Dieter Reiter will Ude werden - und wird’s wohl auch

Die Münchner SPD kürt Dieter Reiter (53) mit überwältigender Mehrheit zum OB-Kandidaten. Die AZ erklärt den Mann, der jetzt noch Wirtschaftsreferent ist und ab 2014 regieren will.
MÜNCHEN - Seit fast zehn Jahren fragt sich München: Wer soll eigentlich für die SPD Christian Udes Nachfolger werden? Zehn Namen wurden seitdem als OB-Kandidat gehandelt: Seit gestern Nacht nur noch einer – Dieter Reiter. Er bekam bei einer Sondersitzung aller 44 Ortsvereine und des Parteirats 33 Stimmen, Sozialreferentin Brigitte Meier fünf, sechs enthielten sich. Der dritte Kandidat, Fraktionschef Alexander Reissl, hatte schon am Sonntag zurückgezogen. Mit Tränen in den Augen trat Brigitte Meier ans Rednerpult: „Es liegt ein klares Abstimmungsergebnis vor, deshalb ziehe ich meine Kandidatur zurück.“ Danach stimmte auch der SPD-Vorstand einstimmig für Reiter.
SPD-Chef Uli Pfaffmann war erleichtert. Am 12. 12. darf sich Reiter bei einem „Aufforderungsparteitag“ so richtig feiern lassen. „Es ist für mich ein Traum, OB zu werden“, sagt Dieter Reiter (53). Bei der Stadtratswahl 2014 wird sich das zeigen. Doch wer ist Dieter Reiter?
DIE ANFÄNGE
28 Jahre lang arbeitete Dieter Reiter quasi nahezu unerkannt im Rathaus. Wer interessiert sich schon für Kämmereibeamte? Trockenes Zeug. Doch hinter den Kulissen machte er eine steile Karriere. Erst Studium an der Verwaltungsfachschule, dann 1981 in die Stadtkasse. Das könnte an den Genen liegen: „Mein Vater hatte 30 Jahre lang im Kassen- und Steueramt gearbeitet.“ Mit 28 Jahren wurde der Sohn dort Sachgebietsleiter. Da wurde der damalige Kämmerer Klaus Jungfer (SPD) auf den lebhaften jungen Spund aufmerksam und machte ihn zu seinem Büroleiter. Die Kämmerei, sie ist neben dem OB-Büro das wichtigste Machtzentrum im Rathaus.
DER KARRIERE–SPRUNG
Ude bekam von einem Vertrauten einen Wink, als er einen neuen Wirtschaftsreferenten suchte: „Christian, schau dir mal den Reiter an.“ Das war 2008 – und Reiter war schon Vizechef der Kämmerei. Im April 2009 bekam er den Job. Seitdem hatte Ude hautnah mit ihm zu tun und lernte ihn schätzen: Er saß neben Reiter, als der den Flughafenbossen den Jahresbericht zerpflückte und ihnen zehn Millionen Euro für die Stadtkasse abverlangte. Er saß neben Reiter, als der den Messechefs Millionenzuschüsse strich. Und: Ude zog mit ihm an einem Strang, als Reiter den populären Wiesnwirt Sepp Krätz 2010 öffentlich abmahnte. Reiter hat keine Angst anzuecken: „Dann mache ich eben den Bösewicht.“ Mit solchen Paukenschlägen gewinnt man Respekt. Das Wirtschaftsreferat ist da eine ideale PR-Basis: Da kommt man mit Arbeitern und mit Bossen zusammen. Und als Wiesn-Chef ist man immer im Gespräch.
POLITISCHE LAUFBAHN
Außer mit seiner Mitgliedsschaft bei Verdi war Reiter politisch nur einmal aktiv: 2008 kandidierte er für die SPD im Straßlacher Gemeinderat. Er kam auf Platz zwei – die SPD erhielt aber nur einen Sitz. Reiter sagt von sich: „Ich bin ein Schmidt-Typ“ – also ein Fan des Altbundeskanzlers.
DIE FAMILIE
1958 in Rain am Lech geboren, zogen die Eltern 1960 nach München. Mit seiner Frau (sie leitet die Buchhaltung in einem Unternehmen) lebt er in Straßlach – großes Haus, schöner Garten. Die Kinder (26, 25, 24) sind bereits ausgezogen. Wenn er OB wird, will er wieder nach München ziehen.
WAS ER MAG
Mit Hobbys ist nicht mehr viel, wenn man im Rathaus oben mitmischt. So verstaubt seine Elektrogitarre im Büro (Mark Knopfler und Eric Clapton sind seine Idole), und vom Fußball ist nur noch die Leidenschaft für den FC Bayern geblieben. Oper ist nicht sein Ding: „Ich mag nicht mit Wagner den Abend verbringen.“
STÄRKEN
Pragmatisch, selbstbewusst, bodenständig – und, seit er Wiesn-Chef ist, auch volkstümlich. Reiter hat eine natürliche Autorität. Er kann Entscheidungen fällen, wenn andere noch die Folgen fürchten. Sein Motto: „Pragmatisch ist manchmal sinnvoller als programmatisch.“ Er ist kein Polarisierer und trägt die SPD-Fahne nicht ständig vor sich her. So findet er mit seinem jovialen Auftreten auch Zustimmung bei den Schwarzen.
SCHWÄCHEN
Für altgediente SPD-Funktionäre ist er noch der „Quereinsteiger von oben“. Ein Gefolgsmann sagt: „Er muss noch der Liebling der Partei werden.“ Bisher sind alle sanft mit ihm umgegangen. Sein Manko: Er hat noch nicht erlebt, wie knallhart in München Wahlkampf gemacht wird. Vor allem jetzt: Wo die CSU die Chance wittert, nach Ude das Rathaus zu erobern.
KANN ER OB?
Abwarten. Aber vor 21 Jahren war der junge Ude auch nur ein blasser Schwabinger Bohemien, der erst lernen musste, mit kleinen Leuten zu reden. Im Bierzelt: keine Kanone. Und heute? Ein Star!
SIE HÄNGTE REITER AB
Bürgermeisterin Christine Strobl wollte Kandidatin werden. Nach ihrer Krebserkrankung sagte sie ab. Gehandelt wurden: Brigitte Meier, Reissl, Franz Maget, Uli Pfaffmann, Julian Nida-Rümelin, Christoph Moosbauer, Axel Berg, Florian Bieberbach (soll vielfach besser bezahlter Stadtwerke-Chef werden). Es bleibt: Udes Liebling Dieter Reiter.