E-Auto-Odyssee für Münchner: Die Stadt streikt beim Stecker

München - Der frühere Skoda, Holger Machts treuer Wegbegleiter mit ratterndem Dieselmotor, hatte nach 20 Lebensjahren eigentlich ausgedient. Macht fuhr in den vergangenen drei Jahren mit dem Auto trotzdem noch täglich zu seiner Arbeit nach Bad Tölz. Doch er ahnte seit 2020 schon: Das geht nicht mehr lang gut. "Ich wusste, dass der Skoda bald den Dienst verweigern würde", erzählt er.
Macht ist Lehrer an der Fachoberschule (FOS) und unterrichtet Deutsch, Geschichte sowie Politik und Gesellschaft. Täglich sitzt er 100 Kilometer am Steuer, hin und zurück zur FOS. 25.000 Kilometer jährlich kommen bei ihm so zusammen.
Münchner Lehrer: "Ich wollte unbedingt ein Elektroauto"
In den letzten Jahren hatte er die Dieseldebatte genau verfolgt, von der ungesunden Luft, zu der vor allem ältere Dieselautos beitragen. Und irgendwann hatte er sich entschlossen, nicht mehr zur schlechten Luft beizutragen: "Mir war völlig klar: Ich wollte unbedingt ein Elektroauto."
Bus und Bahn brauchen deutlich länger
Nun wird der ein oder andere denken: Warum nutzt der Mann nicht die öffentlichen Verkehrsmittel? Doch so einfach ist die Verbindung bis Bad Tölz nicht. Als nämlich der alte Skoda tatsächlich von heute auf morgen für immer streikte, musste Macht ab Mitte Juni 2022 gezwungenermaßen auf die Öffentlichen umsteigen: "Mit dem Auto brauchte ich 35 Minuten zur Arbeit, mit den Öffentlichen waren es Hundert Minuten."
Ein Umzug ist keine Option
70 Minuten mit dem Auto, hin und zurück, statt drei Stunden und 20 Minuten mit den Öffentlichen: Das stand für Macht noch nie im gesunden Verhältnis. Umzug nach Tölz? Kommt für ihn nicht in Frage. Macht hat eine private Bindung zu München. "Es ist als Lehrer auch nicht verkehrt, eine örtliche Distanz zu seiner Arbeitsstelle zu haben", sagt er, auch wenn er seinen Beruf liebe.
"Völlig leergefegter" Gebrauchtwagen-Markt
Aber Macht kaufte als Vielfahrer doch wieder einen sparsamen Diesel, für 8.000 Euro. Als die Sommerferien losgingen, hatte er Zeit, sich einige Gebrauchte anzuschauen. Viel Auswahl war nicht. "Der Markt ist völlig leergefegt gewesen", sagt Macht. Doch wäre es nach Macht gegangen, hätte er ja längst Kredit aufgenommen und sein Traum-Elektroauto gekauft.
E-Auto? Zu viele Hindernisse
Für ihn ist es ein Dilemma. "Ich hätte gern für ein bisschen bessere Luft gesorgt", sagt Macht. Sein Gewissen quält ihn bis heute. "In die Stadt fahr ich eh nur mit den Öffentlichen." Doch Macht stieß bei seinem Projekt Elektroauto auf Hindernisse, die er nicht ahnen konnte.
Der Lehrer wohnt in Ramersdorf, in einer Siedlung der Gewofag nahe der Rosenheimer Straße. Schon seit 2020 dachte er über ein E-Auto nach, kurz nachdem zum ersten Mal von Dieselverboten in München die Rede war. Gleichzeitig wusste er ja, dass es sein alter Diesel nicht mehr lange tut.
Zuerst braucht es eine Wallbox
Das Projekt E-Auto begann für Holger Macht mit einer E-Mail an die Gewofag. Er wollte um Erlaubnis fragen, eine Wallbox, also einen Ladepunkt an seinem Tiefgaragenstellplatz, anzuschrauben. Sollte ja nicht kompliziert sein. Für Macht war klar: "Wenn ich ein E-Auto kaufe, dann mit eigenem Ladepunkt in der Tiefgarage." Seine Grundbedingung.

Ladesäulen sind permanent belegt
Zu oft hatte er beobachtet, dass die öffentlichen Ladesäulen permanent belegt sind, mit E- Autos oder auch Hybridfahrzeugen. Aber oft auch mit Diesel- oder Benzin-Fahrzeugen, obwohl das ja nicht erlaubt ist. "Wenn ich morgens nach Bad Tölz losfahre, muss das Ding geladen sein. Da kann ich nicht am Vorabend oder morgens auf eine Lademöglichkeit spekulieren", sagt Macht.
Genehmigung des Vermieters ist gesetzlich erforderlich
Am 3. August 2021 schrieb er die erste von ziemlich vielen Mails an die Gewofag: "Wären Sie mit einer Wallbox in der Tiefgarage einverstanden? Bedarf es eines formularhaften Antrags?", steht da. Die ersten Antworten kommen rasch, sogar am selben Tag. Tatsächlich sei die Genehmigung des Vermieters gesetzlich erforderlich, heißt es in der ersten Mail.
Prüfung vom Fachmann
In der zweiten steht dann, zwei Tage später: Es sei eine Prüfung nötig und die sei in Auftrag gegeben worden. Diese Prüfung übernahm ein Fachmann von einer Münchner Elektrofirma – den Holger Macht am 10. September 2021 persönlich treffen konnte. Sie gingen gemeinsam in die Tiefgarage, zu Machts Stellplatz.
Grünes Licht vom Gutachter
In der Nähe ist ein elektrischer Knotenpunkt an der Wand, etwa in fünf Meter Entfernung von Machts Stellplatz. "Der Gutachter sagte, dass man hier problemlos eine Leitung abzweigen und einen Stromzähler dazwischenschalten könne, der dann meinen Verbrauch erfasst", erinnert sich Macht. An dessen Ende könne man dann eine Wallbox installieren: Machts neue eigene Elektro-Tankstelle.
Der Wunsch: ein E-Kombi
Toll, dachte sich Macht und glaubte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis seine Wallbox angeschraubt werden kann. Voller Vorfreude suchte er sich ein E-Auto aus, das zu ihm passt. "Es musste ein kompakter Kombi sein, in dem ich auch meinen Husky Tommy gut mitnehmen kann", erzählt Macht.
Das Traum-E-Auto war gefunden
Einige Klicks im Internet. Da war es, das Traum-E-Auto: ein Kia EV6. Kosten: etwa 60.000 Euro. Die Idee: Ein Viertel der Summe sofort bezahlen. "Für den Rest wollte ich einen Kredit aufnehmen", sagt Macht.
Doch da hatte der Lehrer die Rechnung ohne den Vermieter gemacht. Vier Wochen später: Immer noch keine Antwort von der Gewofag. Also schrieb Macht nochmal am 9. Oktober 2021. Die Antwort: Man habe den Prüfbericht angefordert und werde sich melden.
Plötzliche Absage für die Wallbox
Weitere Wochen vergingen. Ende Oktober 2021 strich die KfW eine Förderprämie für Wallboxen in Höhe von 900 Euro. Geld, mit dem Macht eigentlich rechnete. Frustriert schrieb er die Gewofag an – und bekam eine ernüchternde Nachricht, am 8. November 2021: Es sei nicht möglich, eine Wallbox einzurichten. Denn es sei nicht machbar, eine Leitung vom Standort einer potenziellen Wallbox bis zum Stromzähler seiner Wohnung im siebten Stock zu legen. Das sei das Ergebnis des Prüfberichts.
Begründung auf AZ-Nachfrage
Eine Begründung gab die Gewofag dabei nicht an und ging auch nicht auf die Idee des Prüfers ein, direkt in der Tiefgarage die Infrastruktur einzurichten. Auf Nachfrage der AZ schreibt die Gewofag, dass es sich um eine Garage handele, die sich nicht im Wohngebäude befinde. Daher müsse eine Wallbox immer an einen Strom-Übergabepunkt im Wohngebäude angeschlossen sein. Nur so könne man den individuellen Stromverbrauch von Herrn Machts künftigem E-Auto messen.
Nächster Schritt: Stadtpolitik
Für Macht war das widersprüchlich. Er hatte ja mit dem Gutachter persönlich gesprochen. Also entschied er sich – Macht ist selbst politisch aktiv bei der Partei Volt – die Stadtpolitik einzuschalten. "Schließlich ist die Stadt an der Gewofag beteiligt", dachte sich Macht. Er schrieb die Stadtratsfraktion der Grünen, das Bürgermeisterbüro von Verena Dietl, die Stadtwerke und auch die Stadtratsfraktion der SPD an. Er wies dabei darauf hin, dass die Gewofag ja stets betone, allen Mietern möglichst einen Wallbox-Zugang ermöglichen zu wollen.
Zweite Prüfung nach erfolgreicher Aktion
Die Aktion wirkte. Fast alle kontaktierten die Gewofag und fragten, was das Hindernis dabei sei, eine Tiefgaragen-Wallbox für Holger Macht zu installieren. Am Ende beauftragte die Gewofag eine zweite Prüfung. Darüber informierte Bürgermeisterin Dietl, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der Gewofag ist, Herrn Macht persönlich.
Dietl betonte in dem Schreiben, dass die Gewofag grundsätzlich gerne E-Mobilität fördern würde, wo nur möglich und derzeit an einem Konzept arbeite, das es allen Mietern ermöglichen soll, in naher Zukunft eine Wallbox zu nutzen.
Drei Monate bis zum nächsten Prüfbericht
Drei Monate später, fast März 2022. Von einem zweiten Prüfbericht keine Spur. Erneut schrieb Macht die Gewofag an, um sich nach dem Stand zu erkundigen. Erneut wurde er vertröstet. Am 12. Mai 2022 dann das Ergebnis des Prüfberichts. Eine Nachricht der Gewofag. Darin steht sinngemäß, dass die einzige Möglichkeit, eine Wallbox zu installieren, die sei, von Holger Machts Wohnung im siebten Stock hinunter auf Erdgeschossebene und von dort in Tiefgarage eine Leitung zu verlegen.
Selbstkosten würden bei 16.000 Euro liegen
Die Kosten dafür müsse Macht selbst tragen. Die Gewofag (aktueller Wohnungsbestand: 39.000) könne nichts hinzuzahlen. Zähler, Kabel, Infrastruktur: Etwa 16.000 Euro. Das habe die Machbarkeitsprüfung der Elektrofirma ergeben. Die Gewofag könne die Kosten nicht übernehmen. "Und da waren noch gar nicht die Gebühren der Wallbox dabei", sagt Macht.
Haftung müsste auch übernommen werden
Außerdem müsse er im Ernstfall haften, stand in dem Schreiben, falls die neu verlegte Leitung einen Schaden anrichte. 21 Seiten ist die Kostenaufstellung der Wallbox-Leitung lang. Die Länge der Leitung, so schätzt Macht, hätte von seiner Wohnung aus 20 Meter betragen.
"Das ist leider nicht finanzierbar"
16.000 Euro, plus bis zu 2.000 Euro für die Wallbox, plus die 60.000 Euro für das Auto: "Das ist leider nicht finanzierbar", schrieb Macht irgendwann frustriert in einer seiner letzten Mails an die Gewofag. Fast ein Jahr lang kämpfte er um eine Wallbox. Er fährt vorerst seinen Ford weiter.
Dieselfahrzeuge sollen aus der Stadt raus
Aber der neue Gebrauchte ist für ihn auch keine Dauerlösung, da ja die Stadt angekündigt hat, viele Dieselfahrzeuge aus der Stadt zu verbannen, um die Luftqualität zu verbessern. Auch wenn die Stadt zeitlich begrenzte Ausnahmen für Anwohner ankündigte, beruhigt das Holger Macht nicht. Denn er könnte theoretisch in etwa zwei Jahren erneut gezwungen sein, wegen drohender Verbote das Fahrzeug zu wechseln, obwohl sein Ford Diesel gut funktioniert.
E-Bike statt E-Auto
Macht will jetzt abwarten, hat sich aber entschieden, vorerst zumindest auf zwei Rädern elektrisch unterwegs zu sein, anstatt auf vier. "Ich habe mir ein E-Bike gekauft", sagt er. Damit kann er natürlich nicht täglich nach Bad Tölz in die Fachoberschule pendeln – aber immerhin in die Stadt fahren.