Edler altern in Neuperlach
Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, auch in München. Besonders deutlich wird das gerade dort, wo man es nicht erwarten mag: in Neuperlach, im Stadtbezirk Ramersdorf-Perlach. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Denn mitten zwischen den Hochhäusern am Ostpark steht die Senioren-Residenz Georg-Brauchle-Haus des „Kuratoriums Wohnen im Alter“ (KWA).
Hinter der elektrischen Schiebetür am Haupteingang rahmen Zimmerpalmen eine dunkelblaue Sitzgarnitur ein. Auf den Fluren herrscht reges Treiben. Elegant gekleidete Damen und Herren, einige mit Gehstock oder Rollator, plaudern und lachen miteinander, Paare halten sich an den Händen. Einige scharen sich um den digitalen Bilderrahmen auf dem Empfangstresen. Angetan betrachten sie Fotos von ihrem Ausflug am Vortag, lachen laut, wenn die Anzeige zum nächsten Bild blättert.
Eine der Bewohnerinnen des Georg-Brauchle-Hauses ist Anne Bayerlein. Die kleine, zierliche Frau ist modern und stilvoll gekleidet, trägt silberne Armreifen und eine violette Perlenkette. Dass Anne Bayerlein 79Jahre alt ist, glaubt man kaum. Im Haus wurde sie anfangs für die Tochter einer Bewohnerin gehalten, erzählt sie. Anne Bayerlein ist eine fröhliche Frau, das verraten die zarten Lachfältchen auf ihren Wangen.
Seit drei Jahren lebt sie im Georg-Brauchle-Haus, ein Traum, für den sie ihr Leben lang hart gearbeitet hat. „Mein Mann hat immer gesagt, dass doch eine Halbtagsstelle reichen würde, schließlich hatten wir keine Kinder.“ Dennoch habe sie auf ihre Vollzeitstelle in der Verwaltung bestanden, „damit wir im Alter auch noch leben können“.
Die Atmosphäre der Senioren-Residenz erinnert an ein Hotel. Mit seinem weiten Aufgang und den gestutzten Büschen, die den blass-orangen Neubau mit den bodentiefen Fenstern säumen, unterscheidet sich der Wohnstift deutlich von den vielen grauen Hochhäusern, die das Bild des 16.Bezirks prägen.
14 Prozent der Senioren beziehen in diesem Bezirk laut Sozialreferat Grundsicherung, um über die Runden zu kommen. Jedes Jahr werden es mehr.
Die Mieten im Georg-Brauchle-Haus dagegen können mit dem Münchner Mietpreis-Wahnsinn (AZ berichtet regelmäßig) locker mithalten: Das Ein-Zimmer-Appartement im angrenzenden Bau aus den 1960er Jahren kostet monatlich um die 1600 Euro und ist damit die günstigste Alternative in der gehobenen Residenz.
Die kleinste Wohnung im Neubau kostet bereits 2240 Euro. Etwaige Ausgaben für Pflege sind dabei noch nicht mit eingerechnet. Wer die Dachterrassenwohnung mit drei Zimmern beziehen möchte, muss pro Monat knapp 5000 Euro aufbringen.
Die wöchentliche Reinigung, Heizung und Warmwasser sind im Georg-Brauchle-Haus inklusive, Frühstück und Abendessen werden extra berechnet.
Durch den Sozialauftrag der Stiftung sind sie zwar so weit subventioniert. Doch Altersruhesitze wie das Georg-Brauchle-Haus sind selbst im wohlhabenden München nicht für jeden erschwinglich, schon gar nicht im sozial schwachen Südosten.
Mit knapp 2000 Euro liegt die Residenz zwar noch im Schnitt anderer Seniorenheime in Neuperlach. Während die Preisspanne im Georg-Brauchle-Haus hier jedoch erst beginnt, ist das finanziell zu stemmende Limit damit in anderen Einrichtungen bereits erreicht.
Von ihrem Sonnenbalkon aus blickt Anne Bayerlein auf den Brunnenhof, in dem sie im Sommer mit Freundinnen Latte Macchiato trinkt. Erst vor wenigen Wochen wurden die großen Blumenkübel von dort zum Überwintern in den Sauna-Bereich gebracht. ...weiter auf Seite 2
Von ihrem Sonnenbalkon aus blickt Anne Bayerlein auf den Brunnenhof, in dem sie im Sommer mit Freundinnen Latte Macchiato trinkt. Erst vor wenigen Wochen wurden die großen Blumenkübel von dort zum Überwintern in den Sauna-Bereich gebracht.
Doch nicht nur die Kaffee-Nachmittage locken die 79-Jährige aus ihrem Appartement. „Hier gibt es ja so viel zu tun.“ Zeit zum Altwerden? „Doch, die muss man sich auch nehmen. Aber Spaß soll es bitteschön machen!“
Neben hauseigenem Fitnessraum, Bibliothek und Kegelbahn bietet das Georg-Brauchle-Haus dafür wöchentliche Aktivitäten für jeden Geschmack an.
Ein besonders gut besuchter Termin ist das Gedächtnistraining. Trafen sich die Teilnehmer im letzten Jahr noch im kleinen Wohnzimmer hinter der Kapelle, sind sie nun bereits in die große Aula umgezogen, wo sonst die monatlichen Jazzabende, die Lesungen und Trauerfeiern stattfinden. Der Andrang ist groß.
„Bei uns ist niemand allein. Das gehört zum Konzept“
„Das Gedächtnistraining bringt einen richtig auf Zack!“ Energisch schießt Anne Bayerleins Faust durch die Luft, die silbernen Armreifen klimpern. Mit leuchtenden Augen schwärmt sie von einem Buchstabenrätsel, in dem es die Zutaten für eine Kürbissuppe zu entdeckt galt. „Danach hatten alle so Lust auf Kürbissuppe, dass ich das Rezept gleich zum Küchenchef gebracht habe.“ Auf dem Menü-Plan der kommenden Woche ist dieses Anliegen bereits berücksichtigt worden.
Auch Stiftsdirektorin Gisela Rellecke ist regelmäßig im Haus unterwegs, um sich davon zu überzeugen, dass es den Senioren an nichts fehlt. Sie kenne alle 280 Bewohner beim Namen, sagt die adrett gekleidete Brünette nicht ohne Stolz und rückt das gemusterte Seidentuch auf ihren Schultern zurecht. „Das gehört zum Konzept, hier ist niemand allein.“
Wer ins Georg-Brauchle-Haus zieht, genießt, so lange es geht, die „eigene Häuslichkeit“: eigenes Bad, eigene Küche, ein Wohnungsschlüssel und ein privater Briefkasten.
Wer Ruhe wünscht, kann hier so autark leben, wie es ihm beliebt. Wer sich Gesellschaft wünscht, kann in den Aufenthaltsräumen und bei Veranstaltungen Gleichgesinnte treffen.
Ist im Alter Pflege nötig, so kommen hauseigene Pflegekräfte in die Wohnung, erklärt Direktorin Rellecke. „Wir begleiten unsere Bewohner bis zum Schluss.“
Dieser Aspekt war nach dem Tod ihres Mannes auch für Frau Bayerlein entscheidend. „Schließlich will ich, dass die eine schöne Leiche finden. Ich habe doch niemanden mehr, da könnte ich ja wochenlang in der Wohnung liegen, bis mich wer vermisst.“
Dass sie mit dieser Ansicht nicht alleine steht, zeigen auch die Bewerberzahlen: Bis zu zehn Interessenten melden sich pro Woche, das Haus ist immer voll belegt.
Als zur Mittagszeit ein angenehmer Duft durch die Empfangshalle zieht, ist der Andrang im lichtdurchfluteten Café groß. Auch Anne Bayerlein sitzt wenig später mit ihren Freundinnen beim Essen. Allein sein muss sie im Georg-Brauchle-Haus nie.
Draußen in Neuperlach zieht ein eiskalter Wind durch die Häuserschluchten, es beginnt zu nieseln. An der nahe gelegenen Bushaltestelle hat eine Seniorin ihre rot-weiß karierte Einkaufstasche auf den feuchten Gehweg gestellt. Beidhändig sucht sie im Mülleimer nach Pfandflaschen.
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