Durchgeknalltes Experiment beim Rockavaria

Am Freitag und Sonntag treten beim Rockavaria vor allem Metalbands jeder Art auf, am Samstag aber gibt es scheinbar kein Konzept. Es spielt so ziemlich jeder, der eine Gitarre halten kann, von Gotthard bis Iggy Pop und dazwischen wird ein Film vorgeführt.
von  Nicolas Freund
Der Olympiapark wird zum Festivalgelände.
Der Olympiapark wird zum Festivalgelände. © imago

München - Manche Metalfans hatten bei Facebook und Twitter im Vorfeld schon angekündigt, sich den Samstag zu sparen und lieber Champions League zu schauen. Die Drohung haben viele dann doch nicht wahr gemacht, denn das Stadion füllt sich deutlich, als am späten Nachmittag die Thrash-Metaller Sodom auftreten.

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Warum die prollige, aber sympathische Vollgas-Metal-Band nicht am Sonntag mit Slayer und Anthrax spielt, bleibt das Geheimnis der Festivalplanung. Die Bands wurden heute scheinbar nach dem Zufallsprinzip über die Bühnen verteilt.

Ernsthafte Konkurrenz macht dem Stadion inzwischen die kleinste davon, die Seebühne. Nicht nur, weil man wunderbar am Wasser liegen kann, sondern auch, weil am Samstag dort mit Bands wie The Charm The Fury die härtere Musik spielt. Besonders die Prog-Rocker Agent Fresco und der punkige Deutschrock von Serum 114 kommen am Nachmittag gut an.

Sólstafir, die im Sonnenuntergang auftreten, sehen aus wie Cowboys, kommen aber eigentlich aus Island. Die melancholischen Riffs sind Manchem etwas zu entspannt, aber an den Olympiasee passen sie hervorragend. Vielleicht würde das Rockavaria sogar am besten als kleines Festival auf der Seebühne funktionieren, ohne das immense finanzielle Risiko der großen Bands im Stadion.

Garbage auf der Seebühne

Dort haben Garbage am Nachmittag ein paar eigene Fans mitgebracht und packen ihre alten Hits aus den Neunzigern aus („Only Happy When It Rains“). Sängerin Shirley Manson bekommt einen Wutanfall über die blendende Sonne und zu wenige Frauen auf der Bühne an den drei Festivaltagen. Der elektronische Rock und die Energie von Garbage kommen gut an, die Hard Rocker von Gotthard geben danach zwar mehr Gas, wirken aber etwas altbacken.

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Die Pop-Rocker Mando Diao für ein Festival zu buchen, bei dem auch Slayer und Iron Maiden auf der Bühne stehen, ist mutig. Mutig ist auch, dass die Schweden ein paar Songs nur mit Akustikgitarre spielen. Aber der Mut wird belohnt: Das Stadion geht bei dem Gute-Laune-Rock voll mit. Experiment geglückt.

Das kann man von „Gutterdämmerung“ leider nicht behaupten. Das Projekt von Henry Rollins und einigen weiteren Musikern ist ein Film mit Live-Musik. Stars wie Iggy Pop und Lemmy treten in der einfallslosen Geschichte um eine vom Himmel auf die Erde gesandte Gitarre auf, die Band jammt dazu und covert später The Doors („The End“), Motörhead („Ace of Spades“) und Led Zeppelin („Immigrant Song“). Die Musiker sind gut, aber der Film dilettantisch und als vorletzte „Band“ des Tages falsch platziert. Experiment missglückt.

Auftritt Iggy: Die Lederjacke landet sofort in der Bühnenecke

Wie aus dem Zauberhut gezogen erscheint Iggy Pop dann, eben noch im Film zu sehen gewesen, auf der anderen Bühne. In „Gutterdämmerung“ spielte er einen Engel, aber wenn er hier in München mit schwarzer Jeans, Glitzergürtel und Lederjacke auf die Bühne gesprungen kommt, ist er einer der letzten noch lebenden, ganz großen Rockstars. Die Lederjacke landet schon beim ersten Song in der Bühnenecke und Iggy stakst und tänzelt wie immer halbnackt durch die Gegend.

Gleich als dritten und vierten Song haut er seine Hits „The Passenger“ und „Lust for Life“ raus. Ab dann hat er das ganze Stadion für sich gewonnen. Vorne ist die Stimmung euphorisch wie bei keiner Band an diesem Tag und hinten wippen sogar die harten Metaller in Slayer-T-Shirts mit. Josh Homme von den Queens of the Stone Age, mit dem Iggy sein letztes Album aufgenommen hat, ist in München leider nicht dabei und die Begleitband hält sich etwas zu sehr zurück.

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Aber wahrscheinlich haben sie einfach Angst, vom unberechenbaren Iggy umgerannt zu werden oder einen Mikrofonständer an den Kopf zu bekommen. Als hätten ihn seine eignen alten Hits erst richtig animiert, ist der inzwischen 69-Jährige nicht mehr zu bremsen. Zwischen Schimpftiraden und Liebeserklärungen ans Publikum lässt er den flackernden Blick durchs Stadion schweifen um dann wieder den Mikroständer zu malträtieren.

Songs vom neuen, hervorragenden Album „Post Pop Depression“ spielt er erst gegen Ende („Gardenia“, „Sunday“, „Break Into Your Heart“ und „Paraguay“), aber mit dem neuen Material und dem Auftritt, der nur unter einem zu leisen Keyboard leidet, hat er seinen Legendenstatus bewiesen. Und egal, was aus diesem Festival wird, es bleibt sicher als die Veranstaltung in Erinnerung, die Musiker wie Iggy Pop und Metallica nach München geholt hat.

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