Ehefrau mit Alzheimer: "Jede Zeit hat Höhen und Tiefen"
München - Sie haben dann doch irgendwann Wurzeln geschlagen, Hans-Jürgen Scheumann (Name geändert), seine Frau Eike und die vier Kinder – zwei Töchter, zwei Söhne. Nach Jahren, in denen der Familienvater im Diplomatischen Dienst in Bonn gearbeitet hat, bei der Nato in Brüssel und später in einem Wirtschaftsunternehmen – nun also seit 25 Jahren der Münchner Süden.
Ein Mercedes-SUV steht in der Einfahrt vor dem weißen Bungalow, der in einer ruhigen Wohnstraße liegt. Es öffnet ein Herr, der überraschend jung aussieht für seine 76 Jahre. Ein fester, warmer Händedruck. Ein Hemd, so hellblau, als habe er es zur Farbe seiner Augen ausgewählt.
Im Wohnzimmer, ein freundlicher, heller Raum mit weißer Sofagarnitur, sitzt Eike Scheumann (75), seine Frau, an einem Nussholztisch. Sie hebt den Blick still, als sei sie sehr weit fort in Gedanken. „Wir haben Besuch, Schatz“, sagt Hans-Jürgen Scheumann leise, und nimmt ihre Hand für einen Moment. Eike Scheumann leidet an Alzheimer, seit sieben Jahren schon. Dann führt er eine Treppe nach oben, in sein Büro.
AZ: Herr Scheumann, wie geht es Ihrer Frau heute?
Hans-Jürgen SCHEUMANN: Sie hat einen guten Tag, sie wird jetzt gleich etwas essen mit unserer Pflegerin.
Haben Sie sich heute schon ein bisschen unterhalten?
Das ist nicht mehr so einfach, meine Frau erkennt mich nicht mehr.
Was macht Sie da so sicher?
Sicher bin ich da nicht. Wenn ich meine Frau in den Arm nehme, kann ich spüren, dass sie sich wohlfühlt. Aber ich weiß natürlich nicht, ob ihr nicht einfach jeder Körperkontakt guttut.
Wie hat es angefangen, dieses Vergessen?
Das begann wohl vor zehn Jahren, da war Eike 65. Aber sie ist als junge Frau schon zerstreut gewesen. Wir wollten nicht wahrhaben, dass etwas nicht stimmt. Und sie war nach wie vor eine schöne Erscheinung.
Bis Sie dann doch mal beim Neurologen waren?
Da war die Krankheit sehr fortgeschritten. Seit zwei Jahren kann Eike nicht mehr sprechen und nicht mehr für sich selbst sorgen. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht stürzt, dass sie gut schläft und isst. Sie kann nicht mehr allein bleiben. Sie braucht 24 Stunden Betreuung.
Sie erzählen das, als wäre das alles ganz einfach für Sie.
Ich versuche, es mir nicht noch schwerer zu machen, als es ist. Sehen Sie, ich habe so viel Schönes mit meiner Frau erlebt, ich habe so viele Erinnerungen, dass ich jetzt auch verzichten kann.
Woran denken Sie, wenn Sie zurückdenken?
Dass sie uns vier Kinder geschenkt hat. Dass sie elf Mal für meine Karriere umgezogen ist. Dass wir zehn Jahre im Ausland gelebt haben. Sie hat immer gesagt: Jürgen, du sagst, wo es lang geht, und wir kommen mit. Sie hat es mir leicht gemacht: Meine Heimat war dort, wo wir alle waren, egal, wo wir hingezogen sind.
Nun sind die Kinder aus dem Haus ...
... und ich bleibe bei ihr. Es kommt nicht in Frage, meine Frau in ein Heim zu sperren.
Einer allein kann eine 24-Stunden-Betreuung nicht leisten.
Nein, das ist schwer. Ich habe das Glück, dass ich es mir leisten kann, eine Frau anzustellen, die mir beim Pflegen hilft.
Wie viel kostet das?
3.200 Euro im Monat, inklusive der Sozialabgaben.
Heißt das, Ihre Pension liegt deutlich über diesem Betrag?
Einschließlich meiner Betriebsrente, ja.
Damit gehören Sie zu den fünf Prozent der Münchner Senioren, die die Statistik der Stadt als "reich" einordnet.
Das kann sein.
Fühlen Sie sich finanziell privilegiert?
Ich habe nichts von dem, was mir heute gehört, geschenkt bekommen. Ich habe das alles erarbeitet – das kann jeder tun, wenn er das will. Privilegiert fühle ich mich aber, weil ich in einer so schönen Gegend wohnen kann, die Berge so nah, in einer Stadt, die so viel bietet.
Wie nutzen Sie das, was München Ihnen bietet?
Es macht nicht mehr so viel Spaß, weil ich meine Frau nicht mehr mitnehmen kann. Aber ich gehe noch gelegentlich mit Freunden in die Oper, ich höre Konzerte im Gasteig. Ich schaue mir demnächst das sanierte Gärtnerplatztheater an.
Verfolgen Sie, was sich politisch tut in München?
Natürlich. Zuletzt habe ich mich Freude, dass der Tunnel durch den Englischen Garten kommen wird. Ich halte das für eine tolle Idee, den Park an der Stelle wieder zu schließen.
Würden Sie Stadtpolitiker auf der Straße erkennen?
Ich denke schon. Oberbürgermeister Reiter von der SPD, Bürgermeister Josef Schmid von der CSU, auch etliche Grüne kenne ich.
Welche Partei ist denn die Ihre?
Ich bin wertkonservativ. Ich war mit Bundeskanzlerin Angela Merkel anfangs zufrieden. Aber wenn Menschen zu lange an der Macht sind, verschleißen sie.
Wie denken Sie über das Abschneiden der AfD in München bei der Bundestagswahl?
Eine Katastrophe – allein die Figuren, die diese Partei vertreten. Ich verstehe nicht, wie Menschen deren Parolen wählen können.
Wenn Sie noch mal zurückschauen auf Ihre jüngeren Jahre. Würden Sie eine dieser Etappen gerne noch einmal erleben?
Jede Zeit hat ihre Höhen und Tiefen, nicht wahr? Nein, 30 möchte ich nicht mehr sein. Das ist ja auch eine anstrengende und eine schwierige Zeit, mit kleinen Kindern und großen Zukunftsängsten. Aber ich würde jetzt gern stehenbleiben, eine Weile noch.
Haben Sie heute vor etwas Angst, das in der Zukunft liegt?
Schauen Sie, es gibt noch ein Schicksalsereignis in meinem Leben. Eine meiner Töchter ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Was mein Kind konnte, kann ich auch. Sie konnte mit 35 Jahren sterben. Ich muss mir also vor nichts Angst machen. Nicht vor Armut oder Zuwanderung oder Krieg. Das Schicksal ist einfach endlich.