DJ Ude rockt München

»I feel good«: Wie ein siegessicherer Oberbürgermeister seine letzte Wahl-Schlacht erlebte. Die AZ hat Christian Ude am Tag der Entscheidung begleitet.
von  Abendzeitung
Die Technik blieb für ihn wohl ein großes Geheimnis, doch der Laden tanzte trotzdem nach einem Beat: DJ Ude in Aktion
Die Technik blieb für ihn wohl ein großes Geheimnis, doch der Laden tanzte trotzdem nach einem Beat: DJ Ude in Aktion © Martha Schlüter

»I feel good«: Wie ein siegessicherer Oberbürgermeister seine letzte Wahl-Schlacht erlebte. Die AZ hat Christian Ude am Tag der Entscheidung begleitet.

VON FRANK MÜLLER

Auch ein Oberbürgermeister kommt mit dem übergroßen Münchner Stadtrats-Wahlzettel nicht so ohne weiteres klar: Christian Ude sitzt in der Kabine im Schwabinger Wahllokal und kämpft sichtlich beim Auffalten des Papiers. „Oh mei, oh mei“, entfährt es ihm, für den gesamten Wahlraum hörbar.

Dabei hat es der Mann ja noch leicht: Anders als viele Münchner, die ihre Stimmen quer durch die Wahlvorschläge verteilen, bewegt sich der OB natürlich nur innerhalb der eigenen SPD-Liste. „Alles andere wäre ja dann doch sehr merkwürdig“, sagt Ude später. Und dass er sich selbst auch die OB-Stimme gibt, daraus macht Ude schon gar kein Geheimnis: „Das hat ja seit Adenauers Zeiten nichts Anrüchiges mehr.“

Die Anspannung fällt ab, die Erholung setzt ein

Es ist der Tag, an dem alles gelaufen ist, an dem die Wahl entschieden ist. Von Ude fällt die Anspannung ab, die Erholung nach dem monatelangen kräfteraubenden Wahlkampf setzt schon ein. Und München bereitet seinem Dauer-OB eine große Bühne. Als Ude mit seiner gesamten Großfamilie nach dem Wahlgang am Elisabethplatz zu einem Vormittagsspaziergang ins Seehaus im Englischen Garten aufbricht, kommen immer wieder Menschen auf ihn zu: „Alles Gute!“ „Ich hab’ Sie gerade gewählt!“ „Ich wähl’ Sie gleich noch!“ Es gibt keine einzige abfällige Reaktion.

Auf derselben Sympathiewelle surft Ude auch in der Nacht zum Wahlsonntag. Um Mitternacht steht der OB auf einer Bühne, die normalerweise nicht die seine ist – auf der des Szeneclubs Backstage. Als letzter Höhepunkt seines Wahlkampfs mischt Ude sich nicht nur unter die Jugend – er legt auch noch für sie auf, als Gaststar „DJ Ude“. Und so steht Ude nun nach all den Wahlkampfauftritten an Infoständen und vor Werkstoren auf einmal hinter einem DJ-Pult, dessen Technik er sichtlich nur im Ansatz begreift.

Freundlicher Respekt das Mindeste

Aber das macht nichts: Dem Partyvolk, das ohnehin zum guten Teil aus Jusos besteht, gefällt’s, Ude wird in einer Tour mit Fotohandys abgelichtet. Auch hier ist das mindeste, was dem OB entgegenschlägt, freundlicher Respekt. Das will etwas heißen in dieser von anarchischem Geist geprägten Location. Sicherlich nicht ohne Grund prangt draußen vor der Tür auf einem Plakat der Spruch, man solle zur Wahl gehen und sich engagieren „auch wenn ihr Politik/Politiker scheiße findet“.

Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie die Szene Udes musikalische Vorlieben findet. Udes kurzes DJ-Set, das in Wahrheit natürlich nicht er ausgesucht hat, sondern sein Wahlkampfmanager Hans-Ulrich Pfaffmann gemeinsam mit dem Backstageteam, beginnt mit James Browns „I Feel Good“. Dann kommt unter anderem noch „Hang On Sloopy“ und „Do Wah Diddy Diddy“ von Manfred Mann – sichere, wenngleich auch etwas abgestandene Knaller also, Material, das jeder kennt, jeder mag.

"München muss bunt bleiben"

Ähnliches bietet Ude auch in seiner kurzen Ansprache, der letzten dieses Wahlkampfs. Der OB ruft dazu auf, den Neonazis den gewünschten Einzug ins Rathaus zu verwehren, ein Thema, das fast zum beherrschenden Ude-Motiv in der Schlussphase des Wahlkampfs geworden ist. „München muss bunt bleiben und darf nicht braun werden“, ruft Ude unter Beifallgejohle aus dem Publikum. Und dann beschließt er seine Rede mit der Formulierung, die er am Ende praktisch jedes Auftritts verwendet: Man solle wählen gehen und in jedem Fall die demokratischen Parteien stärken, um die Rechten klein zu halten. Wen man dann genau wähle, so Ude, müsse jeder selbst wissen – „da halte ich Sie für intelligent genug“.

Diesen Dauerbrenner-Satz hat Udes Wahlmanager Pfaffmann in diesem Moment womöglich einmal zu oft gehört. In nur halb gespielter Verzweiflung lehnt Pfaffmann am Bühnenrand seinen Kopf auf die Schulter des Reporters und jault trostsuchend in sich hinein: „Ich kann es nicht mehr hören ...“

Ein zweigeteiltes Rennen

Das muss er ja nun auch nicht mehr, und Ude muss diese Sätze nun auch nicht mehr sagen. Er hatte sich selbst schon darüber beklagt, wieviele Wiederholungen man doch als Wahlkämpfer von sich gibt. Doch daran führt in der Schlacht um die Wählerstimmen kein Weg vorbei, wenn man es ernst meint.

Und Ude meinte es ernst in diesem auf merkwürdige Weise zweigeteilten Rennen. Da war einerseits die reine OB-Wahl, an deren Ausgang nie jemand ernsthaft zweifelte und die selbst der Oberbürgermeister, wie er am Sonntag sagt, als „wirklich nicht spannend“ empfand. Und dann war da andererseits die hochspannende Wahl des Stadtparlaments, in der sich entscheiden musste, ob München nach wie vor vom dienstältesten rot-grünen Bündnis der Republik regiert werden möchte. Oder ob es auf hessische oder Hamburger Verhältnisse zusteuert, auf ganz neue Koalitionen also zwischen Rot-Rot hier und Schwarz-Grün dort.

Als Ude am Wahlsonntag mit Familie im Seehaus beim Mittagessen sitzt, da gibt es auf all diese Fragen noch keine Antwort. Noch läuft die Wahl, und an Udes Tisch findet ein kleines Wahllotto statt. Auf 38 Prozent schätzt der Oberbürgermeister seine Fraktion, das wären knapp vier Prozentpunkte weniger gewesen als vor sechs Jahren. Und 65 Prozent prophezeit er sich selbst, das wäre ein halber Punkt über dem Ergebnis von 2002. Das würde bedeuten, dass die Partei noch etwas mehr in den Hintergrund gedrängt wäre als bisher. Und dass im Vordergrund noch etwas mehr Licht auf ihren Übervater Christian Ude fiele.

Udes letzte Wahlschlacht

Doch der will sich eigentlich etwas zurücknehmen in seiner nächsten, seiner letzten Amtsperiode: nicht mehr jeden Termin machen, stärker in größeren Zusammenhängen denken als in kurzatmiger Tagespolitik. Und dann freut er sich schon darauf, Papierstapel wegzuwerfen, die er nun wirklich für keinen weiteren Wahlkampf mehr braucht. Denn dieser 2. März 2008, das war seine letzte Wahl-Schlacht.

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