Droht eine kahle Stadt? "München muss eilig aufforsten"

München - Die Zahl hat aufhorchen lassen neulich: An die 20.000 alte Bäume hat München in nur zehn Jahren auf Privatgrund verloren, mahnt der Bund Naturschutz. Öffentliche Kahlschläge, nach denen die Stadt auch nur kleine Bäumchen nachpflanzt nicht mal mitgerechnet.
Dabei ist klar: Je heißer künftig die Klimawandel-Sommer werden, umso mehr üppiges Grün, Schatten, Feuchtigkeit wird München gerade in den verdichteten Wohnvierteln brauchen, damit das Leben dort halbwegs erträglich bleibt.
Stadt München hat bislang nur 150 Bäume gepflanzt
Nun ist es ein Jahr her, dass die Viertelpolitiker in allen 25 Stadtbezirken dem zuständigen Baureferat aufgelistet haben, wo in den Straßen, Parks und öffentlichen Grünanlagen in ihrer Nachbarschaft noch Bäume erwünscht wären. 2.000 Standorte haben sie vorgeschlagen – aber gepflanzt hat die Stadt bislang nur 150 Bäume.
Geht das schnell genug voran? Die AZ hat mit Angela Burkhardt-Keller gesprochen, der Baumschutz-Expertin beim Bund Naturschutz in München.
AZ: Frau Burkhardt-Keller, pressiert es wirklich so in Sachen Aufforsten in München?
ANGELA BURKHARDT-KELLER: Es eilt absolut. München hat zwar noch imposante alte Bäume in vielen Vierteln, tolle Bestände an der Isar, Reste von Auwald. Aber die Innenstadt ist schon sehr zubetoniert und an vielen Ecken, an denen gebaut und nachverdichtet wird, schrumpft der Bestand massiv.
Viele nachgepflanzte Bäume werden nie mehr groß
Obwohl die Stadt viel nachpflanzt? Letztes Jahr haben die Gärtner 1.697 alte Bäume gefällt, die wohl morsch waren, aber auch 2.343 junge nachgesetzt. Also ein kleines Plus.
Die Stadt ersetzt, was auf öffentlichem Grund wie in Parks oder am Straßenrand verschwindet. Das gleicht aber die Fällungen auf Privatgrund nicht aus – Sie müssen sich vorstellen, dass ja nur 13 Prozent der Flächen in München öffentlicher Grund sind. Dazu kommt, dass viele nachgepflanzte Bäume nie mehr groß werden, weil sie zu wenig Platz zum Wachsen bekommen.
Nachpflanzen – oder 750 Euro pro abgeholztem und nicht ersetztem Baum
Wer auf seinem Privatgrund abholzt, hat doch auch die Verpflichtung, nachzupflanzen.
Das stimmt, aber am Ende passiert es nicht. Stellen Sie sich ein altes Grundstück in Trudering, Laim oder Feldmoching vor, auf dem ein kleines Häuschen steht mit 20 alten Buchen, Eichen, Ahorn und Obstbäumen. Das wird vererbt oder verkauft. Der nächste Eigentümer hat das Recht, das Baurecht auszureizen und baut ein Achtfamilienhaus drauf. Dafür braucht er Zufahrten, Terrassen, Müllhäusl und eine Tiefgarage – heißt: Das ganze Grundstück wird unterirdisch versiegelt. Zwei alte Bäume kann er stehenlassen, zwei pflanzt er vielleicht neu. Es bleibt ein Minus von 16 Bäumen, die nie mehr wiederkommen ...
. . . weil er dafür einfach einen Ausgleich an die Stadt zahlt?
Richtig, 750 Euro pro abgeholztem und nicht ersetztem Baum. So wird das gelöst, wenn kein Platz mehr ist. Auf eine Tiefgarage kommt ja selten mehr Erde als 80 bis 100 Zentimeter. Das ist kein Standort für Großbäume, schon deshalb, weil Tiefgaragen irgendwann saniert werden, dann kommen die Bäume eh wieder weg.
"Ein großer Baum produziert am Tag Frischluft für 50 Menschen"
Wenn in dem Tempo weiter Bäume aus der Stadt verschwinden, welche Auswirkungen hat das?
München wird unwirtlicher. Es ist jetzt schon im Sommer drei bis vier Grad heißer in der Stadt als im Umland, weil sich Beton schneller aufheizt und Hitze speichert als eine Grünlandschaft. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Hitzetage mit über 30 Grad Celsius in München verdoppelt. In der Innenstadt heizen die Dächer sich bis zu 60 Grad auf. Der Klimawandel wird noch mehr Hitze bringen. Dagegen helfen große, alte Bäume, weil sie Schatten spenden, über ihre Blätter Wasser verdunsten und so die Umgebung kühlen und die Aufheizung abmildern. Ein großer Baum produziert am Tag auch Frischluft für 50 Menschen.
Angenommen, wir erleben fünf Sommer in Folge jeweils sechs Wochen Hitze am Stück, bei schrumpfendem Baumbestand – wie sieht München dann aus?
Grau, kahl, staubig und ziemlich lebensfeindlich. Dann können Sie sich die Wiesen im Ostpark, Westpark oder Luitpoldpark gelbbraun verbrannt statt grün vorstellen, etliche Bäume wie die Linden verlieren schon im Sommer ihre Blätter statt im Herbst – und viele Straßenbäume mit kleinem Wurzelraum, wie die Pappeln an der Lindwurm– oder der Leopoldstraße, werden gestorben sein.
Bund Naturschutz will "Munich Central Park"
Der Bund Naturschutz hat kürzlich die Idee vom "Munich Central Park" in der Sonnenstraße vorgestellt. Also ein durchgehender Grünzug mit Bäumen vom Sendlinger Tor bis zur Brienner Straße.
Wir hätten dort gern Hunderte Bäume auf einer Breite von 30 Metern mitten durch die Innenstadt. Das ist genau die Richtung, in die es gehen muss. Wenn wir nicht wollen, dass es in 50 Jahren noch acht Grad heißer wird im Sommer als jetzt, müssen wir dafür sorgen, dass München in den nächsten zehn Jahren nicht weniger, sondern sogar noch zehn Prozent mehr Bäume bekommt.

Wie viele wären das also?
Bei aktuell 1,5 Millionen Bäumen wären das 150.000. Plus den gefällten 20.000, die ersetzt werden müssen, sind wir bei 170.000 zusätzlichen Bäumen in zehn Jahren.
"Es muss überall mehr Platz für Bäume geschaffen werden"
Wo sollen die denn alle hin? Es ist ja jetzt schon eng in der Stadt, und es laufen Verteilungskämpfe um Radwege, Tramschienen, Parkplätze.
Es muss überall mehr Platz für Bäume geschaffen werden. Auch an allen vierspurigen Straßen – indem man in jeder Richtung auf eine Autospur verzichtet und breite Grünstreifen als Baumgräben anlegt.
Wie breit?
Mindestens drei Meter, und zwar nicht als Inseln, sondern durchgehend, damit wirklich Platz zum Wurzeln ist.
Wohin dann mit den gewünschten breiteren Radwegen? Und den Autos?
Es hilft ja nichts, Bäume müssen mitgeplant werden wie Rad- oder Autospuren. Und ich erwarte von den regierenden Stadtratsparteien, dass der Erhalt von Bäumen bei allen Planungen im öffentlichen Raum absolute Priorität hat. Dass an der Gotthardstraße für die Verlängerung der U5 Hunderte Bäume gefällt worden sind, anstatt die Trasse anders zu planen, ist ein Unding. Dasselbe blüht uns jetzt bei der Tram-Westtangente. Das geht nicht. Weitere Verluste können wir uns in Anbetracht der klimatischen Situation nicht leisten.


1.500.000 Eichen, Eschen, Ahorn & Co
- München hat rund 1,5 Millionen Bäume.
- Unter Bäumen ist es an heißen Sommertagen im Schatten bis zu zehn Grad kühler als in der Sonne.
- Pro Jahr werden in der Stadt 2.000 Bäume gefällt und nicht nachgepflanzt.
- In den Eichen im Hirschgarten lebt einer der seltensten und streng geschützten Käfer: der Eremit.
- 200 Bäume sind als Naturdenkmale geschützt.
- Pro Tag produziert ein alter Baum Sauerstoff für 50 Menschen.
- Eine baumfreie Straße ist drei bis vier Mal stärker mit Staub belastet als eine Straße mit Bäumen.
- Die Röth-Linde ist mit rund 300 Jahren wohl der älteste Baum Münchens.
- 600.000 Bäume stehen in öffentlichen Grünanlagen.
- 110.000 stehen entlang von Münchens Straßen.
- München rangiert beim Grünflächenranking nur auf Platz 75 von 80 deutschen Städten.
- Ein Baum bietet Lebensraum für 300 Insektenarten.
- Ab 80 Zentimeter Stamm-Umfang fallen Bäume in München unter die Baumschutzverordnung, die schützt pro Jahr rund 500 Bäume vor einer Fällung.
- Bis ein drei Meter hoher nachgepflanzter Jungbaum mit winziger Krone die Klimawirkung des Altbaums erfüllt (also Verschatten, die Sauerstoffproduktion), dauert es 40 bis 50 Jahre.