Ein Jahr nach Kriegsbeginn: Ukrainische Familie erinnert sich in der AZ zurück

Bei ihrer Flucht aus der Ukraine wird Vater Anton vom Rest der Familie getrennt. Inzwischen lebt er wieder bei seiner Frau und den Kindern Die Familie hatte Glück.
von  Eva von Steinburg
Vereint: Anastasiia (4), Anton (37), Juliya (36) und Andrej (13) vor ihrem selbst gemieteten Reihenhaus in Zell-Ebenhausen.
Vereint: Anastasiia (4), Anton (37), Juliya (36) und Andrej (13) vor ihrem selbst gemieteten Reihenhaus in Zell-Ebenhausen. © Anja Hölper

Anton (37) und Juliya (36) haben sich als Mathematikstudenten in Charkiw lieben gelernt. Sie haben in Patchwork zwei Kinder. Von Lwiw aus arbeiteten beide für ein Berliner-IT-Unternehmen.

Am 24. Februar 2022 rief um 5 Uhr morgens eine Freundin aus Charkiw an, Panik in der Stimme: "Die Fenster wackeln. Ich höre Explosionen." Juliya S. erinnert sich: "Ich konnte es nicht glauben, ich konnte den Krieg nicht akzeptieren. Die Welt sah doch für uns noch so gleich aus." Ihr Mann Anton und sie kochten erstmal Tee – wie immer. Sie beschlossen, die Kinder für diesen Tag von Kindergarten und Schule abzumelden. Im Firmen-Chat alarmierte sie, wie viele Abwesenheitsnotizen aufploppen – von Kollegen aus Charkiw. Anton sagte zu seiner Familie: "Packt eure Sachen, wir fahren an die Grenze."

Familie muss sich am polnischen Grenzübergang trennen

36 Stunden standen die Vier in ihrem Auto am Grenzübergang nach Polen. Sie schliefen im Wagen, hatten Hunger. Dann ließ ein Grenzer Anton aussteigen – Mutter und Kinder durften ausreisen. Über eine Booking-Plattform fanden die Drei in Polen eine Pension.

Über Facebook erreichte sie eine Helfer-Einladung für ein Zimmer zum Ausruhen. Doch der Krieg hört nach zwei Wochen nicht auf. Juliya denkt an Deutschland, ihr Arbeitgeber ist in Berlin. So kommt Anja Hölper aus der Nähe von München ins Spiel, die eine Unterkunft hat.

Ein Gartenhaus wird zum neuen Zuhause

In einer Flohmarkt-Whatsapp-Gruppe war Juliyas Herbergssuche aufgetaucht. "Es war mir ein Bedürfnis, diesem starken Ohnmachtsgefühl bei Kriegsbeginn zu entfliehen, indem ich sofort konkret helfe", erklärt die Fotografin: "Die ukrainischen Kinder haben vom Alter her zu meinen drei gepasst. Mein Herz hat entschieden, sie aufzunehmen – ohne das vorher überhaupt mit meiner Familie abzusprechen".

Ihr Gartenhaus ist nur ein Raum – stressig für eine Mutter mit zwei Kindern. Doch schnell entwickelt sich eine Frauenfreundschaft: "Juliya und ich, wir sind ein Match", sagt Helferin Anja. Juliya, sei "feinfühlig, westlich, international".

Das große Glück: Die ITlerin konnte von Zell-Ebenhausen weiter mit ihrem Job Geld verdienen. Ihren Sohn Andrej nahm die Biberkor-Montessori-Schule ohne Schulgeld auf.

Seit Weihnachten ist die Familie wieder vereint

Das Haus in Lwiw wurde Anlaufstelle für Bekannte und Ausgebombte. "Zwischenzeitlich haben 32 Menschen bei mir gewohnt. Das ging besser, als gedacht", sagt Anton S.

Nach zehn Monaten Trennung ist die Familie seit Weihnachten vereint. Anton ist ausgemustert aus der Armee. Das Ehepaar hat in der psychischen Ausnahmesituation, mit täglichen Schocknachrichten von daheim "gute und schlechte Gefühle abgeschaltet – nur funktioniert".

Anton sagt: "Die Gefühle kehren langsam zurück". Juliya meint: "Liebe und eine Umarmung helfen." Die schüchterne Anastasiia (4) hat ihr Haustier wieder, aus ihrem Kinderzimmer in Lwiw: eine Spinne namens "Charlotte". Und Andrej (13) gefällt in Bayern "alles".

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