Ehrenamtliche leistet Drogen-Aufklärungsarbeit: "In München sind die Bedingungen besonders schlecht"

AZ-Interview mit: Ângela Novaes (28): Sie arbeitet seit fünf Jahren ehrenamtlich bei dem Projekt "Mindzone", die Drogen-Aufklärungsarbeit im Münchner Nachtleben durchführen.
AZ: Frau Novaes, ehrenamtliche Drogen-Aufklärungsarbeit im Münchner Nachtleben - wie kann man sich das vorstellen?
Ângela Novaes: Wir machen regelmäßig Infostände in Münchner Clubs, zum Beispiel im Harry Klein oder der Roten Sonne. Dort sprechen wir mit den Leuten über ihren Konsum und klären sie über die verschiedenen Substanzen, ihre Wirkung und die mit ihnen verbundenen Gefahren auf. Wir verteilen auch Flyer zu Partydrogen und geben den Leuten Obst und Traubenzucker mit, für den Kreislauf.

Ângela Novaes: "Jüngere scheinen unter anderem vermehrt Opiate zu konsumieren"
Was für Drogen nehmen die Leute in diesen Clubs?
In den Techno-Clubs wird viel Ecstasy und Koks konsumiert, aber auch Halluzinogene. Wir führen immer wieder mal anonymisierte Umfragen durch. Den Daten zufolge, die wir daraus gewonnen haben, scheint sich bei den Jüngeren der Konsum von Benzos und Opiaten zu verbreiten. Eigentlich verwunderlich, weil das Downer sind, die eine beruhigende Wirkung haben, und damit keine klassischen Partydrogen. Aber auch der Konsum von Kokain und Ketamin nimmt zu.
Unterscheidet sich die Drogen-Aufklärungsarbeit in München von der anderer Städte?
Wenn, dann in dem Sinne, dass in München die Bedingungen für Konsumenten besonders schlecht sind - und damit die Gefahren besonders groß.
Inwiefern?
Das harte Vorgehen der Münchner Polizei gegen Konsumenten ist ja bundesweit bekannt. Und es stellt auf vielen Ebenen ein Problem dar. Zum Beispiel erschwert die Kriminalisierung es den Leuten, sich Hilfe zu holen, wenn sie welche brauchen. In München traut sich auf Partys im privaten Umfeld, bei denen illegalisierte Drogen konsumiert werden, oft keiner, den Krankenwagen zu holen, wenn einer umkippt, weil alle Angst haben, dass dann gleich die Polizei mitkommt.
"Mit den Sanitätern kommt oft auch gleich die Polizei"
Ist diese Angst berechtigt?
Ja, weil die Polizei die Notruf-Leitungen mithört. Wenn da jemand anruft und sagt, meine Freundin hat MDMA konsumiert und ist umgekippt, dann holt er sich mit den Sanitätern auch gleich die Polizei in der Wohnung. Wir sagen den Leuten deshalb immer, dass sie im Zweifel am Telefon einfach nicht von Drogen sprechen sollen, sondern von "Atemstillstand" oder "Kollaps". Dann müssen sie keine Angst haben, dass plötzlich die Polizei im Wohnzimmer steht - und trauen sich eher, Hilfe zu holen.
Ist das woanders anders?
Auf jeden Fall ist es in anderen Bundesländern anders. In Bayern ist das Vorgehen gegen Konsumenten sehr strikt. Man verliert beispielsweise auch schnell seinen Führerschein, wenn man in den Tagen zuvor konsumiert hat. Das führt dazu, dass Leute, die vor dem MPU stehen, auf Substanzen ausweichen, die nicht von Drogentests erfasst werden wie beispielsweise Research Chemicals.
"Wir haben in München eine Rekordzahl an Drogentoten"
Was ist das?
Das sind Substanzen, an denen ein bisschen was verändert wurde. Also bei denen zum Beispiel irgendein Molekül ausgetauscht wurde, damit sie eine andere chemische Zusammensetzung haben als vorher - und damit nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Die Politik kommt da mit dem Verbieten nicht hinterher, es gibt andauernd neue Varianten. Das Problem ist jetzt, dass die natürlich nicht erforscht sind. Niemand weiß, was sie für Nebenwirkungen haben und was sie mit dem Körper machen. Die Konsumenten führen quasi Experimente an sich selbst durch. Überhaupt ist die geringe Forschung ein Problem. Wir haben in München eine Rekordzahl an Drogentoten - und können nicht einmal klar sagen, woran das liegt.
Was müsste sich ändern?
Es bräuchte bundesweite Drug-Checking-Angebote. Also Anlaufstellen, bei denen Menschen ihre Drogen darauf testen lassen können, ob sie zu hoch dosiert oder gestreckt sind. So könnten wir überprüfen, was die Leute da zu sich nehmen. Sind die Substanzen zu stark? Wird gerade viel mit Fentanyl gestreckt, einem billigen und sehr starken Opioid? Werden andere gefährliche Substanzen zum Strecken verwendet? Momentan wissen wir das nicht - oder erst, wenn es zu spät ist.