Dramatisches Aus für St.-Josefs-Pflegeheim in München: "Ich verstehe nicht, wieso das passiert"

München - Elf Wochen sind es noch, bis alle weg sein müssen, die Frau Neuhirl (95), der Herr Klein (82) und all die anderen älteren Herrschaften auf den Stationen. Auch die Pflegerinnen und das Personal in der Verwaltung und der Haustechnik und in der Küche, 70 Mitarbeiter sind das. "Aber jetzt", sagt Schwester Maria Johanna von den Niederbronner Schwestern, "jetzt denken wir da gar nicht dran, jetzt kommt erst einmal Weihnachten."
Sie versucht, das leichthin zu sagen. Dabei hat die Nachricht, die alle im Haidhauser St.-Josefsheim am Buß- und Bettag vor drei Wochen ereilt hat, sie wie ein Donner getroffen: Das fast 100 Jahre alte Pflegeheim, das sich zusammen mit dem St.-Josefs-Kinderheim unter einem Dach am Preysingplatz befindet, muss schließen. Am 29. Februar schon, weil keine Pflegekräfte mehr zu finden sind.
St.-Josefs-Pflegeheim in München vor der Schließung: Kein Pflegepersonal mehr zu kriegen
Dabei ist es mal ein lebendiges Haus gewesen. Rund 100 ältere Menschen hat das vom privaten kirchlichen St.-Josefsverein getragene Pflegeheim noch im vergangenen Frühjahr auf acht Stationen versorgt, viele davon hochaltrig, etliche auch an Demenz erkrankt. Dann musste es mangels Pflegepersonal schon drei Stationen im Altbau schließen und die Betten im Anbau auf 60 reduzieren – selbst die Zeitarbeitsfirma meldete, sie könne kein Personal mehr schicken, es sei einfach keines mehr da.

Weitermachen, sagt Roland Decker (69), der seit 20 Jahren Heimleiter ist, geht so einfach nicht mehr. Letzte Woche hat er schon zwölf Seniorinnen und Senioren in andere Pflegeheime umsiedeln können, etwa bei der Caritas und der Awo. "Gott sei Dank habe ich ein gutes Netzwerk", erzählt er in seinem Büro, "ich hab schon vielen anderen Häusern aus der Not geholfen, jetzt helfen die mir."
Diesen Morgen hat ein früherer Feuerwehrmann (87) das St.-Josefsheim verlassen. Er war, nachdem seine Frau im Haus verstorben war, extra in ihr Zimmer gezogen. "Ich habe mich hier immer sehr heimelig gefühlt, hat er mir zum Abschied gesagt", erzählt Decker. "Jetzt ist heimelig vorbei. Es ist ein Drama mit vielen Tränen, nicht nur für die Bewohner, auch für das ganze Personal, die Schwestern – alle."

Bewohner aus dem Pflegeheim in Haidhausen müssen allein an einen fremden Ort umziehen
Gerade ist Mittagessenszeit. Im "Wohnbereich 1" im Anbau sitzen neun Männer und Frauen zusammen am Tisch. Über der Tafel an einer langen Schnur hängt ein Adventskalender mit 24 roten Sackerln, die Wände sind mit gebastelten Weihnachtscollagen dekoriert. Angelika Oberlechner (73) sitzt in der Runde, sie war mit ihrem Mann ins St.-Josefsheim gezogen. Es sei schon schwer genug gewesen, seinen Tod zu verkraften. Jetzt muss sie auch noch ganz allein an einen fremden Ort umziehen. "Das ist schon gemein, dass man jetzt so herausgerissen wird", sagt sie, "ich verstehe nicht, wieso das passiert."

Rechts von ihr schaut Helga Raddouch (76), die eben noch mit den Tischnachbarn gescherzt hat, jetzt auch ganz unglücklich aus. "Das ist doch schlimm", sagt sie. "Vor allem, weil alle hier so nett sind. Und hier kennen wir doch alle Leute." Wohin es sie verschlagen wird? Unklar. Nur eine Dame am Tisch, mit strahlend himmelblauen Augen, lächelt leise. Laura Neuhirl, 1928 im Lehel geboren, also 95 Jahre alt, ist Wäscheschneiderin gewesen und hat wie die meisten hier keine Angehörigen mehr. "Wissen Sie", sagt sie, "jetzt hab ich schon so viel erlebt. Ich weiß schon, dass sein muss, was sein muss. Solang ich laufen kann, kann ich auch umziehen." Wohin, das weiß sie noch nicht.

Aber auch für viele im Personal ist die Zukunft ungewiss. Gerade trägt Zümrut Karaca Suppe für die Wohngruppe auf. Sieben Jahre schon arbeitet sie hier als Betreuungsassistentin, spielt und singt mit den alten Menschen, macht Gedächtnistraining und Bewegungssport. Dass sie irgendwo anders einen neuen Job finden wird, ist keine Frage bei dem Personalmangel in der ganzen Stadt. Sie sorgt sich trotzdem, "wer weiß denn, wie lange das nächste Heim offen bleibt?"
Umfassender ist die Sorge der fünf Ordensfrauen, die im Haus für alle da sind und die Bewohnerinnen und Bewohner bis in ihre letzten Stunden begleiten. Sie denken auch an die Kinder, die nebenan im Heim wohnen. "Nicht nur wir Schwestern sind für die Kinder Großelternersatz, auch unsere Bewohner, mit denen sie sich oft im Garten treffen, sind das", erzählt Schwester Maria Johanna. "Das wird beiden Seiten furchtbar fehlen."

So könnte es – vielleicht – mit dem St.-Josefs-Pflegeheim weitergehen
Gibt es wirklich keine andere Lösung, als ein Ende des Pflegeheims? Geschäftsführer Thomas Hoffmann jedenfalls schläft seit drei Wochen keine Nacht mehr ein, ohne über Möglichkeiten nachzudenken: "Wenn die Stadt, die Kirche oder eine Stiftung unser Pflegeheim pachten oder kaufen und dann auch sanieren würde", meint er, "dann könnten wir es als Verein wieder anmieten und Apartments für Betreutes Wohnen daraus zu machen." Man brauche für diese Wohnform ja viel weniger Pflegepersonal. "Und dann könnte es hier weitergehen mit Alten und Kindern unter einem Dach."

Man hofft also noch, nur Gespräche dazu gibt es noch keine. Bis dahin sucht Heimleiter Roland Decker weiter nach Umzugs-Pflegeplätzen für seine Schützlinge in München. 43 Männer und Frauen sind es noch. Und eben: elf Wochen. Den Mittagstisch der "Wohngruppe 1" jedenfalls verlässt er nicht, ohne eine Hoffnung zu hinterlassen: "Macht's euch keine Sorgen", ruft er lächelnd in die Runde, "bis der Letzte von euch nicht gegangen ist, dreh ich den Schlüssel nicht um." Und wenn das bis nächstes Jahr Weihnachten dauert.
Historie des St.-Josefsheims
Die Geschichte des St.-Josefsheims beginnt 1855. Da gründete der Haidhauser Pfarrer Johann G. Walser mit einer 1000-Gulden-Stiftung für „die armen Waisenkinder Haidhausens“ den St.-Josefsverein und ein kleines Kinderheim (zunächst in einer Wohnung in der Kirchenstraße). 1858 bat der Verein die Niederbronner "Schwestern vom Göttlichen Erlöser" aus dem Elsaß, mit den Kindern zu leben, sie boten bald auch Krankenpflege an.
Bis 1906 kaufte der Verein über Spenden und Erbschaften mehrere Grundstücke an der Eggern- und Preysingstraße und baute neben einem größeren Kinderheim auch einen Kindergarten, einen Mädchen- und einen Knabenhort. 1930 zog die erste Pensionärin ins damals neu errichtete Haus an der Preysingstraße 21 (den heutigen Altbau). In den 1960er Jahren folgte der Altenheim-Anbau am Preysingplatz. Noch im letzten Frühjahr wohnten rund 30 Kinder und Jugendliche mit rund 100 Senioren unter einem Dach und trafen regelmäßig zusammen. Kinderheim, Kita und Hort bleiben auch nach der Pflegeheimschließung erhalten.