Ein Dorf sucht einen Mörder

Krailling ist nach der Bluttat wie in Schockstarre. Und die Einwohner beginnen zu ahnen, dass der Mörder unter ihnen lebt.
von  nk, ab
Dorfbewohner stehen fassungslos vor dem Haus, in dem die beiden Schwestern ermordet wurden.
Dorfbewohner stehen fassungslos vor dem Haus, in dem die beiden Schwestern ermordet wurden. © dapd

Krailling - Wer tut so etwas? Wer schlägt und sticht so lange auf zwei Mädchen ein, bis sie sterben? Seit dem Doppelmord an Sharon (11) und Chiara (8) gibt es für die Kraillinger kein anderes Thema. „Ich vermute, dass es ein Bekannter war. Oder einer, der Freud’ daran hat, wenn er Leut’ umbringt. Man darf nicht daran denken”, sagt eine alte Dame, die seit Jahrzehnten hier wohnt – mitten im idyllischen Würmtal.


Krailling hat 8300 Einwohner, es gibt eine „Naturfriseurin”, einen „Schmankerl-Metzger”, Bio-Läden – und die Kneipe „Schabernack”. Dienstags ist hier Schnitzeltag, mittwochs wird bei einem Quiz der „Music History Award” verliehen. Diesen Freitag reiht sich auf dem Parkplatz vor der Tür Polizeibus an Polizeibus.


Keine 100 Meter weiter, vor dem Haus, in dem Sharon und Chiara gewohnt haben, liegen Blumen, brennen Kerzen, haben Freundinnen letzte Grüße hinterlassen. „Das habt ihr nicht verdient”, steht in Kinderschrift auf einem Blatt, „Warum?” auf einem anderen.
 

Tief betroffen legt Jürgen Thierack Tulpen und Palmkätzchen vor der orangenen Hauswand ab. „Das Einzige, was ich für sie tun kann”, sagt er. Fast entschuldigend. Der 55-Jährige ist Stammgast im „Schabernack”, kennt den Wirt und seine Lebensgefährtin Anette S., die Mutter der toten Mädchen. Sie hat regelmäßig in dem Lokal mitgearbeitet, auch in der Tatnacht. Es sei kein Geheimnis gewesen, dass die Schwestern manchmal allein zuhause waren, sagt Thierack. „Ich entsinne mich, dass die Mutter oft rüber ist, um nach ihnen zu sehen.” Auch hätten die Töchter in der Kneipe angerufen, wenn sie länger fernsehen wollten, als ausgemacht.
 

Ein anderer „Schabernack”-Besucher erzählt von einer spontanen Trauerfeier. Und dass Bekannte Anette S. morgens gesehen hätten, kurz nachdem sie ihre tödlich verletzten Kinder gefunden hatte. Sie habe um 10 Jahre gealtert gewirkt. „Sie ist die dritte Tote, nur dass sie noch gehen kann.” Jetzt haben alle eine finstere Ahnung: „Wir sind uns sicher, dass wir den Mörder kennen. Es muss jemand aus dem engeren Umfeld sein. Jemand, der wusste, dass Anette jeden Mittwoch zum ,Music History Award’ ging, dass die Haustür dann unversperrt war – und das macht uns Angst.”
 

Während er spricht, stochern mehrere Dutzend Polizisten mit Sonden in den Gärten herum, leuchten mit Taschenlampen in Gullis. Was sie suchen? „Alles, was von Bedeutung sein könnte”, sagt einer. Plötzlich werden die Beamten hektisch. An der Bushaltestelle schräg gegenüber haben sie ein blutgetränktes Taschentuch entdeckt. Die Margaretenstraße wird gesperrt, ein Kriminaltechniker im weißen Schutzanzug lässt das Tuch in einer Plastiktüte verschwinden. Eine Spur?
 

Dass es noch immer keinen Verdächtigen gibt, macht die Leute nervös. „Der ganze Ort ist in Schockstarre”, sagt Bürgermeisterin Christine Borst. Mütter lassen ihre Kinder nicht mehr allein draußen spielen. Verstörte Mädchen und Buben kriechen zum Schlafen ins Elternbett.
 

„Uns hat die Schule angerufen und gebeten, die Kinder zu bringen und abzuholen”, sagt Ülkü Yücel, als sie mit ihren Töchtern Melda (8) und Meryem (4) die Grundschule verlässt. Chiara war in Meldas Klasse. Oft marschierten sie zusammen nach Hause.
 

Jetzt ist Chiaras Platz im Klassenzimmer verwaist. „Sie fehlt mir”, sagt Melda, und dass sie einen roten Schmetterling für Chiara gebastelt hat. Er hängt in der „Gedenkecke”, den die Schule in der Aula eingerichtet hat. „So bald wir näheres wissen, werden wir auch eine Gedenkfeier veranstalten”, sagt Direktorin Hermine Freystätter. Im Gräfelfinger Kurt-Huber-Gymnasium, das Sharon besuchte, haben Mitschüler Bilder und Kerzen aufgestellt. Sharons Klasse wird von einem Kriseninterventionsteam betreut.
 

„Ich hoffe, dass sie den Mörder bald finden, vielleicht war es ja ein Bekannter", sagt Kristin Vetter, die gerade ihre Tochter Lisa (6) vom Kindergarten abholt. „Ein Verrückter, der wahllos Kinder umbringt – das wäre doch Wahnsinn.”

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