sie werden in Foren hartnäckig verbreitet. Tatsache ist, dass die Impfstoffe verglichen mit einem Großteil der Medikamente, die viele im Alltag bedenkenlos einnehmen, gut erprobt und sicher sind.“