Eggarten-Siedlung in München: Die Letzten im Paradies

Die Häuser sind längst verlassen in der alten Eggarten-Siedlung und die Gärten verwahrlost - weil irgendwann die Bagger kommen sollen. Zu Besuch bei den letzten Schrebergartlern.
von  Irene Kleber
Sonne, Blumenduft und Vogelgezwitscher: Jahrzehnte schon genießen und garteln Gerda (78) und Xaver (82) Radspieler schon in ihrem Schrebergarten im Eggarten. Und sie bleiben, solange es eben noch geht.
Sonne, Blumenduft und Vogelgezwitscher: Jahrzehnte schon genießen und garteln Gerda (78) und Xaver (82) Radspieler schon in ihrem Schrebergarten im Eggarten. Und sie bleiben, solange es eben noch geht. © iko

München - Aber ja doch, sie pflanzen noch mal. Tomaten ins Gewächshaus und Salat und Bohnen. Draußen ins Beet kommen bienenfreundliche Blumen. Die Tulpen, Hyazinthen und Märzenbecher in den Rabatten sind in den letzten warmen Februartagen schon aus der Erde gekommen. Und wenn erst die Rosen wieder blühen!

2.000 Wohnungen sollen hier gebaut werden

"Wennst des Jahrzehnte gewohnt bist, zu pflanzen", sagt Gerda Radspieler (78), "dann hörst doch nicht einfach auf." Nichtmal dann, wenn der Kampf eigentlich ausgekämpft ist. Wie jetzt, wo doch klar ist, dass bald alles hier im Eggarten zusammengefahren wird. Dass Bagger kommen, dass die meisten der 1.000 uralten Bäume fallen, die Gärten zerstört und die alten Häusl weggeräumt werden, für 2.000 Neubauwohnungen in der Lerchenau. Und sei es auch ein "Vorzeigeprojekt" mit viel genossenschaftlichem Wohnungsbau.

Schräg gegenüber haben Gerda Radspielers Großeltern 1925 dieses gelbe Haus gebaut. Es steht seit 2013 leer- wie inzwischen all die anderen Häusl, die damals in einer Siedlergenossenschaft entstanden sind.
Schräg gegenüber haben Gerda Radspielers Großeltern 1925 dieses gelbe Haus gebaut. Es steht seit 2013 leer- wie inzwischen all die anderen Häusl, die damals in einer Siedlergenossenschaft entstanden sind. © Sigi Müller

Selbst die Grünen stimmten für das Bäumefällen

Dass sogar die Grünen neulich im Stadtrat zugestimmt haben, gegen den Willen der Bürger und Naturschützer hier oben im Münchner Norden - da können die Radspielers nur noch schulterzucken, verständnislos, und möglichst nicht dran denken. Sie sind (fast) die Letzten, die in der Gartenkolonie aus 1920er Jahren (einst 84 Parzellen, 62 Häuser) noch stoisch als Schrebergartenpächter ausharren, bis es vorbei ist.

Das Gelände gehörte einst der Bahn

Gerda Radspieler ist nach dem Krieg, als der Vater zurückkam, hier aufgewachsen, da gehörte das Gelände der Bahn, ihre Großmutter bewohnte nebenan in der Marderstraße 19 das kleine gelbe Häusl und betrieb eine Gärtnerei und einen Flaschenbier- und Limoverkauf. Die Eltern haben gegenüber eine Werkstätte für Holzbearbeitungsmaschinen aufgebaut.  "Die Halbe Bier hat's bei der Oma Mitte der 1960er für 48 Pfennig gegeben", erinnert sie sich, und damals war ums Eck auch eine Kohlen- und Alteisenhandlung. Mit ihrem Mann Xaver, der Lehrling beim Vater war, ist sie zwar später in eine Wohnung in der Lerchenau gezogen, und die Werkstatt der Eltern ist in den 70ern abgebrochen worden. Der Garten aber blieb ihnen, als gepachteter Schrebergarten.

2019 filmt hier der Bayerische Rundfunk den Kampf ums Paradies in der Lerchenau.
2019 filmt hier der Bayerische Rundfunk den Kampf ums Paradies in der Lerchenau. © H. G. Schön

Nur zum Schlafen sind sie heimgefahren

"Unser ganzes Leben", sagt sie, "hat hier stattgefunden, nach der Arbeit und am Wochenende, wir sind nur zum Schlafen heim." Sie haben im Frühling Unkraut gerupft und die blühenden Flieder bestaunt, im Sommer Tomaten, Erbsen, Zucchini und Suppengrün eingefroren, Himbeergelee gekocht und im Herbst Äpfelmarmelade für den Strudel. "Ein Paradies, ganz still", sagt die Gartlerin, "und meiner Lebtag hab ich noch kein Gemüse im Supermarkt gekauft."

Sonne, Blumenduft und Vogelgezwitscher: Jahrzehnte schon genießen und garteln Gerda (78) und Xaver (82) Radspieler schon in ihrem Schrebergarten im Eggarten. Und sie bleiben, solange es eben noch geht.
Sonne, Blumenduft und Vogelgezwitscher: Jahrzehnte schon genießen und garteln Gerda (78) und Xaver (82) Radspieler schon in ihrem Schrebergarten im Eggarten. Und sie bleiben, solange es eben noch geht. © iko

Als das Areal gekauft wurde, flüchteten die Nachbarn

Jedes Sechzgerspiel ist im Garten beim Grillen bejubelt oder betrauert worden, zu den großen Fußballereignissen haben sie einen Fernseher vor der Laube aufgestellt, die Nachbarn kamen rüber, gehweida, rutschma zam bis Sonnenuntergang. Und ohne Schafkopfen ging sowieso nix. Schee war's. Vor gut zehn Jahren hat sich dann herumgesprochen, dass Immobilienentwickler das Areal gekauft haben, das so groß ist wie die halbe Theresienwiese. Die Nachbar-Gartler haben geschaut, dass sie wegkommen und woanders was finden. Die Grundstücke sind verwildert, für Vögel, Kröten, Bienen, Igel, Schmetterlinge ein Paradies.

Gartelt werd, egal was kommt - im Beet werden heuer bienenfreundliche Blumen wachsen.
Gartelt werd, egal was kommt - im Beet werden heuer bienenfreundliche Blumen wachsen. © Sigi Müller

2024 könnte es mit dem Bauen losgehen

Von da an ist bei Radspielers die Sorge nicht mehr gewichen, dass das letzte Gartenfest, die letzte Rosenblüte, für immer die letzten sein würden. "Aber solche Gedanken hältst ja nicht aus", sagt Gerda Radspieler, "wir regen uns jetzt einfach nimmer auf." Jedes Jahr werden sie wieder vom Immobilienentwickler gefragt, ob sie die Pacht noch ein Jahr verlängern wollen. Bald also läuft ihr Vertrag aus, wieder mal. "Vielleicht klappt es ja noch einmal und noch einmal", sagt Gerda Radspieler, "so lange, bis wir's gesundheitlich eh nimmer schaffen?" 2024, heißt es nun, könnte es losgehen mit dem Bauen, drei Jahre also noch, mindestens, in denen die Häusl und Gärten drumherum weiter zusammenfallen. Diese Woche soll ja wieder Schönwetter werden. Dann sind die Radspielers wohl wieder draußen.

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