(E-)Bike-Boom: München steigt aufs Luxus-Radl

Seit Corona meiden die Münchner den öffentlichen Nahverkehr und kaufen Radl – gern mal für 800 Euro. Die beliebten E-Bikes bergen auch Gefahren.
Marie Heßlinger |
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Radfahren ist in Corona-Zeiten keine Generationsfrage.
Daniel von Loeper 2 Radfahren ist in Corona-Zeiten keine Generationsfrage.
Auf der Tierparkbrücke sind nun noch mehr Radler unterwegs.
Daniel von Loeper 2 Auf der Tierparkbrücke sind nun noch mehr Radler unterwegs.

München – Gunnar Reifenrath nickt und macht große Augen. "Es boomt!" Vor dem Fahrradladen R18 in Milbertshofen stehen Verkehrshütchen, damit die Wartenden in der Schlange den Abstand einhalten. "Freitag vergangene Woche war es der Wahnsinn", sagt der Zweiradmechanikermeister mit Blick auf die Wartelinie.

Die Werkstatt der Evangelischen Jugend ist ein Ausbildungsbetrieb für junge Menschen mit besonderem Förderbedarf. Deswegen hatte sie während der Corona-Hochphase geschlossen.

Den Münzautomaten für Schläuche zum Mitnehmen musste sie während dieser Zeit jedoch täglich auffüllen. Seit drei Wochen hat sie wieder geöffnet – und "wir haben schon einiges an Umsatz aufgeholt", sagt Reifenrath.

Wer sein Fahrrad generalüberholen möchte, bekommt erst in sechs Wochen einen Termin. "Keiner will mehr öffentlich fahren", erklärt sich Reifenrath das. "Die Leute ziehen ihre alten Gurken aus dem Keller und wollen sie richten lassen."

Radfahren ist in Corona-Zeiten keine Generationsfrage.
Radfahren ist in Corona-Zeiten keine Generationsfrage. © Daniel von Loeper

Menschen geben immer mehr Geld für Radl aus

Viele Kunden kauften sich auch neue Räder – und zwar nicht die billigen aus dem Baumarkt. Sondern, im R18, robuste City Trekking-Räder für 800 Euro aufwärts.

"Der Durchschnittspreis, der in Deutschland pro Fahrrad bezahlt wurde, geht seit Jahren nach oben", sagt Reifenrath. "Die Leute wollen etwas Hochwertiges haben, weil sie sich darauf einstellen, es auf lange Sicht zu haben."

Die Menschen würden gesundheits- und umweltbewusster. Corona habe das Fahrradfahren zusätzlich befeuert. "Und wenn man sich mal daran gewöhnt hat, dann mag man es auch", sagt Reifenrath.

Fahrradfahren: "Beschäftigung Nummer eins"

Ellen Kuhm von Radlbauer macht ähnliche Erfahrungen: "Wir haben schon den Eindruck, dass Fahrradfahren momentan die Beschäftigung Nummer eins ist." Da die Straßen leer seien, mache Radeln mehr Spaß. Neben den Berufspendlern würden auch ganze Familien aufrüsten. E-Bikes seien bei Älteren und Jungen im Trend. Selbst für Kinder gibt es E-Bikes, damit sie bei langen Familienausflügen mithalten können.

Eine Mitarbeiterin des Fahrradgeschäfts Zimmermann in Unterschleißheim stellt zudem fest, dass viele Seniorengruppen auf E-Bikes umrüsten. Fängt einer aus gesundheitlichen Gründen damit an, müssen auch die anderen auf E-Antrieb wechseln, um mitzuhalten.

Sie vermutet, dass viele zu Coronazeiten nicht nur den öffentlichen Nahverkehr meiden wollen, wenn sie aufs Rad umsteigen. "Ich glaube, dass die Leute einen gewissen Freiheitsdrang ausüben möchten."

Der Mitarbeiterin fällt zudem auf, dass einige Kunden in teure Räder investierten, von denen sie nicht erwartet hätte, dass sie sich diese leisten können. Sie lobt, dass immer mehr Firmen ihre Mitarbeiter beim Fahrradkauf finanziell unterstützten.

Auf der Tierparkbrücke sind nun noch mehr Radler unterwegs.
Auf der Tierparkbrücke sind nun noch mehr Radler unterwegs. © Daniel von Loeper

E-Bikes bringen auch Probleme

Dass E-Bikes die Menschen mobiler machen, findet sie gut. Doch sie warnt auch vor Exzessen: Wanderer und E-Bike-Gruppen könnten sich zunehmend in die Quere kommen.

Auch Michael Samer sieht E-Bikes nicht nur positiv: "Die Akkus müssen recycelt werden, der Strom muss irgendwo herkommen", sagt der Inhaber der Fahrradwerkstatt Gegenwind in Sendling. "Und wenn ein Akku mal das Brennen anfängt, sieht es schlecht aus."

Doch auch in seinem Laden werden E-Bikes immer beliebter, ebenso wie hochwertige Trekking- und City Bikes.

Fahrrad-Ersatzteile werden knapp

Als systemrelevantes Unternehmen hatte Samers Werkstatt für Reparaturen geöffnet, nur verkaufen durfte er nichts. Wegen der Coronakrise werden nun die Ersatzteile knapp, es gibt Lieferengpässe. Samer ist dennoch dankbar – als Fahrradhändler habe er Glück. "Vorher war schon viel los", sagt er, "und jetzt fahren auch die, die vorher nicht mit dem Rad gefahren sind."

Der 52-Jährige sieht im Rad die Zukunft der Mobilität. "Die Benzinpreise werden steigen", sagt er, die eigene Gesundheit werde den Menschen wichtiger.

In München werde sich bis dahin jedoch noch einiges ändern müssen. "Das wird für Autofahrer auch nicht spaßig", gibt Samer zu bedenken, "wenn die Fahrradfahrer den Autofahrern die Fahrspuren wegnehmen."

Forderung: München muss bei den Radwegen nachbesssern

Münchens Fahrradgeschäftsinhaber erinnern deshalb an die Forderungen des Radentscheids. Die Stadt müsse viel tun. "Breitere Radwege und durchgängige Radwege", zählt Ellen Kuhm von Radlbauer auf, oder Spiegel für Lkw an den Ampeln.

"München ist eigentlich überhaupt nicht für Radfahrer ausgelegt", kritisiert auch Michelle Strobel. Die 24-Jährige hat gerade ihr Rennrad in der Werkstatt R18 abgegeben. 15 Minuten braucht sie damit zur Arbeit. "Mit der U-Bahn wäre ich sogar länger unterwegs."

Lesen Sie hier: So reinigen Sie Ihr Fahrrad richtig

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