Ehemaliges Virginia-Depot: Eine Wiese zum Staunen

Fast 30 Jahre liegt das frühere Militärgelände Virginia-Depot nahezu unberührt im Münchner Norden. So konnten sich viele, auch seltene, Tiere und Pflanzen ansiedeln. Was kriecht, hüpft und fliegt denn da?
von  Irene Kleber
Hüfthohe Gräser, dazwischen 350 Pflanzenarten und viele - auch gefährdete - Insekten, Vögel und Eidechsen: Das Virginia-Depot ist zum Stadtbiotop geworden.
Hüfthohe Gräser, dazwischen 350 Pflanzenarten und viele - auch gefährdete - Insekten, Vögel und Eidechsen: Das Virginia-Depot ist zum Stadtbiotop geworden. © Daniel von Loeper

München - Es liegt fast verborgen hinter der Schleißheimer Straße, ein Stück nördlich des BMW-Areals in der Lerchenau: das Virginia-Depot, an die 20 Fußballfelder groß und bis Mitte der 1990er Jahre Militärgelände. Wer heute durch das abgesperrte Tor treten darf, kann nicht anders als staunen.

Schier endlos weit schaut man über ein Trockenheide-Biotop. Zwischen fast hüfthohen Gräsern blüht gelber Hornklee, leuchten lila Glockenblumen und blauer Natternkopf, wächst wilder Thymian und Johanniskraut. Dazwischen ragen Königskerzen auf, und zwischen Schottersteinen wachsen Flechten und Moose.

Ein bisschen so, sagt Heinz Sedlmeier, "wird es rund um München auch nach der letzten Eiszeit vor 8.000 Jahren ausgesehen haben." Sedlmeier ist Biologe und Chef der Kreisgruppe München des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) und gehört zu denen, die das Areal (das dem Bund gehört) pflegen – für die Artenvielfalt.

Der Biologe Heinz Sedlmeier kümmert sich mit seinem Landesbund für Vogelschutz und Landschaftsarchitekten um die Artenvielfalt auf dem Areal.
Der Biologe Heinz Sedlmeier kümmert sich mit seinem Landesbund für Vogelschutz und Landschaftsarchitekten um die Artenvielfalt auf dem Areal. © Daniel von Loeper

Weil die Natur so lange unberührt war, ist sie ein Dorado für Insekten, Schmetterlinge, Vögel, Ödlandschrecken und Zauneidechsen geworden, von denen einige zu gefährdeten Arten gehören. Auch von den rund 350 Pflanzenarten sind 70 auf der Roten Liste.

Bis zum Abriss 2011 sind auf dem Gelände noch sieben Hochbunker aus den 1930er Jahren gestanden, die die Bundeswehr zuletzt als Lagerhäuser genutzt hat. Für die Mäusebussarde, Turmfalken und Mauersegler, die dort genistet hatten, hat man zwei Ersatz-Bruttürme gebaut. Geblieben aber ist die alte Panzerverladerampe - denn auch ihr Betonpflaster ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere geworden.

Die ehemalige Panzerverladerampe ist erhalten. Hier wärmen sich heute Zauneidechsen in der Sonne, und viele Schmetterlinge flattern herum.
Die ehemalige Panzerverladerampe ist erhalten. Hier wärmen sich heute Zauneidechsen in der Sonne, und viele Schmetterlinge flattern herum. © Daniel von Loeper

Was also kriecht, hüpft und fliegt denn da? Das erklärt der LBV auf dieser Seite an ein paar Beispielen. Und eine Führung durchs normalerweise abgesperrte Biotop gibt es demnächst auch. Es lohnt sich.

Gewöhnlicher Fransenenzian: Von Weideschafen verschmäht

Leuchtend blau: der gemeine Fransenenzian.
Leuchtend blau: der gemeine Fransenenzian. © Monika Graf

Blau, blau, blau blüht der ... - genau, der gewöhnliche Fransenenzian (Gentianopsis ciliata). Er ist selten im Münchner Raum, aber es gibt ihn noch. In diesen Tagen blühen die ersten Exemplare auf den mageren Flächen im Virginia-Depot. Da finden sie noch die trockenen und kalkhaltigen Böden und offenen Stellen, die sie zum Keimen brauchen. Viele Tagfalter und Hummeln flattern um sie herum. Grasenden Schafen (die waren früher hier oft unterwegs) schmeckt der Fransenenzian nicht – weshalb er auf den Grasheiden immer stehen blieb.

Blauflügelige Ödlandschrecke: Wärmeliebender Hüpfer

Blauflügelige Ödlandschrecke.
Blauflügelige Ödlandschrecke. © Monika Graf

Man muss schon ganz genau ins Gras schauen, um sie zu entdecken: die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens), die 15 bis 28 Millimeter groß, gut getarnt und in Deutschland als gefährdet eingestuft ist. Sie mag Wärme und sitzt gern auf steinigem Trockenrasen herum. Erst wenn man ihr ganz nah kommt, springt sie davon. Die Naturschützer schätzen, dass es an die 100.000 im Virginia-Depot gibt.

Idas-Silberfleckbläuling: Gefährdeter Glitzerschmetterling

Hübsch anzuschauen: Idas-Silberfleckbläuling.
Hübsch anzuschauen: Idas-Silberfleckbläuling. © Ulrich Schwab

Dieser kleine Schmetterling ist stark gefährdet und hat im Virginia-Depot einen prächtigen Lebensraum gefunden: Idas-Silberfleckbläuling (Plebejus idas) ist an seinen metallisch-blau schimmernden Flecken an der Unterseite der Hinterflügel zu erkennen – an die 1.000 dieser hübschen Schmetterlinge könnte es jetzt hier wieder geben, schätzt der LBV. Ihre Raupen fressen Schmetterlingsblütler wie Hornklee oder Luzerne, die hier üppig wachsen. Und sie sind auf bestimmte Ameisenarten angewiesen: Die Idas-Raupen produzieren ein zuckerhaltiges Sekret für die Ameisen – und werden als Gegenleistung gegen Fressfeinde verteidigt.

Zauneidechse: Sonnenbaden auf dem Pflaster

Ein Zauneidechse-Weibchen.
Ein Zauneidechse-Weibchen. © Monika Graf

Ein paar Pflasterflächen gibt es noch im Virginia-Depot – wie an der alten Panzerverladerampe. Ideal für die Zauneidechse (Lacerta agilis), die immer seltener zu finden ist und deshalb als gefährdet gilt. Morgens braucht das 20 Zentimeter lange Reptil(chen) ein Sonnenbad, um den wechselwarmen Organismus auf Betriebstemperatur zu bringen. Bei Gefahr wirft es den Schwanz ab, damit der Feind vom zuckenden Anhängsel abgelenkt wird.

Grünspecht: In den Höhlen alter Bäume

Ein Grünspecht mit rotem Scheitel.
Ein Grünspecht mit rotem Scheitel. © Markus Beser

Manchmal sieht man ihn über die Wiesen hüpfen, auf der Suche nach Ameisen. Die angelt sich der Grünspecht (Picus viridis) mit seiner bis zu zehn Zentimeter langen Zunge. Grünspechte haben eine Flügelspannweite von bis zu 50 Zentimetern, man erkennt sie am überwiegend grünen Federkleid mit rotem Scheitel und dunklem Gesicht. In Deutschland wird der Grünspecht in der Vorwarnliste der Roten Liste als gefährdet geführt. Im Virginia-Depot wohnen Grünspechte in den Höhlen alter Bäume.

Kleines Mädesüss: Sein süßer Duft lockt Bienen an

Das Kleine Mädesüß duftet - das lieben Insekten.
Das Kleine Mädesüß duftet - das lieben Insekten. © Gabi Maier

Trocken- und Magerrasen wie im Virginia-Depot ist ideal als Standort für das Kleine Mädesüß (Filipendula vulgaris), das so heißt, weil es süßlich duftet, und das hierzulande nicht mehr oft zu finden ist. Zwischen Juni und August blüht es weiß, sein Duft lockt Bienen und Käfer an, die es auf den Pollen abgesehen haben. Schon den Kelten galt es als Heilpflanze. Die ätherischen Öle in der Blüte wirken schmerz-stillend und fiebersenkend.


Am 6. September (18 Uhr) führt der LBV durchs Virginia-Depot. Anmeldung: frauke.luecke@lbv.de oder 089/20027081.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.