Dreijährige rettet Bub vorm Ertrinken
Sie ist ein kleiner Schutzengel: Die dreijährige Nevin stromerte mit ihrem gleichaltrigen Spielkameraden Andreas in der Gegend herum. Plötzlich plumpste der Bub in einen Teich, versank sofort auf den Grund. Geistesgegenwärtig rannte das kleine Mädchen nach Hause. Die ganze Geschichte.
MÜNCHEN Der kleine Bub mit dem blassen Gesicht und dem nackten Oberkörper wird nicht mehr beatmet, er ist aus dem künstlichen Koma, in das ihn die Ärzte versetzt haben, erwacht. Andreas (3) weint ein bisschen und jammert – weil die Mama neben dem Krankenhaus-Bettchen steht und es so schön ist, getröstet zu werden.
„Ich dachte, er wäre tot“, sagt Cimet, die Mutter des kleinen Irakers mit dem deutschen Vornamen. Beinahe hätte sie mit ihrer Befürchtung Recht gehabt. Denn der Dreijährige, den die Eltern liebevoll „Kirkir“ nennen, hatte am Dienstagnachmittag einen riesigen Schutzengel. Oder besser gesagt sechs: Seine Freundin Nevin (3), die Hilfe holte. Seinen Bruder (13), der ihn aus dem Wasser zog. Seinen Vater und zwei Nachbarn, die ihn reanimierten. Und einen Feuerwehrler, der die Männer am Telefon anleitete.
Gegen 17.30 Uhr wurde dem Bub in der Flüchtlings-Unterkunft in Aubing langweilig. Außer Wäscheleinen, einem Stück Grünfläche und einem Mini-Spielplatz ist dort nichts. Zusammen mit seiner Freundin Nevin machte sich der Kleine auf Entdeckungstour in den Nachbargarten. „Wir sind durch ein Loch in der Hecke gekrochen“, sagt Nevin und blinzelt verschwörerisch.
Wagemutig tritt Andreas ganz nah ans Wasser
Die Kinder schleichen übers Nachbargrundstück, angezogen von einem etwa zehn Quadratmeter großen Gartenteich. Wagemutig tritt Andreas ganz nah ans Wasser – und fällt hinein. Sofort sinkt der Bub, der von klein auf in Deutschland lebt, auf den Grund in 1,60 Meter Tiefe. Entsetzt läuft Nevin zurück, schlüpft durch das Loch in der Hecke. „Helft Andreas, helft ihm!“ brüllt das Mädchen. „Ich hab’ auch geweint“, sagt die Lebensretterin und reibt sich die dunkelbraunen Augen.
Andreas’ Bruder Matios (13) ist als erster an der Unfallstelle, springt sofort ins Wasser und taucht nach seinem Bruder. „Er lag ganz unten am Grund“, erzählt der 13-Jährige. Der Vater, Samir Ismail, springt hinterher, erwischt den Fuß seines Jüngsten und zieht den Bewusstlosen aus dem Wasser. „Er war völlig leblos. Ich dachte, es sei zu spät“, erzählt er. Aber ein Nachbar, Farid Kadir, rief: „Los, probieren wir es!“
„Der Mann am Telefon rief immer: ,Weitermachen, weitermachen"
Andreas’ Papa, der als Gebäudereiniger im Krankenhaus in Starnberg arbeitet, kümmert sich um die Herzmassage, Nachbar Kadir um die Mund-zu-Mund-Beatmung und ein weiterer Nachbar, Scharafkan (18), telefoniert mit der Rettungsleitstelle und gibt die Anweisungen des Disponenten aus der Integrierten Leitstelle genauestens weiter. „Der Mann am Telefon rief immer: ,Weitermachen, weitermachen, wir kommen gleich’“, erinnert er sich.
Und die drei machen weiter. Bis Andreas Wasser und Reis spuckt. Bis der Kindernotarzt da ist. „Beim Abtransport war der Bub sogar ansprechbar“, sagt Polizeisprecher Markus Dengler. Andreas’ Kreislauf war da schon wieder stabil. „Aber er war stark unterkühlt“, so Feuerwehrsprecher Christoph Hoeckh.
Auf der Intensivstation im „Dritten Orden“ wird der Dreijährige zunächst in ein künstliches Koma versetzt, aus dem er aber am Mittwoch schon wieder erwachte. Am Donnerstag früh klingelte bei seinen Eltern das Telefon. Die Mama solle doch bitte in die Klinik kommen. Der Kleine vermisse sie so sehr.
Mittlerweile versperrt ein Stück Zaun das Loch in der Hecke zum Nachbargarten. Aber Nevin und die anderen Kinder wollen da sowieso nie mehr hingehen. Auch wenn Andreas nach Angaben seiner Ärzte keine bleibenden Schäden davontragen wird – der Schock in der kleinen Asylbewerberunterkunft sitzt tief. Und die Wut: „Wir wussten nicht, dass sich hinter dieser Hecke ein Gewässer befindet“, sagt Mutter Cimet. „Sonst hätten wir die Kinder gewarnt.“
D. Transiskus
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