Eggarten-Siedlung in München: Die Letzten im Paradies

München - Aber ja doch, sie pflanzen noch mal. Tomaten ins Gewächshaus und Salat und Bohnen. Draußen ins Beet kommen bienenfreundliche Blumen. Die Tulpen, Hyazinthen und Märzenbecher in den Rabatten sind in den letzten warmen Februartagen schon aus der Erde gekommen. Und wenn erst die Rosen wieder blühen!
2.000 Wohnungen sollen hier gebaut werden
"Wennst des Jahrzehnte gewohnt bist, zu pflanzen", sagt Gerda Radspieler (78), "dann hörst doch nicht einfach auf." Nichtmal dann, wenn der Kampf eigentlich ausgekämpft ist. Wie jetzt, wo doch klar ist, dass bald alles hier im Eggarten zusammengefahren wird. Dass Bagger kommen, dass die meisten der 1.000 uralten Bäume fallen, die Gärten zerstört und die alten Häusl weggeräumt werden, für 2.000 Neubauwohnungen in der Lerchenau. Und sei es auch ein "Vorzeigeprojekt" mit viel genossenschaftlichem Wohnungsbau.

Selbst die Grünen stimmten für das Bäumefällen
Dass sogar die Grünen neulich im Stadtrat zugestimmt haben, gegen den Willen der Bürger und Naturschützer hier oben im Münchner Norden - da können die Radspielers nur noch schulterzucken, verständnislos, und möglichst nicht dran denken. Sie sind (fast) die Letzten, die in der Gartenkolonie aus 1920er Jahren (einst 84 Parzellen, 62 Häuser) noch stoisch als Schrebergartenpächter ausharren, bis es vorbei ist.
Das Gelände gehörte einst der Bahn
Gerda Radspieler ist nach dem Krieg, als der Vater zurückkam, hier aufgewachsen, da gehörte das Gelände der Bahn, ihre Großmutter bewohnte nebenan in der Marderstraße 19 das kleine gelbe Häusl und betrieb eine Gärtnerei und einen Flaschenbier- und Limoverkauf. Die Eltern haben gegenüber eine Werkstätte für Holzbearbeitungsmaschinen aufgebaut. "Die Halbe Bier hat's bei der Oma Mitte der 1960er für 48 Pfennig gegeben", erinnert sie sich, und damals war ums Eck auch eine Kohlen- und Alteisenhandlung. Mit ihrem Mann Xaver, der Lehrling beim Vater war, ist sie zwar später in eine Wohnung in der Lerchenau gezogen, und die Werkstatt der Eltern ist in den 70ern abgebrochen worden. Der Garten aber blieb ihnen, als gepachteter Schrebergarten.

Nur zum Schlafen sind sie heimgefahren
"Unser ganzes Leben", sagt sie, "hat hier stattgefunden, nach der Arbeit und am Wochenende, wir sind nur zum Schlafen heim." Sie haben im Frühling Unkraut gerupft und die blühenden Flieder bestaunt, im Sommer Tomaten, Erbsen, Zucchini und Suppengrün eingefroren, Himbeergelee gekocht und im Herbst Äpfelmarmelade für den Strudel. "Ein Paradies, ganz still", sagt die Gartlerin, "und meiner Lebtag hab ich noch kein Gemüse im Supermarkt gekauft."

Als das Areal gekauft wurde, flüchteten die Nachbarn
Jedes Sechzgerspiel ist im Garten beim Grillen bejubelt oder betrauert worden, zu den großen Fußballereignissen haben sie einen Fernseher vor der Laube aufgestellt, die Nachbarn kamen rüber, gehweida, rutschma zam bis Sonnenuntergang. Und ohne Schafkopfen ging sowieso nix. Schee war's. Vor gut zehn Jahren hat sich dann herumgesprochen, dass Immobilienentwickler das Areal gekauft haben, das so groß ist wie die halbe Theresienwiese. Die Nachbar-Gartler haben geschaut, dass sie wegkommen und woanders was finden. Die Grundstücke sind verwildert, für Vögel, Kröten, Bienen, Igel, Schmetterlinge ein Paradies.

2024 könnte es mit dem Bauen losgehen
Von da an ist bei Radspielers die Sorge nicht mehr gewichen, dass das letzte Gartenfest, die letzte Rosenblüte, für immer die letzten sein würden. "Aber solche Gedanken hältst ja nicht aus", sagt Gerda Radspieler, "wir regen uns jetzt einfach nimmer auf." Jedes Jahr werden sie wieder vom Immobilienentwickler gefragt, ob sie die Pacht noch ein Jahr verlängern wollen. Bald also läuft ihr Vertrag aus, wieder mal. "Vielleicht klappt es ja noch einmal und noch einmal", sagt Gerda Radspieler, "so lange, bis wir's gesundheitlich eh nimmer schaffen?" 2024, heißt es nun, könnte es losgehen mit dem Bauen, drei Jahre also noch, mindestens, in denen die Häusl und Gärten drumherum weiter zusammenfallen. Diese Woche soll ja wieder Schönwetter werden. Dann sind die Radspielers wohl wieder draußen.