Ein Lächeln und viele Tränen

Das Baby Konrad hat einen Gendefekt, es wird das Erwachsenenalter nie erreichen. Seine Eltern fühlen sich allein gelassen
von  John Schneider
Konrads Papa: Thomas Grunwald hat seinen Sohn oft auf dem Arm.
Konrads Papa: Thomas Grunwald hat seinen Sohn oft auf dem Arm. © privat

 

Das Baby Konrad hat einen Gendefekt, es wird das Erwachsenenalter nie erreichen. Seine Eltern fühlen sich allein gelassen

 

Es ist der glücklichste Moment im Leben von Thomas und Izabela Grunwald: 9. Juni 2011, 20.47 Uhr. „Unser Sohn war endlich da.“ Konrad. Der 41-jährige Papa erinnert sich an die große Erleichterung, als der Oberarzt ihm und seiner Frau (25) sagt, dass alles in Ordnung, der Bub gesund sei. Fünf Minuten haben sie mit dem Kind, dann nimmt die Schwester das Neugeborene mit. Thomas Grunwald macht noch drei Fotos, zeigt sie seiner Frau, dankt ihr und sagt, wie sehr er sie liebe. Das Glück dauert genau eine Nacht.

Am Morgen erreicht der Anruf des Krankenhauses Grunwald in der Höhenkirchener Wohnung des Paares. Er soll kommen. Im Krankenhaus wird der Lagerist davon unterrichtet, dass Konrad das Nasenbein fehlt, das Kind gründlich untersucht werden muss. „Ich ging mit Tränen in den Augen zu Iza. Sie wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber ich konnte es ihr zunächst nicht sagen.“

Seitdem häufen sich die Schreckensnachrichten der Ärzte. Bis klar ist, dass der Bub an einem seltenen Gendefekt, der Chondrodysplasia punctata leidet. Zwei, vielleicht drei Jahre hat Konrad nach Erfahrung der Mediziner im besten Fall noch zu leben. Genau vor einer solchen Situation hatte sich das Paar gefürchtet. Iza hatte bereits eine Fehlgeburt. Sie verlor das Kind im sechsten Monat, es hatte schon einen Namen: Kristian. Der große Kinderwunsch blieb. „Wir konnten nicht abwarten und starteten sofort einen neuen Versuch“, erzählt Thomas Grunwald. Iza wurde wieder schwanger.

Doch die Angst, auch das zweite Kind zu verlieren, war riesengroß. Zur Frauenärztin sagte Grunwald noch: „Wir haben schon ein Grab, ein zweites brauchen wir nicht.“ Das Paar wollte, dass alle möglichen Untersuchungen gemacht werden, um Krankheiten auszuschließen. „Nichts hat die Ärztin gemacht“, sagt Grunwald bitter. Nichts als einen Ultraschall und Bluttests bei der 25-Jährigen. „Dem Kind geht’s gut“, habe sie gesagt. Ein Irrtum.

Es ist eine komplizierte Schwangerschaft. In der 33. Woche muss Izabela Grunwald wegen ständiger Wehen ins Krankenhaus. Der Kleine drückt auf ihre Niere. Sie hat Schmerzen, braucht Infusionen. Die Ärzte fürchten um die Gesundheit des Kindes, wollen den Buben so lange es geht im Bauch der Mutter belassen. Deswegen wird eine Nierenumleitung gelegt. Erst fünf Wochen später wird die Geburt eingeleitet. Was Thomas Grunwald einfach nicht verstehen kann: „Keiner hat sich die Mühe gemacht, das Kind vorher genau zu untersuchen.“ Doch es ist unklar, ob die seltene Krankheit früher hätte entdeckt werden können. Noch kurz nach der Geburt werden zunächst keine gesundheitlichen Defekte festgestellt. Grunwald ist nicht nur verzweifelt. Er ist auch wütend – auf die Ärzte, auf das Krankenhaus. „Ich will die Akten sehen“, fordert er.

Doch bis heute habe er kein Schreiben aus dem Krankenhaus erhalten. „Bis heute warte ich auf ein Gespräch mit dem Professor.“ Seit seiner Geburt musste der kleine Konrad bereits vier Mal operiert werden. Unter anderem wurde ihm der Atlasbogen am ersten Halswirbel entfernt, um ihm die Atmung zu erleichtern. Der inzwischen sechs Monate alte Bub hat schwere Hirnschäden, schläft kaum und nimmt nicht zu. Seine Eltern fühlen sich im Stich gelassen. „Es ist ein 24-Stunden-Job mit Konrad.“ Alleine die Prozedur des Essens dauere etwa zwölf Stunden am Tag. Die Mutter ist immer für ihr Baby da. Sie schläft nur wenig. „Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht immer wach werde um 24 Uhr oder um 4 Uhr in der Früh, wenn er Essen bekommt“, sagt der Vater. Konrad wiege jetzt gut fünf Kilo. Dabei sollten es schon sieben sein. „Es ist ein Kampf.“

Die junge Mutter kämpft mit Depressionen, macht sich Vorwürfe. „Es ist meine Schuld, was passiert ist. Ich habe dir kein gesundes Kind schenken können“, sagt sie ihrem Mann immer wieder. Der ist ratlos: „Sie sollte zur Psychologin gehen, aber wann?“ Stattdessen klammert sich Izabela Grunwald an die Hoffnung, ihren Glauben. Sie hat ein Bild des Papstes an Konrads Bett gehängt, hofft auf ein Wunder: „Er wird wieder gesund.“ Tatsächlich gibt es schöne, friedliche Momente. Konrad liegt auf Grund der Muskelschwäche überwiegend in den Armen seiner Eltern. „Dann ist er ruhig, schaut aber nicht uns an, sondern die Wand oder die Decke. Manchmal hat man das Gefühl, dass er sehr wach ist und wie gesund. Dann lacht er. Das ist das Schönste, und es kommen uns fast immer die Tränen.“ Alleine kann Konrad nichts machen, nicht mal seinen Kopf hoch halten.

Die Situation ist prekär. „Ich gehe arbeiten für etwa 1100 Euro und lasse meine beiden Engel alleine“, sagt Thomas Grundwald. „Etwa 14 Stunden am Tag bin ich weg. Ich verpasse so viel, die Zeit kann mir auch niemand mehr zurück geben. Und es geht nur bergab. Es gibt keine Zukunft, nicht auf Dauer.“ Als die Nachricht kommt, dass sie von der Krankenkasse nur die niedrigste Pflegestufe für Konrad bekommen, ist Grunwald enttäuscht. Konrad brauche kaum mehr Pflege als gesunde Kinder in seinem Alter, argumentiert die Kasse. Aber: „Die sollten mal einen Tag mit uns verbringen. Konrad kennt keine Nacht und keinen Tag. Konrad kann uns nicht hören. Er sucht ständig persönlichen Kontakt. Alleine im Bett ist er nur, wenn er schläft und beim Essen.“

Probleme gibt es auch mit dem Vermieter. Seit Monaten ziehen sich die Streitigkeiten. „Wir sind ihm zu laut“, sagt Grunwald. Die Familie wird aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. Ausgerechnet jetzt, wo die Eltern wirklich andere Sorgen haben. „Wir suchen und sparen schon auf die Kaution für die neue Wohnung“, sagt der Vater. Mit den Spendengeldern der Abendzeitung könnte der Umzug finanziert werden. Und vielleicht ein Ausflug: „Sie werden nicht glauben, aber Iza war noch nie in den Alpen. Sie sieht sie draußen, aber sie war nie dort.“ Am deprimierendsten sind aber die Aussichten: „Der Tag kommt und der Kony, unser Kony, wird nicht mehr bei uns sein“, sagt sein Papa. „Ich schaue mir Kony an und will es nicht glauben. Warum muss ich jetzt schon wissen, dass wir wieder zur Beerdigung gehen werden von einem eigenem Kind?“

 

 

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