Ein Blick in Münchens Untergrund
München - Alle zwei Minuten spucken die Busse gut 100 Fahrgäste am Goetheplatz aus. In Ruhe steigen sie die Stufen zur U-Bahn hinab. In jeder Fahrtrichtung geht das so. Keine Hektik. Sie gehen zu jener U-Bahn, die an dieser Stelle seit Montag für neun Tage komplett unterbrochen ist. Denn im Untergrund ist noch bis nächsten Mittwoch eine Großbaustelle.
Rund 50 000 Fahrgäste nutzen am Tag diesen 800 Meter langen Abschnitt zwischen Goetheplatz und Sendlinger Tor, der gerade gesperrt ist. Pendelbusse chauffieren sie hin und her.
Es ist das erste Mal seit dem Bestehen der Münchner U-Bahn im Jahre 1971, dass die U-Bahn auf einer Linie komplett gestoppt wird. Das ist auch der tiefere Grund: Denn dort verkehren die U6 und die U3 in Münchens ältestem U-Bahntunnel. Am 19. Oktober 1971 fuhr Münchens erste U-Bahn ab: Auf der Linie U6 zwischen Kieferngarten und Goetheplatz (12 Kilometer). Zum 8. Mai 1972 wurde die Linie U<TH>3 Münchner Freiheit zum Olympiazentrum („Olympialinie“) anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 eröffnet. Zehn Tage zuvor hatte die S-Bahn ihren Betrieb aufgenommen.
So alt ist auch die Technik, die deswegen ausgetauscht wird. Die normalen Gleise auf der Strecke waren bislang das geringste Problem: Sie konnten ohne große Beeinträchtigungen nachts und an schwachen Wochenenden ausgetauscht werden.
Doch der U-Bahnhof Goetheplatz ist dafür zu kompliziert: Vier Weichen und eine Kreuzung müssen auf 65 Metern Länge und sieben Metern Breite erneuert werden. Da der Tunnel nur zwei Gleise hat und eng ist, geht das geht nur mit der Komplettsperrung zwischen Goetheplatz und Sendlinger Tor.
Mit einem schweren, gelben Vorhang ist der Tunnel zugehängt. Dahinter erhebt sich ein Tunnel-Dom. Fast zehn Meter hoch ist dort die Betonröhre. Aus der U-Bahn heraus sieht man das nicht. So hoch sind die U-Bahntunnel in München sonst nirgends. Das rührt noch aus den 30er Jahren, als von 1938 bis 1941 auf diesem Abschnitt zum ersten mal mit dem U-Bahn-Bau begonnen wurde. Aber es kam nur zum Tunnel. Der war so hoch, weil die U-Bahn damals mit Oberleitung fahren sollte.
Die Luft ist stickig, es stinkt nach den Abgasen der beiden Bagger und nach dem aufgewühlten Staub aus dem Schotterbett. Beinahe unerträglich. Für das Dutzend Arbeiter wird permanent Frischluft hereingepumpt. Aber die Baggermotoren sind kräftiger.
Rund um die Uhr wird im dunklen Tunnel gearbeitet. Auch Ostern. Dabei werden:
auf 65 Metern Länge 50 Schienen-Einzelteile verschweißt. Sie wiegen zusammen 50 Tonnen. 186 Schwellen werden verlegt.
250 Tonnen Schotter werden ausgetauscht –1000 Badewannen voll.
Es werden zwei Kilometer Kabel aus- und eingebaut.
Sechs Güterwägen und zwei Loks sind im Einsatz, um nachts das Material heranzuschaffen und wegzubringen.
Für die nächsten Jahre ist das die letzte Komplett-Sperrung. „Es gibt im Münchner U-Bahnnetz noch etwa zehn alte und enge Anlagen wie hier“, sagt Projektleiter Andre Burkhardt. Die nächste käme vielleicht in fünf Jahren dran.
Die Münchner nehmen das mit Fassung. Derweil pendeln oben die Busse zwischen Goetheplatz und Sendlinger Tor. Mittwoch Nacht packen die Arbeiter dann ein. Um vier Uhr morgens fährt dann die U-Bahn wieder, als sei nichts geschehen.