Ein ehemaliger Schläger packt aus: „Blut gab den Kick“

Benjamin Wagner (26) war früher ein ganz übler Schläger, hat Leute krankenhausreif geschlagen und ausgeraubt – in der Abendzeitung packt der zweifache Vater jetzt aus. Heute setzt er sich für Gewaltprävention ein.
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MÜNCHEN - Benjamin Wagner (26) war früher ein ganz übler Schläger, hat Leute krankenhausreif geschlagen und ausgeraubt – in der Abendzeitung packt der zweifache Vater jetzt aus. Heute setzt er sich für Gewaltprävention ein.

Mit jedem Faustschlag steigt das Adrenalin. Bei jedem Tritt in den Magen, gegen den Kopf, fühlt sich Benjamin gut. „Das ist eine Gefühl von Freiheit und Macht“. Benjamin Wagner kann sich denken, wie sich die Schläger von Solln gefühlt haben müssen. Er war selbst ein Schläger, jahrelang.

Schon im Kindergarten geht es los. Die EItern sind getrennt, er lebt mit seinem Bruder beim Vater, einem Trinker. Gekümmert hat sich der Vater nie, nicht, als die Kindergärtnerin ihm sagt, dass Benjamin die anderen haut. Nicht, als der Sohn in der Grundschule fast täglich auf dem Pausenhof rauft. „Ich wollte im Vordergrund stehen. Und das tat ich auf diese Weise“, sagt Benjamin heute.

Er schafft es aufs Gymnasium, in der 5. Klasse schlägt er mit der flachen Hand zu, in der 6. Klasse teilt er seinen ersten Faustschlag aus. Mitte der 6. Klasse legt ihm die Schulleitung nahe, die Schule zu verlassen. „Meinem Vater war es irgendwie egal. Dann bin ich auf die Hauptschule – da waren noch viel mehr von meiner Sorte“.

Benjamin lernt schnell: Kopfstöße auf die Nase, dann Tritte. „Wir haben uns jeden Tag geprügelt, mehrmals. Es ging um Anerkennung. Ich habe mit der Schreckschusspistole Leute ausgeraubt und wenn sie mir das Geld gegeben hatten, habe ich noch draufgehauen. Dafür wurde ich in der Clique bewundert.“

In Benjamins Welt existieren damals andere Regeln: Cool ist, wer kaltblütig ist. Cool ist, wer sich nichts gefallen lässt. Einmal mischt sich ein Passant ein – da haben sie auch den zusammengeschlagen. Schuld waren immer die anderen. „Man sieht sich selbst als Opfer. Die Lehrer sind scheiße, die Bullen, die Eltern. Irgendeiner hat dich blöd angeschaut.“ Benjamin weiß noch genau, wie zum ersten Mal einem seiner Opfer das Blut aus den Ohren lief, aus dem Mund und aus der Nase. „Blut gab mir noch einen größeren Kick“, erzählt er.

Und Gedanken an die Opfer? „Das verdrängt man, sonst müsste man sich ja ändern. Wenn solche Gedanken kamen, habe ich noch mehr gekifft und mir in der Gruppe Bestätigung gesucht.“ Benjamin nennt das „Auswertung“, wenn sie zusammensaßen und ihre Taten danach in allen Details noch einmal durchgegangen sind.

Das niemand gestorben ist, hält Benjamin heute für reines Glück. „Einer war nach Tritten gegen den Schädel mehrere Wochen im Krankenhaus“. Der Kopf war das Ziel, so wie bei Dominik B. Für Benjamin sind solch harte Attacken Absicht. „Man weiß, was man tut, man hat das ja oft genug gemacht. Man zieht noch den Kumpel weg, damit man selbst öfter gegen den Kopf treten darf.“

Immer wieder wird der Minderjährige bei der Polizei vorstellig, immer wieder kommt das Jugendamt. „Ich habe das nie ernst genommen. Man hat mir fast alles durchgehen lassen. Ich habe auf die Tränendrüse gedrückt, gelobt, mich zu bessern – das war’s. “

Mit 15 wird Benjamin zu vier Jahren verurteilt, wegen schwerer Körperverletzung und Raub. „Bis dahin war ich schon 30 Mal bei der Polizei.“ Erst im Knast machte er ein Anti-Gewalt-Training. „Zum ersten Mal habe ich gelernt, dass ich verantwortlich bin für das, was ich tue, niemand sonst.“

In Haft macht er den Schulabschluss, danach beginnt er eine Ausbildung als Industriemechaniker und lernt seine spätere Frau kennen. Ein Aha-Erlebnis war es, als er mit einem Freund loszog und zum ersten Mal die ganze Nacht friedlich feierte. „Als ich heimkam, dachte ich mir: Du bist nicht ein einziges Mal vor der Polizei davongerannt und hast gar kein Blut an deinen Schuhen. Geiles Gefühl!“

Erfolgserlebnisse holt sich der 26-Jährige nun woanders. Er engagiert sich im Boxverein, arbeitet seit Jahren mit gewalttätigen Jugendlichen, macht Fortbildungsseminare für Sozialarbeiter und Lehrer. „Viele Jugendliche kommen zu spät zu uns. Man müsste früher eingreifen und viel konsequenter sein“, fordert er.

Das größte Glück für Benjamin aber sind seine eigenen Kinder, sieben und drei Jahre alt. „Kinder brauchen Grenzen, aber auch Anerkennung. Ich gehe zu jedem Fußballspiel von meinem Sohn und das macht mich sehr stolz. Mein Vater hat sich bei meinen Spielen nie blicken lassen.“ Tina Angerer

Weitere Infos unter: www.gewaltpraevention-gfk.de

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