Ein Arbeitstag im Leben eines Münchner Fußball-Strafverfolgers

In München gibt es Stadion-Staatsanwälte. Die AZ hat einen von ihnen beim Spiel Bayern gegen Union Berlin in der Allianz Arena bei der Arbeit begleitet.
Ralph Hub |
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Mit dem ICE kommen Hunderte Union-Fans im Hauptbahnhof an.
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Die Gesa und eine der Gefangenenzellen im Untergrund der Arena.
hub 4 Die Gesa und eine der Gefangenenzellen im Untergrund der Arena.
Friedliches Zusammentreffen von Fans in der Münchner Innenstadt.
hub 4 Friedliches Zusammentreffen von Fans in der Münchner Innenstadt.
An ihren Monitoren haben die Polizei die Lage auf den Rängen im Blick.
hub 4 An ihren Monitoren haben die Polizei die Lage auf den Rängen im Blick.

München – Die Allianz Arena füllt sich immer schneller. Im Minutentakt spuckt die U6 am Bahnhof Fröttmaning die Menschen aus, die rüber ins Stadion pilgern. FC Bayern gegen Union Berlin – die Vereine treffen erstmals in der Bundesliga aufeinander. Mehr als 7.000 Berliner sind angereist. Die Polizei rechnet mit 150 Problemfans.

Fußballstaatsanwalt Franz Gierschik kennt Union Berlin noch aus der 2. Liga. "Bei denen ist immer gute Stimmung", sagt er. "Mal sehen, ob das heute auch so ist."

Mit dem ICE kommen Hunderte Union-Fans im Hauptbahnhof an.
Mit dem ICE kommen Hunderte Union-Fans im Hauptbahnhof an. © hub

Der Jurist steuert die "Gesa" an. Die Gefangenensammelstelle ist im Untergrund der Arena. Die Gesa lernen Fans nur kennen, wenn sie etwas ausgefressen haben, beispielsweise nach Prügeleien, oder wenn sie einem gegnerischen Fan Schal, Trikot oder Ähnliches abgenommen haben. Oft spielt Alkohol eine Rolle. Manche Fans kommen mit knapp zwei Promille im Stadion an.

Rund ein Dutzend Polizisten und zwei Staatsanwälte schieben in der Gesa Dienst: Fensterlose Vernehmungsräume, Stehpulte mit Computern, an denen die Anzeigen aufgenommen werden. Dazu vier Großraumzellen für Gefangene.

Die Gesa und eine der Gefangenenzellen im Untergrund der Arena.
Die Gesa und eine der Gefangenenzellen im Untergrund der Arena. © hub

Bei allen Hochrisiko-Spielen sind Staatsanwälte im Stadion

Franz Gierschik, selbst ein leidenschaftlicher Löwen-Fan, erinnert sich mit Grausen an das Relegationsspiel des TSV gegen Jahn Regensburg im Mai 2017. Damals stiegen die Löwen in die 3. Liga ab. Frustrierte Fans rissen kurz vor Abpfiff Sitzschalen und Stangen aus den Verankerungen und warfen sie aufs Spielfeld.

"Erst als ich selbst so eine Sitzschale in Händen hielt", so Franz Gierschik, "merkte ich, wie schwer sie sind und welche Kraft der Torhüter der Regensburger hatte, der einige zurück an den Spielfeldrand warf."

Zehn Polizisten wurden bei Auseinandersetzungen mit randalierenden Fans verletzt. "Die Abwicklung aller Verfahren hat ein Jahr gedauert", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Von 28 Gerichtsverfahren endete nur eines mit einer Geldbuße, alle anderen Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen.

"Es ist wichtig, dass man sich als Staatsanwalt selbst vor Ort ein Bild von der Lage machen kann", betont Franz Gierschik. Deshalb sind er und seine Kollegen bei allen Spielen, bei denen die Polizei von einem erhöhten Risiko ausgeht.

Bei Fans aus Ostdeutschland schaut die Polizei genau hin

Partien mit Vereinen aus Ostdeutschland schätzt die Polizei oft als "High-Risk-Spiele" ein und geht mit entsprechender Personalstärke in den Einsatz. Die Fans von Union zeigen sich aber von ihrer besten Seite. Familien mit Kindern sind angereist. Am Hauptbahnhof ist Party. In der Fußgängerzone sitzen Berliner und Bayern draußen vor Gaststätten in der Sonne.

Friedliches Zusammentreffen von Fans in der Münchner Innenstadt.
Friedliches Zusammentreffen von Fans in der Münchner Innenstadt. © hub

Berliner und Münchner plaudern in der U6 auf der Fahrt ins Stadion über Tegernseer Bier. "Gibt’s des auch bei euch", fragt ein Münchner. "Klar, du musst nur wissen wo", antwortet der Berliner. Alles entspannt.

"Fußball ist die schönste Sache der Welt", sagt Franz Gierschik, "wer sich daneben benimmt, kriegt von uns eine auf den Deckel." Selbst Fußballprofi werden wollte er nie. Aber er spielt gerne selbst. Immer montags mit anderen Staatsanwälten, ein paar Richtern und Strafverteidigern. Gierschik (59) steht im Tor: "Die anderen sind 30 Jahre jünger, denen lauf’ ich doch nicht mehr hinterher."

Fußball-Staatsanwälte machen nicht nur Fußball

Vor Anpfiff gibt es die erste Festnahme. Ein Fan macht Ärger wegen einer Dauerkarte. Er erhält Hausverbot und muss das Stadion verlassen. Ein Fan wird erwischt, als er über den Zaun klettert. Fünf werden angezeigt wegen Beleidigung. Ein Fan wird festgenommen, weil er einen Polizisten mit Bier bespritzt und einen Becher geworfen hat.

An ihren Monitoren haben die Polizei die Lage auf den Rängen im Blick.
An ihren Monitoren haben die Polizei die Lage auf den Rängen im Blick. © hub

Wer denkt, Fußballstaatsanwälte sitzen nur im Stadion, der irrt. Unter der Woche haben es Gierschik und seine Kollegen mit Kinderpornografie zu tun, mit Jugendkriminalität und Sexualstraftaten.

Oben in der Einsatzzentrale der Polizei sitzen die Beamten an ihren Monitoren. Rund 140 Kameras laufen. Die Aufnahmen sind in Sektoren aufgeteilt, die einzelnen Ausschnitte lassen sich nach belieben vergrößern. Die Beamten könnten bei den Fans unten auf den Rängen die Sommersprossen in deren Gesichtern zählen. "Die Technik erleichtert uns die Arbeit enorm", sagen die Beamten. Die Aufnahmen bleiben 21 Tage gespeichert. Wenn sie nicht für Ermittlungen gebraucht werden, werden sie gelöscht.

Die Bayern führen inzwischen mit zwei Toren. Der Blick des Staatsanwalts geht besorgt in Richtung Handy. Über Smartphone verfolgte er "sein Spiel" – der TSV tritt auswärts gegen Rostock an. Die Löwen liegen zurück, sehr zum Leidwesen des Staatsanwalts.

"Die Löwen-Fans sind in Giesing entspannter geworden"

Wohl fühlt sich Franz Gierschik im Grünwalder Stadion. Da ist alles etwas kleiner und auch übersichtlicher, rundum sind Kneipen, in denen die Fans feiern. Bayern und Löwen trennen Welten, nicht nur sportlich. Aber: "Seitdem die Löwen wieder zuhause im Grünwalder spielen, sind die Fans deutlich entspannter", meint Franz Gierschik.

In Rostock liegen die Löwen immer noch zurück. Auch die Bayern mühen sich mit ihrem Gegner. Das dritte Tor wird vom Schiedsrichter nicht gegeben. Das bringt die Hausherren aus dem Konzept. Die Berliner schießen den Anschlusstreffer. Das sind Momente, in denen die Stimmung im Stadion kippen könnte und Fans ihrem Frust Luft machen. Doch diesmal bleibt es ruhig auf den Rängen der Allianz Arena.

Die Löwen verlieren 1:2, Abstiegskampf droht. Bayern gewinnt mit 2:1. "Ich bin so viel Münchner, dass ich mich über einen Sieg der Bayern freuen kann", sagt Gierschik. Eine Spitze kann sich der Löwe nach dem äußerst knappen Bayern-Sieg dann aber doch nicht verkneifen: "Die Berliner kommen aus der zweiten Liga, die Bayern wollen dagegen Meister werden."

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