Ein Münchner Flaschensammler packt aus
Peter L. (41) bezieht Hartz IV - und bessert sich seine Finanzen durch das auf, was andere in den Mülleimer werfen.
MÜNCHEN Zögerlich schaut der stämmige kleine Mann mit der petrolblauen Jacke in die runden Öffnungen der eckigen Mülleimer. Nix drin. Peter L. (41) sammelt seit zwei Jahren Pfandflaschen. Sein „Jagdrevier” sind die Mülleimer rund um den Münchner Hauptbahnhof und im Untergrundbereich der U- und S-Bahnen. „Andere schauen in die Glotze oder lassen sich volllaufen. Ich gehe halt lieber raus und mache was”, sagt er.
Vor zwei Jahren hat Peter L. seinen Beruf als Mesner in der Pfarrei Giesing, wo er auch Hausmeisteraufgaben übernahm, aufgegeben. Aus gesundheitlichen Gründen wie er sagt: „Es war meine eigene Entscheidung und die Gesundheit war mir einfach wichtiger.” Der Münchner leidet an Bluthochdruck, Diabetes und hat nach eigenen Angaben schon einen Suizidversuch hinter sich. Zu den gesundheitlichen Beschwerden kamen auch noch die finanziellen. „Ich habe bestimmt noch 5000 Euro Schulden.” Die entstanden einerseits „aus Blödsinn”, wie er es ausdrückt. Und andererseits stehe da noch ein Geldbetrag seiner pflegebedürftigen Eltern aus.
Das Flaschenpfand hilft ihm, sein Hartz-IV-Einkommen aufzubessern. Außerdem mag er das ewige Daheimsitzen nicht. Peter ist ledig und hat eine Wohnung für sich allein. Einer seiner Brüder wohnt im gleichen Block, aber sie haben kaum Kontakt. Der andere wohnt weiter weg.Fast täglich startet Peter L. gegen 10 Uhr mit zwei Jutesäcken und einem blauen Rucksack auf dem Rücken in Richtung Hauptbahnhof. Er könnte auch in die Fußgängerzone gehen, aber da sind so viele Flaschensammler, dass man kaum Glück hat, dort noch was zu ergattern, sagt er. „Die beste Zeit zum Sammeln ist gegen Mittag, denn dann kommen viele zum Essen her und schmeißen ihre Flaschen einfach weg, weil es ihnen zu umständlich ist, sie wieder zurückzugeben,” sagt der füllige Mann. Ein Glück für ihn.
Am Wochenende lohnen sich vor allem die Abendstunden, wenn die Leute vor dem Clubbesuch noch eine Flasche Bier leeren. Auch Großveranstaltungen wie Fußballspiele und Konzerte sind wahre Goldgruben für Flaschensammler. Momentan macht er mit dem Flaschenpfand-Geschäft um die zwei bis drei Euro Gewinn am Tag. Aber das sei von Tag zu Tag unterschiedlich und vor allem jahreszeitlich bedingt. Im Sommer kassiert er an zwei Tagen schon mal acht bis neun Euro. Die angesammelte „Beute“ bringt Peter L. nach seiner Arbeit in den nächsten Supermarkt und kauft davon Lebensmittel.
Das Flaschenpfand unterscheidet sich in drei Preisklassen. Die Oberklasse: Einwegflaschen, wie Dosen oder Flaschen aus weichem Plastik für 25 Cent. Die Mittelklasse: Mehrwegflaschen aus Glas oder hartem Plastik für 15 Cent. Die Unterklasse: Bierflaschen für acht Cent. Am liebsten sind Peter L. die Plastikflaschen: „Die sind leichter zu tragen als Bierflaschen“. Scham kennt der 41-Jährige nicht: „Viele Bekannte von mir nehmen beim Rumgehen Flaschen mit und lösen das Pfand ein. Ich habe auch schon Leute in Anzug und Krawatte gesehen, die Flaschen gesammelt haben, bei denen man denkt, die haben das doch gar nicht nötig.“
Pöbeleien und dumme Sprüche von Umstehenden sind nicht selten: „Manche sagen zu mir ,Geh arbeiten’ oder reden mich blöd an, dabei wissen sie ja gar nicht, aus welchen Gründen ich das hier mache“. Manchmal neigt Peter L. auch dazu, den Leuten einfach Lügen zu erzählen, wenn sie ihm blöd kommen. Eine zusätzliche Unannehmlichkeit können Bahnhofswachen sein, denn die Mülleimer und deren Inhalt sind Eigentum der Bahn. Wer sich also beim Flaschensammeln erwischen lässt, dem droht schon mal der Rauswurf vom Gelände. Peter L. spricht aus Erfahrung: „Ich habe auch mal am Flughafen gesammelt, aber dort sind die Wachen sehr streng, die haben mich sofort kontrolliert und rausgeschmissen.“
Rivalität, oder „markierte“ Mülleimer, die nur bestimmten Sammlern vorbehalten sind, gebe es zurzeit nicht, jedoch: „Einer hat mal versucht sowas durchzusetzen, aber das hat mich nicht interessiert und außerdem müsste er es dann mit mehreren aufnehmen“, sagt der Münchner Flaschensammler lächelnd. Peter L. hilft gerne. Immer mit dabei auf seiner Tour durch den Hauptbahnhof: Fahrpläne. „Manchmal werde ich von Leuten gefragt, die sich nicht auskennen, wie die Bahnen fahren. Mit den Fahrplänen helfe ich ihnen – schließlich kann sich das auch positiv für mich auswirken“, sagt Peter L. und meint damit eine kleine Geldspende der Hilfesuchenden.
Noch lukrativer als das Flaschenpfand ist aber das Betteln. „Betteln rentiert sich auf jeden Fall mehr als Flaschen zu sammeln“, gibt L. zu. An Silvester hat er stolze 71 Euro zusammenbekommen. Neben Geld gehören auch Lebensmittel zu den Spenden. Das ist aber nicht immer abwechslungsreich. „Wenn ich abends vor dem Kino sitze, bieten mir viele ihre Popcorn-Reste an, aber ich muss dann dankend ablehnen, denn ich habe in letzter Zeit zuviel davon gegessen und schon langsam hängt es mir aus dem Hals raus“, sagt Peter L. Als Mesner würde er gern wieder arbeiten, aber dazu muss L. weiter abnehmen, um gesundheitlich wieder fit zu werden. „Eine gewisse Zeit nix tun ist mal ganz nett, aber dauerhaft ist das nicht schön.“ Also verschwindet der kleine, rüstige Mann mit dem freundlichen Gesicht wieder im Bahnhofstreiben – immer den nächsten Mülleimer im Blick.
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